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KUNST Froher Eindruck

Siegeszug einer neuen Malerei aus den USA: »Pattern Painting«.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Wenn am Mittwoch nächster Woche zum zehnten Male die Baseler »Art«, internationale Messe für moderne Kunst, eröffnet wird, dürfte mancher Händler kleinlaut auftreten; besonders gut gehen die Geschäfte nicht. Doch ein Teilnehmer macht sich behaglich breit: Der einheimische Galerist Marcel Liatowitsch hat einen »dreimal größeren« Stand gemietet als 1978.

Seine 97 Quadratmeter braucht Liatowitsch, um viele große Bilder amerikanischer Herkunft auszustellen, die zumindest auf den ersten Blick an gemusterte Tapeten und Möbelstoffe erinnern. Und er kann sich den Platz gut leisten, weil er letztes Mal mit ähnlicher Ware zwar beengt, doch außerordentlich erfolgreich, nämlich »praktisch ausverkauft« war. Der Kunsthändler kann sicher sein, daß die Nachfrage seither nicht geringer geworden ist.

Der Run auf die von Liatowitsch gehandelten Muster-Tafeln ist ebenso ein Phänomen wie die importierte Kunstrichtung selbst. Sie wird von ihren Vertretern selber mit Stolz als Schablonen-Malerei ("Pattern Painting") und als »dekorativ« bezeichnet. In bunten Farben nimmt sie eine Schmuckfunktion wahr, die offenbar viele Kunst-Macher, -Betrachter und -Käufer bei der zunehmend spröden Avantgarde der sechziger und frühen siebziger Jahre vermißt haben.

Da »die Kunst in eine Sackgasse geraten zu sein schien«, so verkündet als rührigster »Pattern«-Herold der US-Kritiker John Perreault, unternähmen die Maler des Dekorativen nunmehr eine »Revolution des Geschmacks«.

Zu diesem Aufstand haben sich -- mit Standquartier in New York --

etwa gleichviel weibliche und männliche Künstler aus zwei Generationen vereint. Ihr gemeinsames Bekenntnis zu Augenlust und dem lange diskriminierten Ornament läßt aber durchaus malerische Spielarten zu.

Joyce Kozloff, 36, füllt, mosaikhaft, Riesentafeln mit geometrisch exakten Stern- und Scheibenelementen. Robert Zakanitch, 38, vertritt mit pastos aufgetragenen Blumen-Serien den »malerischen« Flügel des Trends, zu dem dank expressiv-schwungvoller Pinselführung auch Robert Kushner, 29, zu rechnen ist.

Direkt von bedruckten Textilien nimmt der Kalifornier Kim MacConnel, 32, der als Gruppen-Primus gilt, bisweilen die Motive, ja das Material für collagehafte Werke. Miriam Schapiro, 55, sucht sich gemusterte Stoffe auf Flohmärkten zusammen und montiert sie dann zu Fächer- und Gewandformen.

Der »Kimono als Zeremonienmantel für die neue Frau« -- das beispielsweise ist ein Symbol, das Feministin Schapiro mit ihrer Ausschneide-, Klebe- und Übermaltätigkeit anschaulich machen will. Frauenemanzipation durch die zur Kunst erhobene Nadelarbeit gehört zu den durchgehenden Tendenzen der »Pattern«-Malerei. Eine andere ist der Bezug auf die Ornament-Kultur nichtwestlicher Völker, wie die Künstler sie bei nordamerikanischen Indianern oder auf Reisen nach Mexiko, in den Nahen Osten, nach Indien und Afghanistan angetroffen haben. Typisch ist weiter ein Ausgreifen in den Raum, ein Drang zur schmückenden Kunst am Bau.

Die Anfänge dieser Bewegung, die den Unterschied zwischen hoher und angewandter Kunst in Frage stellen möchte, liegen nun schon etwa fünf Jahre zurück; damals schloß sich der Kern der »Pattern«-Leute in New York zusammen. Jedenfalls in Europa aber sind sie bis vor kurzem kaum bekannt geworden.

Eine erste »Pattern«-Übersichtsausstellung (mit acht Künstlern) riskierte hier, zu Beginn dieses Jahres, dann das Brüsseler Palais des Beaux-Arts. Im April verhalf Groß-Sammler und -Leihgeber Peter Ludwig der Richtung in Wien zu Museumsehren, jetzt hat die Schweizer Kunstzeitschrift »Du« die neue Dekoration zum Thema ihres eben erschienenen Juni-Heftes gemacht, in dem auch Harald Szeemann, Documenta-Chef von 1972, seinen »frohen Eindruck« wiedergibt.

Unterdessen sind Verkaufserfolge, wie sie Galerist Liatowitsch hatte, weiteren europäischen »Pattern«-Händlern geglückt, so unlängst dem Pariser Daniel Templon mit einer restlos geräumten Kushner-Schau. Andere nehmen die heiße Spur auf, und Nachschub an geeigneter Ware ist, so Liatowitsch, »das große Problem«.

Der Baseler Händler, der auf Konstruktivisten eingeschworen war, bis er im Herbst 1977 in New York auf »Patttern Painting« stieß und das als »Naturereignis« empfand, bereut es nachträglich, damals nicht gleich groß eingekauft zu haben. Große Zakanitch-Bilder zum Beispiel, die er letztes Jahr noch für 6500 bis 10000 Schweizer Franken verkaufte, kosten jetzt gut das Doppelte.

Fraglich bleibt dabei nur die künstlerische Substanz. Zwar kann dem Hinweis des »Pattern«-Propheten Perreault nicht widersprochen werden, daß diese Kunst Leitthemen der modernen Malerei (Abstraktion, Flächigkeit, »nichthierarchische« Struktur) auf unerwartete Weise aufnehme, und eine ehrenvolle Ahnenreihe (mit Gaugin, Matisse oder auch Klee) läßt sich ebenso leicht aufstellen, wie nun zeitgenössische Mitstreiter in Europa zu benennen sind.

Aber bei aller Faszination, die etwa von »Roben«-Bildern Miriam Schapiros ausgeht, schleicht sich häufig ein Effekt von allzu clever berechnetem Kunstgewerbe ein. Und bei aller Originalität verdankt »Pattern« seine Gefolgschaft doch offenbar vor allem einer Marktlücke und der bedenklichen Tendenzwende zum weniger Anspruchsvollen.

Auch Harald Szeemann, der im »Pattern«-Heft von »Du« mit viel gutem Willen nach der »Würde des Dekorativen« fahndet, tut sich schwer. »Revolution, Abenteuer, Wunder einer neu auftretenden Sensibilität«, dergleichen könne die »Pattern«-Kunst wohl doch »nicht zustande bringen«.

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