Zur Ausgabe
Artikel 99 / 120

KINO Frühling der flotten Feger

Hollywood hätschelt die menschlichen Dreckschleudern - Diebe, Mörder oder Soldaten. Doch neuerdings erhebt das Kino die klassische Nebenfigur Putzfrau zur Heldin des Alltags. Die aktuellen Filme »Der Glanz von Berlin« und »Anam« sind nur zwei von vielen Beispielen.
aus DER SPIEGEL 17/2002

Berlin hat einen neuen Star. Er heißt Helga Schmidt, ist 63 Jahre alt und soll in dieser Woche zur Toilettenfrau des Jahres gekürt werden. Wer ihr Reich betritt, gerät in eine Glanz- und Glitzerwelt: Ihre Toilette in der Hafenbar, einem Club in der Chausseestraße, ist ein Schmuckstück. Helga Schmidt bemüht sich nämlich, jedes Klo sofort zu putzen, bevor der nächste Kunde es benutzt.

Im Zeitalter der vollautomatischen City-Toilette gibt sie dem stillen Örtchen wieder ein menschliches Antlitz. Dafür will ihr der Verein »Toilettenfrau e. V.« am 27. April einen Pokal verleihen. Die Resonanz ist gewaltig: Der »Tagesspiegel« hob die Nachricht gleich auf die Titelseite. Nun kommen noch mehr Leute in die Hafenbar, um sich zu erleichtern. Schon geht das Gerücht, bald gebe es in Berlin ein neues Festival: die Urinale.

Der Pokal soll von einem hochrangigen Politiker überreicht werden. Doch die Suche nach einem Saubermann war bisher vergebens. Gregor Gysi, zum Putzfrauenbeauftragten auserkoren, ist der Wunschkandidat. Aber feiern dürfte Helga Schmidt auch ohne ihn. So ist das eben: In einer Gesellschaft, in der fast jedermann Dreck am Stecken hat, avanciert die Putzfrau zur letzten Heldin des Alltags.

Höchste Zeit also, dass sie endlich auch die Leinwand erobert. Und tatsächlich: Das Großreinemachen im Kino hat begonnen. Über drei Kolleginnen von Helga Schmidt drehten Judith Keil und Antje Kruska die erhellende und unterhaltsame Dokumentation »Der Glanz von Berlin«, die jetzt schon in den Kinos läuft - kein Straßenfeger, aber ein Achtungserfolg.

Der brasilianische Spielfilm »Domésticas«, der von Fernando Meirelles und Nando Olival inszeniert wurde und im Herbst auf die deutschen Leinwände kommen soll, schildert das bei aller Schlichtheit auch schillernde Schicksal mehrerer Haushälterinnen und Putzfrauen in São Paulo.

Damit nicht genug: In »Anam«, dem Spielfilmdebüt der Regisseurin Buket Alakus, das in dieser Woche anläuft, putzt und kämpft sich die türkische Titelheldin durch die schäbigen Ecken von Hamburg und lernt dabei, unter dem Kopftuch sich selbst zu entdecken.

Verkörpert wird Anam von der bezaubernden Schauspielerin Nursel Köse. Vor zehn Jahren gründete sie das Frauenkabarett »Die Bodenkosmetikerinnen«, bei dem sie Autorin, Regisseurin und Schauspielerin in Personalunion war. Köse: »Wir haben uns damals gedacht: In dieser Gesellschaft werden Türkinnen immer nur als Putzfrauen gesehen - egal, was wir sind, egal, was wir tun, egal, wie wir aussehen.«

Die Frauen, meist Akademikerinnen aus verschiedenen Ländern, schlüpften auf der Bühne in die Kluft von Putzfrauen, um Deutschland kräftig durchzulüften. »Wir wollten herausfinden, wie sauber dieses Land wirklich ist und wie viel Staub unter dem Teppich liegt. Dabei haben wir viel gefunden, was auf den ersten Blick nicht immer sichtbar war - von extremer Intoleranz bis zu großer Einsamkeit.«

Köse, die im Alter von 17 nach Deutschland kam, entwickelte einen genauen Blick für die Reinlichkeitsvorstellungen der beiden Kulturen. »Die gläubigen Türken«, sagt sie, ohne sich zu ihnen zu zählen, »beten fünfmal am Tag und waschen sich vorher. Der Boden muss ganz sauber sein, denn auf ihm wird gebetet. Daher geht man auch nie mit Straßenschuhen ins Haus.«

Anam läuft zu Beginn des Films Hals über Kopf mit Pantoffeln auf die Straße, weil sie pünktlich bei ihrem Putzjob erscheinen will - ihr Mann trägt ihr die Schuhe hinterher. Auf leisen Sohlen entwickelt der Film einen Running Gag, der am Ende zur berühmtesten Putzfrau aller Zeiten führt: zu Aschenputtel.

