Raumfahrt Freundliche Rivalen
Jahrelang fuhren die vollbesetzten, vollklimatisierten Pendelbusse an jedem Werktag von Las Vegas in die Wüste von Nevada, 150 Kilometer weit. An manchen Tagen beförderten die Bus-Karawanen 3000 Menschen zu ihrem Arbeitsplatz in der »Niederung der Esel«, wie die Gegend am Fuße der Sierra Nevada heißt.
Dort, in den »Jackass Flats«, arbeiteten Techniker am exotischsten Unternehmen der US-Raumfahrt: Sie entwickelten das atomare Raketentriebwerk »Nerva«, das in den 80er Jahren Menschen zu den Sandwüsten des Nachbarplaneten Mars bringen sollte.
Doch nach einer Entwicklungszeit von 15 Jahren und einem Kostenaufwand von anderthalb Milliarden Dollar wurde das »Nerva«-Projekt vor zwölf Wochen gestoppt. Nun nisten Vögel in den Montagetürmen und Testständen. »Es ist die erste Geisterstadt des Raumfahrtzeitalters geworden«, schrieb jüngst die »New York Times«.
Ein anderes Beispiel: Für mehr als 300 Millionen Dollar hatte die Nasa Mitte der 60er Jahre in der entlegenen Einöde von Hancock County (US-Staat Mississippi) riesige Teststande errichten lassen, auf denen die feuer- und lärmspeienden Triebwerke der Mondrakete Saturn V erprobt wurden.
Rund 6000 Arbeiter und Ingenieure waren daran beteiligt (mit einem jährlichen Einkommen von insgesamt 72 Millionen Dollar). Nun sind die Teststände verwaist, und die kleine Schar der Zurückgebliebenen diskutierte einen Plan, wie sie der Arbeitslosigkeit entgehen könnte: Es soll eine Sagemühle errichtet werden.
Hancock County und Jackass Flats, aber auch einst so ruhmreiche Raumfahrtzentren wie Huntsville oder das Raketen-Montagewerk in Michoud bei New Orleans -- sie alle sind mehr oder minder schon zu Stätten geschichtsträchtigen Schrotts geworden.
Wie sehr die amerikanische Raumfahrttechnik an Glanz und Gloria eingebüßt hat, wurde auch letzte Woche wieder deutlich, als die Ingenieure auf Cape Kennedy zum fünften und nach der jetzigen Planung vorletzten -- bemannten Mondlande-Unternehmen rüsteten.
Wieder gingen drei Astronauten. diesmal waren es John W. Young. Charles M. Duke und Thomas K. Mattingly, in die Trainingsmühle der letzten Tage vor Countdown und Start -- minuziös war das noch vor kaum zwei Jahren von Journalisten in aller Welt beschrieben worden. Aber diesmal schien das Ereignis von so dürftigem Neuigkeitswert, als handele es sich um den Aufbruch einer Seilmannschaft zu einem schon mehrfach erklommenen Achttausender.
Nahezu anderthalb Milliarden Mark kostet auch dieser Mondschuß -- »Apollo 16« -, aber Tageszeitungen ebenso wie Funk und Fernsehen hielten während des Countdown Kurzmeldungen von wenigen Zeilen für ausreichend. Und auch für die zwölftägige Raummission will sich etwa das bundesdeutsche Fernsehen mit mäßiger Mond-Schau zufriedengeben.
Resignation in den amerikanischen Raumfahrtzentren breitete sich im selben Maße aus, wie der US-Kongreß Zug um Zug den Weltraumetat zusammenstrich. Dreimal sollen im nächsten Jahr noch US-Astronauten zu Raumflügen starten (und bis zu 56 Tage lang in dem erdumkreisenden Raumlabor »Skylab« leben und arbeiten). Aber mit den bemannten Mondlandungen wird Ende dieses Jahres vorerst Schluß sein: Für Dezember ist die letzte Apollo-Mission vorgesehen.
Den amerikanischen Raumfahrt-Bemühungen wieder neuen oder alten Schwung zu verleihen, ist gegenwärtig, wie es scheint, nichts und niemand in der Lage -- auch nicht die Nachricht von der einst so befeuernden sowjetischen Konkurrenz.
So tief ist mittlerweile der Raumehrgeiz der Amerikaner gesunken, daß sie gelassen hinnehmen, was neuerdings mit immer weniger Geheimhaltung von den sowjetischen Kollegen durchsickert: Die Russen treiben offenbar zielstrebig und mit kaum vermindertem finanziellen Aufwand ihre Projekte bemannter wie unbemannter Raumfahrt voran.
Zwei russische Spähfahrzeuge umrunden gegenwärtig den Mars, eine tonnenschwere sowjetische Sonde ist zur Venus unterwegs, und demnächst wollen sowjetische Techniker sogar Gesteinsproben von der Mondrückseite mit einem Roboter einholen.
Spektakuläre Niederlagen im All scheinen die Russen kaum mehr zu fürchten -- aber auch nicht irdische Späher des Raum-Konkurrenten von einst: Zum erstenmal gestatteten sie einem westlichen Journalisten, dem »New York Times«-Reporter John Noble Wilford. das Kosmonauten-Trainingscamp Swjosdny gorodok ("Sternstädtchen") zu besichtigen.
Bislang ist die Kosmonautenstadt, die 40 Kilometer nordöstlich von Moskau hinter Birken- und Nadelwäldern verborgen liegt, noch in keiner Landkarte verzeichnet. Doch bei seinem Besuch in der Geheimstadt, in der etwa 2000 Menschen leben, fand US-Journalist Wilford nun bestätigt, was westliche Experten immer vermutet, die Sowjets aber nie preisgegeben hatten: Fast nach dem gleichen Trainings- und Ausbildungsschema wie ihre US-Kollegen machen sich die Kosmonauten fit für ihre Raumflüge.
Die russische Raumstation »Saljut«, so erläuterte Kosmonaut Wladimir A. Schatalow dem amerikanischen Reporter, sei »nur der Anfang eines großen Forschungsunternehmens«. Und in der Tat bietet sich den sowjetischen Technikern -- angesichts der Zwangspause« die ihre amerikanischen Kollegen jetzt einlegen müssen -- von neuem die Chance, den Gegner von einst im Weltraum zu überrunden.
Schritt für Schritt wollen sie ihre »Saljut«-Raumstation verbessern und Mitte der 70er Jahre den Vorsprung der Amerikaner endgültig wettmachen. »Dann nämlich«, so Kosmonaut Alexej Jelissejew, »werden wir wahrscheinlich auch unsere Leute zum Mond schicken« -- mit Hilfe der sowjetischen Großrakete (Codebezeichnung: »G"), die bis dahin einsatzbereit sein und ein russisches bemanntes Raumschiff auf Mondkurs bringen soll.
Und wenn schon nicht mehr gegen sie, so hoffen die Amerikaner nun vielleicht mit den Sowjets »ins All starten zu können: Für 150 Millionen Dollar will die Nasa ihre »Docking Modules« bauen, ein Kopplungsstück, mit dem Apollo-Kapseln an russische Raumstationen werden anlegen können; geplanter Einsatztermin: 1975.
Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres wollen sich die beiden ehedem wetteifernden Nationen, aus denen nun »freundliche Rivalen« (Wilford) geworden sind, zum großen Weltraum-Palaver zusammenfinden. Thema ·der geplanten sowjetisch-amerikanischen Raumfahrt-Konferenz: gemeinsame Erforschung des Mondes.
* Einweihung des Denkmals für den (bei einem Flugzeugabsturz) tödlich verunglückten Kosmonauten Jurij Gagarin.