
Auftreten von Merz und Co Die Neunziger haben angerufen


Friedrich Merz und Helmut Kohl 1998 im Bonner Bundestag
Foto:Tim_Brakemeier/ picture-alliance / dpa
Im Jahr 2000 tourte die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel durch Regionalkonferenzen in ganz Deutschland, um sich als Parteichefin zu bewerben. Beobachter schilderten ihre Auftritte als leicht rumpelig, aber geprägt von einer sachbezogenen Authentizität: Die Politikerin habe zum Beispiel klar über die Spendenaffäre gesprochen, sei in Wolfenbüttel aber "fast unwillig" von ihrem Stuhl aufgestanden, als die rund 800 CDU-Funktionäre nicht mit dem Klatschen aufhörten.
Merkels Stil war neu und machte Politikjournalisten ratlos, weil die Vergleichsfolie fehlte. Mittlerweile prägt er ihre Auftritte und somit die politische Öffentlichkeit in Deutschland schon so lange, dass er zum Maßstab wurde: machtbewusst, aber dabei so leise, dass es oft langweilig wird, fast immer affektkontrolliert, aber nicht maskenhaft; in raren Momenten gar zweifelnd.
Im permanenten Kampfmodus
Vielleicht ist es deshalb so ungewohnt und geradezu schockierend, zu beobachten, wie selbstbewusst und offensiv sich aktuell Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet plus Jens Spahn um den CDU-Parteivorsitz und perspektivisch auch um die Kanzlerschaft bewerben.
Denn auch, wenn Friedrich Merz sich selbst als "Aufbruch und Erneuerung" bezeichnet, zeigt sich hier nicht nur ein inhaltlicher Bruch zwischen liberalem und stockkonservativem Parteiflügel. Sondern - wenn auch in unterschiedlichen Nuancierungen - die Wiederauferstehung eines Typus des männlichen Ich-Politikers, der in Variationen ganz oben an der Spitze letztlich seit Adenauer die Bonner Republik prägte, mit Kohls Ende jedoch angezählt war und mit Gerhard Schröders vermessenem Elefantenrunden-Auftritt nach der Bundestagswahl 2005 so fulminant scheiterte, dass klar war: Seine Zeit war vorbei.
Ausschlaggebend für diesen Typus ist, dass er seinen Erfolg maßgeblich mit dem eigenen Machtwillen definiert. So antwortete Schröder 2005 auf die Frage, ob er angesichts der Prozentverluste wirklich den Wahlsieg beanspruchen könne: "Natürlich kann ich das!"
Wichtiger als Fremdeinschätzung oder gar sachliche Eignung ist für den Erfolg in diesem Verständnis die eigene Überzeugung, selbst der Richtige für den Job zu sein. Diese Überzeugung darf auf keinen Fall angezweifelt werden - und wird deshalb permanent aggressiv verteidigt.

Schröder jubelt nach der Bundestagswahl 2005 - danach beerbte ihn Angela Merkel als Kanzlerin
Foto: Wolfgang Kumm/ picture alliance/dpaOder, wie der Journalist Torsten Körner es in seinem Buch "In der Männer-Republik" beschreibt: "Die Ich-Erzählung des männlichen Machtpolitikers sieht das Einräumen von Zweifeln oder sogar zeitweiliger Verwirrung nicht vor. Es ist vielmehr die klare und unumstößliche Haltung, die den Mann antreibt und ihn - so geht die Erzählung der Selbstermächtigung - über alle anderen obsiegen lässt."
Am prägnantesten und lautesten verkörpert aktuell Friedrich Merz diesen Ich-Politiker. Der Wunschkandidat der Rechten in der CDU befindet sich im permanenten Kampfmodus. Einerseits trägt er durch sein empathieloses Auftreten durchaus komödiantisches Potenzial in sich, ein bisschen wie eine verbitterte Loriot-Figur: etwa, wenn in Porträts über ihn beschrieben wird, wie er einer Frau, die ihm die Hand zur Begrüßung ausstreckte, seinen Mantel über den Arm geworfen haben soll.