Das Potsdamer Filmmuseum greift den Trend auf und widmet ihm im Mai eine kleine Reihe. In diesem Programm läuft auch »Die Blume der Hausfrau« (1998), eine Dokumentation über Staubsaugervertreter im Schwäbischen, die in deutschen Programmkinos Kultstatus erlangte. In einer Szene massiert ein eifriger Vertreter seiner Kundin Trockenreiniger in die Hand und sagt dazu: »Unser Gerät schafft 1500 Umdrehungen pro Minute. Die schafft mein Finger natürlich nicht.«

Das Verhältnis des Kinos zum Reinigungsgewerbe war nicht immer so innig wie im Augenblick. Das Mainstream-Kino liebt seit langem eher den Schmuddelkram.

In seinem Film »Léon - Der Profi« (1994) nennt Regisseur Luc Besson seinen Helden, einen von Jean Reno verkörperten Profikiller, unverfroren einen »cleaner«. Dabei lässt dieser Mann seine Tatorte immer in saumäßigem Zustand zurück.

Der Komiker Steve Martin leidet in dem Kult-Klassiker »Tote tragen keine Karos« (1982) in der Rolle eines Detektivs an einem Putzfrauen-Trauma, das aus früher Kindheit stammt. Sobald der Mann das Wort »Putzfrau« auch nur hört, dreht er völlig durch. Danach gibt es immer viel aufzuräumen.

Mel Brooks schickt in »Space Balls« (1987) gar eine »Weltraumputze« durchs All: einen gigantischen Sternenstaubsauger.

Das Hollywood-Kino liebt von jeher Protagonisten, die Dreck machen - Soldaten, Diebe, Mörder, Polizisten, Journalisten oder Dinosaurier. Warum? Sie stehen für die Abweichung von der Norm, für alles Verdrängte, Unheimliche, Gefährliche im Leben, für die Nacht, die den aufgeräumten Tag Lügen straft. Und im Übrigen: Der Zuschauer sieht diesen Finsterlingen gern bei der Weltverschmutzung zu und darf sich wieder fühlen wie das typische Mittelstandskind, das selbstverständlich davon ausgeht, irgendjemand werde ihm schon hinterherfegen.

Die Putzfrau dagegen verkörpert das gutbürgerliche Realitätsprinzip und raubt dem Zeitgenossen die Illusion von den Selbstreinigungskräften der Welt. Im wirklichen Leben, daran erinnert sie auf Schritt und Tritt, muss der Müll am Ende stets wieder weggeräumt werden - er verschwindet nicht einfach im Abspann. Kein Wunder, dass Hollywood die Leistung der Putzfrau gern unter den Teppich kehrte.

Es gibt aber auch Regisseure, die für Diener, Zimmermädchen und Putzfrauen ein Herz haben. Bei Ernst Lubitsch, Jean Renoir oder Robert Altman führt der Weg zum Zentrum der Geschichte oft über den Dienstboteneingang: Da wird von den Essensresten, die in die Küche gebracht werden, schon mal auf den Seelenzustand der hohen Herrschaften am Tisch geschlossen.

»Wenn ich in einem meiner Filme von einer leidenschaftlichen Liebesnacht erzähle«, sagt Beatles-Regisseur Richard Lester, »interessiere ich mich mehr für das Mädchen, das am nächsten Morgen die Laken wechselt.« Der Mann weiß bestimmt, wovon er redet: Wer jahrelang dieselbe Putzfrau beschäftigt, stellt oft eines Tages fest, dass sie über das eigene Sexualleben besser Bescheid weiß als man selbst.

Die Putzfrau ist eine echte Vertrauensperson, vergleichbar nur mit dem Zahnarzt oder Urologen. Sie dringt in Bereiche von jedermanns Privatsphäre vor, die fremden Augen gemeinhin verborgen bleiben. »In der Türkei«, sagt Nursel Köse, »behandelt man seine Putzfrau sehr gut. Denn man möchte auf keinen Fall, dass sie zum Nachbarn geht und alles ausplaudert. Man hat Angst vor ihr.«

Putzfrauenfilme sind somit eigentlich Spionagefilme. In der französischen Komödie »Milch und Schokolade« (1989) findet die Heldin beim Saubermachen im Büro Beweise für eine groß angelegte Intrige. Und in der Leinwand-Adaption von Milena Mosers 1991 erschienenem Bestseller »Die Putzfraueninsel« stößt Jasmin Tabatabai im Keller eines Hauses auf den Bodensatz des Bürgertums: Die Großmutter der Familie ist in einem Verschlag angekettet, der in Kot und Urin versinkt.

