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AUTOMOBILE / FIAT 125 Für Herrschaften

aus DER SPIEGEL 18/1967

Im vergangenen Jahr landete der Turiner Automobilriese Fiat einen Volltreffer gegen seine Konkurrenten auf allen Märkten. Jetzt holt er aus zu einem zweiten Hieb -- speziell gegen den deutschen Markt, auf dem sich die einheimischen Großserienhersteller gerade mühsam von der Absatzflaute erholen.

Der erste Schlag des nach VW zweitgrößten europäischen Autoherstellers (Jahresproduktion: 1,2 Millionen Personenwagen) galt der unteren Mittelklasse: Mit dem ebenso unauffällig wie zweckmäßig stilisierten, geräumigen, preisgünstigen und kräftig motorisierten (1,2 Liter 1 60 PS) Fiat 124 hatte Fiat auf Anhieb vollen Erfolg. Europas Autotester kürten ihn 1966 zum »Auto des Jahres«.

Über 220 000 Wagen des Fiat-Typs 124 mußten die Turiner in weniger als einem Jahr ausstoßen, um den Bedarf zu befriedigen. In Deutschland, Fiats größtem Auslandsmarkt, konnte die Firma dank der Zugkraft seines Neulings seinen Marktanteil um 20 Prozent erweitern und erstmals innerhalb eines Jahres über 100 000 Autos verkaufen. An den Gebrauchtwagen ihrer Käufer konnten die Fiat-Händler erkennen, wo der Typ 124 Kunden eroberte: VW 1500 / 1600 TL, Opel Kadett und -- in geringerem Maße -- Ford 12 M. Heute weigern sich manche Fiat-Händler bereits, Volkswagen 1500 und 1600 TL in Zahlung zu nehmen.

Ähnlich durchschlagenden Erfolg erhoffen sich die Fiat-Manager vom neuen Mittelklassewagen Fiat 125, einem 19 Zentimeter längeren Brudertyp des Erfolgsmodells Fiat 124. Der Wagen, dessen Produktion gerade anlief und der erst im Sommer in Deutschland lieferbar sein wird, ist mit 90 PS (aus 1,6 Liter Hubraum) der stärkste und mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 166 Stundenkilometer der schnellste Vierzylinder-Familienwagen, den Fiat je anbot.

»Das Ding brauchen wir dringend, denn gerade in dieser Klasse haben wir ja nichts«, erläuterte ein Fiat-Händler in Hamburg die Lage an diesem Abschnitt der Verkaufsfront. Tatsachlich konnte Fiats 75 PS starker Mittelklassewagen 1500 C, der vorerst weitergebaut werden soll, schon seit geraumer Zeit gegen seine Konkurrenten nicht mehr an, so handlich und munter er auch zu fahren war. Seine anfällige Maschine machte ihn für den Kurzstrecken-Alltag weniger geeignet. Außerdem greinten die Interessenten den Verkäufern immer wieder vor, der Innenraum sei hinten zu knapp, Opel und Ford hätten wesentlich größere Kofferräume.

Demgegenüber offeriert Fiat, deren Senior-Boß, Professor Vittorio Valletta, täglich im Fiat 500 zur Arbeit fährt, mit dem neuen Fiat 125 in dieser Klasse nunmehr ein Fahrzeug »von herrschaftlichem Charakter«, wie Fiat-Versuchs-Chef Luigi Zandona ausschmückte. Mit 4,22 Metern ist der Fiat 125 nur 15 Zentimeter länger als der Wolfsburger Käfer, wirkt jedoch innen, speziell für Fondgäste, fast so geräumig wie ein Mercedes-Benz 200. Zandona: »Der Fiat 125 hat den größten Kofferraum aller Fiat-Modelle.«

Das beste Stück des Wagens ist nur bei geöffneter Vorderhaube sichtbar: sein Herz. Fiat hat sich beim Fiat 125 den Luxus geleistet, zum erstenmal einen Großserien-Familienwagen mit einem sportlichen Hochleistungsmotor auszurüsten, dessen Ventile über zwei im Zylinderkopf liegende Nockenwellen gesteuert werden. Vorteile: größtmögliche Leistungsausbeute durch hohe Drehzahlen bei großer Laufruhe.

Lange hatten die Fiat-Ingenieure gezögert, ehe sie sich zu dieser aufwendigen und kostspieligen Art des Ventiltriebs entschlossen. Die gemeinhin für den Antrieb obenliegender Nockenwellen verwendete Kettenübertragung war zu teuer. Schließlich verfielen sie auf jenen billigen und zuverlässigen Helfer. den als erste einst die Dingolfinger Glas-Werke für solche Zwecke nutzten: den Zahnriemen aus Kunststoff.

Zusätzlich wirkt sich beim Motor des Fiat 125 kostengünstig aus, daß die Fiat-Techniker auf das bereits erprobte Triebwerk der Sportversion des Fiat 124 (1,4 Liter / 90 PS) zurückgreifen konnten. Beide Motoren -- sie haben gleiche Zylinderblöcke und gleiche

Zylinderköpfe -- werden auf demselben Band gebaut.

Außer Motor und Karosse hat Fiat noch weitere wichtige Teile seines generell mit vier Türen ausgestatteten neuen Mittelklassewagens rationell mit der übrigen Produktion gekoppelt: Das Vierganggetriebe (mit Knüppelschaltung) übernahmen die Ingenieure vom alten Fiat 1500, die an Schubstreben geführte Hinterachse im Prinzip vom Sportwagen Fiat Dino.

Deutsche Fiat-Händler leiten aus dieser kostensparenden Fertigung die Hoffnung auf einen besonders günstigen Preis ab. »Wenn der Preis unter acht liegt«, sinnierte einer von ihnen, »heidewitzka, dann wird einiges an Überläufern auf uns zukommen.«

Es wird vermutlich auf sie zukommen: Aus dem Direktionstrakt des Fiat-Hauptwerkes Mirafiori sickerte bereits durch, der Fiat 125 solle um 7650 Mark kosten.

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