Andererseits prägen selbstheroisierende Merz-Zitate ("Ich spiele auf Sieg, nicht auf Platz") die Medienberichterstattung, dienen aber im Grunde einmal mehr der eigenen Überhöhung, wollen sie doch vermitteln: Hier tritt kein Mann an, der politisch mehrfach gescheitert ist, sondern einer, der risikofreudig noch mal alles in den Ring wirft - dass er dafür vieles opfert und viel zu verlieren hat, wird seinen Gewinn am Ende noch wertvoller machen.
Breitbeinige Wurschtigkeit
Es wird gefährlich, wenn dieser Ich-Kämpfer für andere mitentscheiden will. Das wurde am Dienstag auch in der Bundespressekonferenz deutlich: Merz bestätigte auf die Frage eines SPIEGEL-Kollegen zu dem Anschlag in Hanau, dass seine Antwort auf Rechtsradikalismus die stärkere Thematisierung von Clankriminalität und Grenzkontrollen sei: "Ja."
Das zeigt: Fragt man diesen Mann nach Inhalten, erhält man eine demokratische Bankrotterklärung zur Antwort. Und es entlarvt einmal mehr: Hier tritt einer an, dessen Strategie gegen Rechtsextremismus genau wie seine Steuererklärung "auf einen Bierdeckel passt", wie es Lenz Jacobsen in seiner Analyse in der "Zeit" nebenbei anmerkt. Beides - der katastrophale Inhalt als auch die Wurschtigkeit, mit der er sie breitbeinig präsentiert - sind in seiner Selbsterzählung aber keine Probleme, weil vielleicht andere, aber nicht er selbst sie als solche identifiziert.
Aber auch Norbert Röttgens Tweet "Die zweite Person in meinem Team wird eine Frau sein" passte in dieses reaktionäre Bonner Machtkonzept: Zum einen, weil er auf das Schema des "Frauenförderers" zurückgreift, das auch schon auf die Beziehung von Kohl und Merkel angewandt wurde und das immer auch insinuiert, dass Frauen es - im Gegensatz zu Männern - eben nicht allein nach oben schaffen.
Dazu reduziert er die anonyme (und mutmaßlich noch gar nicht gefundene) "Frau" auf ihr Frausein. Röttgen führt damit eine politische Tradition fort, die unter Merkel zumindest weniger dominant geworden war: Männern werden im Machtbetrieb individuelle Rollen zugeschrieben: Merz gilt als Alleinkämpfer, Röttgen als Außenseiter, Laschet als gemütlicher Landesvater. Die Frau ist die Frau.
Das alles zeigte: Röttgens Tweet war am Ende sowieso vor allem ein weiterer verzweifelter Versuch, sich trotz der Dominanz seiner Konkurrenten ins Gespräch zu bringen, sich also mal wieder selbst zu entdecken, wenn es schon kein anderer tut - es ging also ohnehin nicht um Inhalte oder gar um Frauen im Allgemeinen oder Speziellen.
Wie diese neu-alten Männerytpen sich präsentieren, ist das eine. Wichtiger ist noch, wie die Öffentlichkeit mit ihnen umgeht. Es scheint im Moment, als verfange vor allem die permanente Selbstbespielung von Merz in der Öffentlichkeit, wenn vor allem seine Zitate zu Überschriften werden. Er hat seine Erzählung gefunden, gibt sich etwa so ausdauernd als Rebell, dass er auch immer häufiger als einer bezeichnet wird.
Vielleicht schlägt das Pendel eben immer wieder zurück - als Merkel kam, entlarvte sich der Polit-Machismo, jetzt präsentiert er sich in Zeiten, die für die CDU verunsichernd sind, als neue Chance.
Aber vielleicht sollten wir als Beobachter zumindest trotzdem immer prüfen: Was sagt es über die politische Kultur, wenn es ein Machtvorteil wird, dass das eigene Ego größer ist als etwa Sachverstand?
"Sie ist eine reife Frau inmitten unreifer Männer. Eine Erwachsene umgeben von Kindern", schreibt Torsten Körner in seinem Buch über Angela Merkel. Noch einmal zurück ins Jahr 2000: Journalisten, die Merkel bei den Regionalkonferenzen begleiteten, trafen auch damals - nach Kohls Ende, nach der Spendenaffäre - auf eine tief verunsicherte Basis. Was die Anwesenden gegenüber den Reportern aber häufig betonten: Merkels Kompetenz.