»Die Kloschüssel ohne Brille war mit Scheiße verschmiert, auf dem durchweichten Bretterboden standen Pissepfützen, und das Waschbecken - sofern dieses Ding ein Waschbecken sein sollte - war ein mit Spucke und Kotze gefüllter Trog.« Sätze wie diesen liest Helga Schmidt nicht gern. Sie stehen in Philip Roths Bestseller »Der menschliche Makel«, der zurzeit mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman in den Hauptrollen verfilmt wird.

Der amerikanische Star-Literat gibt in diesem Roman Unterleibs-Geschichten zum Besten. Die Hauptfigur, ein brillanter Professor, verfällt einer Putzfrau, der nichts Männliches fremd ist. Sie kann nicht lesen und schreiben, doch beim Sex entfaltet sie »eine grenzüberschreitende Kühnheit«.

Mit ihrem groben Ehemann schläft sie, nachdem sich die beiden zuvor mit Kuhmist beworfen haben. Den Professor macht diese Vorstellung an: Die Putzfrau könnte auch die schmutzigsten Phantasien Wirklichkeit werden lassen. Den menschlichen Makel, verrät uns Roth, kann man selbst mit der schärfsten Scheuermilch nicht entfernen - und das ist auch gut so.

Bei Lichte besehen, ist Sex an sich keine allzu hygienische Angelegenheit. Unter der Gürtellinie ist Sauberkeit nicht das Maß aller Dinge. So wundert es kaum, dass die Putzfrau, die den Dreck sucht, um ihn zu beseitigen, von einem ganz besonderen erotischen Fluidum umgeben ist. Sie ist die Circe mit dem Feudel - wie die junge Inge Meysel in »Engel im Abendkleid (1951), wie Anna Thalbach in »Clowns?!« (1998). Nicht selten wird aus der Circe auch eine bloße Klamauk-Charge (so die Putzfrau in »Monty Python - Der Sinn des Lebens«, 1982).

In Robert van Ackerens Satire »Die flambierte Frau« (1983) simuliert Gudrun Landgrebe einmal eine Luxusnutte, die für einen ihrer Kunden eine Schürze umbindet und vor seinen Augen den Abwasch macht. Vor zwei Wochen spielte Landgrebe in der TV-Produktion »Herz oder Knete« dann die Leiterin einer Putzkolonne.

Der neue brasilianische Film »Domésticas« kulminiert in einer rasanten Montage. Der Zuschauer sieht in Sekundenschnelle, wie Gemüse zerhackt wird, Fenster gewienert werden und eine der Putzfrauen leidenschaftlichen Sex mit ihrem Liebhaber hat - neben einem schmutzigen Teller. Arbeit und Vergnügen sind, so scheint es, kaum zu trennen. Kann das sein?

Natürlich nicht, doch die Heldinnen dieses Films trotzen der Tristesse mit Energie und Phantasie. Beim Fegen fängt eine von ihnen an, sich ihren Traumprinzen auszumalen. In Gedanken hebt sie vom Boden der Tatsachen ab, den keiner besser kennt als sie selbst. Doch - wie heißt es in diesem Film an anderer Stelle: »Man kann heiraten, aber erst muss alles sauber sein.«

Die Putzfrauen im »Glanz von Berlin« wirken, verglichen mit ihren brasilianischen Kolleginnen, bodenständiger. Ihre Phantasie schwingt sich zu bescheideneren Höhenflügen auf - das deutsche Arbeitsethos zieht nach unten.

In einem der schönsten Momente dieses Films beschreibt eine der Frauen, wie sie in einem Geschäft den Glastresen reinigt. Eigentlich, so sagt sie, sei sie nur verpflichtet, die Oberfläche zu säubern. Doch die Fingerabdrücke auf der Unterseite der Scheibe lassen ihr einfach keine Ruhe - und so wischt sie sie heimlich weg.

In dem Augenblick wird dem Zuschauer klar: Es ist keine Kleinigkeit und auch gar nicht so einfach, die Spuren anderer Menschen zu beseitigen und selbst keine eigenen zu hinterlassen. LARS-OLAV BEIER

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 99 / 120
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten