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AUTOMOBILE Frucht vom Stammbaum

Italiens staatliche Autofirma Alfa Romeo, von finanziellen Verlusten geplagt, will nun mit ihrem ersten Sechszylinder-Modell seit 17 Jahren in die Luxusklasse einbrechen.
aus DER SPIEGEL 15/1979

Zehntausende deutscher Automobilisten sollen demnächst brieflich aufgefordert werden, ihrer gegenwärtigen Automarke von der Fahne zu weichen. Der Absender, Alfa Romeo in Mailand, will bei verlorenen Kunden Glücksgefühle von früher wachrufen.

»Wir haben«, verriet Dr. Giancarlo De Bona, Alfa-Statthalter in Deutschland, »ein bißchen Mercedes-Philosophie übernommen.« Aber es sei gleichwohl »noch etwas Alfa-Aggressivität« erhalten geblieben.

Diese seltsame Mischung vereinigt ein brandneues Luxusgefährt, zu dessen Erwerb die Mailänder ihre Briefempfänger verlocken möchten. Es sind jene Fahrer, die einst einen Alfa Romeo mit Sechszylindermotor besaßen. Sie wanderten inzwischen zu Mercedes-Benz, BMW, Peugeot, Opel und Ford ab, weil Alfa Romeo nach dem Typ »2600« von 1962 keinen Sechszylinder mehr anzubieten hatte.

Nun hat Italiens staatliche Nobel-Firma wieder einen: »Alfa 6« heißt das neue Flaggschiff, dessen Serienproduktion demnächst anläuft, laut Alfa »ein Auto für wenige, ein Traum für viele«. Mit einer Baulänge von 4,76 Meter geriet der rund 29 000 Mark teure Neuling zum größten Alfa-Auto aller Nachkriegszeiten, mit 158 PS zur stärksten Alfa-Limousine dieser Epoche.

Stolz verwiesen die Alfa-Manager auf die ruhmreichen Jahrzehnte vor dem Zweiten Weltkrieg, in denen Alfa Romeo seinen legendären Ruf allein mit hochgezüchteten, temperamentvollen Sechszylindermotoren begründete. Der neue Alfa 6, so verkündeten sie, sei »nicht nur technisch, sondern auch vom Stammbaum her in Ordnung«.

Der Stammbaum spendete eine überreife Frucht. Schon vor der Ölkrise von 1973 hatten die Mailänder Ingenieure an dem Projekt gewerkelt, dann wegen der Ölkrise -- erschrocken eine Weile von ihm abgelassen. Das Ergebnis ihrer mehr als fünfjährigen Entwicklung mutet einigermaßen überraschend an: Im Süden nichts Neues.

Die jüngste Auto-Kreation aus Mailand entpuppte sich als unauffälliges Automobil von -- trotz Mitwirkung der Pininfarina-Stylisten -- fast biederem Zuschnitt. Allein das vieräugige Antlitz verrät auf Anhieb Alfa-Charakter. Die Silhouette dagegen läßt auf viele Väter schließen: ein bißchen BMW, Ford Granada und Fiat, dazu die vorgeschobene Kinnlade eines Volvo und die melancholischen Front-Blinkleuchten des VW Passat. Alfa Romeo meint aber: »Die Linienführung strahlt Dynamik aus.«

Ebenso hat das Innenleben des Alfa 6 kaum Bauweisen oder Details aufzuweisen, die nicht andere Teure längst auch haben. Servolenkung mit geschwindigkeitsabhängigem Wirkungsgrad, Zentral-Verriegelung, ausgeklügelt verstellbare Scheinwerfer und Sitze -- Alfa hat an nichts gespart.

Am neuen Alfa finden sich nur zwei noch weithin unbekannte Sicherheitsapparaturen. So wird die Benzinzufuhr bei unzureichendem Öldruck automatisch unterbrochen -- der Motor bleibt stehen. Ein weiterer Automat sperrt die Benzinleitung im Heck, sobald sein Fühlsystem einen Aufprall bestimmter Stärke wahrgenommen hat.

Demgegenüber mochten die Alfa-Techniker ihrem neuen Auto nicht einmal das von Alfa bei der mittelklassigen Alfetta eingeführte und sogar durch Porsche übernommene Transaxle-Fahrwerk spendieren. Diese Bauweise (Motor im Bug, Getriebe an der Hinterachse), die ideale Gewichtsverteilung garantiert, war beim Alfa 6 laut Alfa »nicht nötig«.

So rollt der Neuling auf einem -- allerdings ungewöhnlich aufwendig gestalteten -- Fahrwerk in Standardbauweise (Motor und Getriebe vorn, Antrieb via Hinterachse) einher. Er bot den Testern bei ersten Probefahrten wundersame Fahrleistungen -- dank seinem neuen 2,5-Liter-Motor in V-Form, den Technophile als »aufregend schön« charakterisierten. »Seine Leistungsreserve ist so groß«, rühmt Alfa, »daß ihm bei einer Geschwindigkeit von 140 km/h noch ungefähr 80 PS zur Verfügung stehen.«

Durch Mismanagement, Pfusch und Streiks ist Alfa allein in den beiden letzten Jahren mit rund 600 Millionen Mark in die roten Zahlen gefahren. Der Neue, zu über 190 km/h fähig, soll der Staatsfirma aufhelfen -- für die glücklosen Alfa-Manager eine »Demonstration der Zuversicht«,

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