POPMUSIK Fundstück vom Kap
Als der amerikanische Popstar Paul Simon. 44, im Sommer 1984 von einem Freund eine Musik-Kassette mit Klängen unbekannter Herkunft zugesteckt bekam, begann für ihn nach einer langen Phase der Erfolglosigkeit ein neuer, später Aufschwung.
Vom Tonband hüpfte fröhliche Ackordeon-Musik mit einem schnellen Stampfbeat durch Simons Lautsprecher, und spontan verliebte sich der Künstler in die schönen, rohen Sounds der Kassette, die den Titel »Gumboots: Accordion Jive Hits Volume II« trug. Rasch reifte der Wunsch in ihm, mit den anonymen Instrumentalisten dieses Musik-Fundstücks zusammenzuspielen - wenn er nur gewußt hätte, wo er sie finden könnte.
Die Spur führte nach Südafrika: »Gumboots« war eine Sammlung von Getto-Pop aus den Townships des Apartheid-Staats, sogenannte Mbaqanga-Musik, mit der sich Schwarze die Last des Lebens unter der Rassisten-Diktatur nach Feierabend erleichtern.
Als Simon herausgefunden hatte, woher die Musik kam, erschrak er: »Zuerst dachte ich, ,zu dumm, daß es keine Musik aus Simbabwe, Zaire oder Nigeria ist'. Das Leben hätte leichter sein können.« Andere Länder, andere Beschwernisse.
Doch weder Schrecken noch Bedenken, auch nicht der von der UN-Vollversammlung beschlossene Südafrika-Kulturboykott, konnten den Sänger in seinem Drang bremsen, mit südafrikanischen Musikern eine Platte aufzunehmen. Nachdem er bei prominenten schwarzen Amerikanern wie Harry Belafonte und Quincy Jones Rat eingeholt hatte und keine Einwände zu hören waren, fuhr er nach Johannesburg und spielte dort Teile seiner neuen Platte »Graceland« ein.
Um den Verdacht auszuräumen, er schürfe in Südafrika nach billigen musikalischen Rohdiamanten, zahlte Simon seinen schwarzen Musikern das Dreifache der in den USA üblichen Studio-Honorare. Außerdem ließ er die südafrikanische Rhythmusgruppe, die ihm in Johannesburg den Beat geliefert hatte, nach New York kommen, wo die Aufnahmen schließlich vollendet wurden.
Zumindest für Simon hat sich die Südafrika-Connection schon gelohnt. »Graceland« wurde ein internationaler Millionenseller, und Simon-Fans in aller Welt konnten den Charme der Mbaqanga-Musik kennenlernen. Größere Erfolge liegen für Simon weit zurück. Seine Global-Schnulze »Bridge Over Troubled Water«, zusammen mit dem Duo-Partner Art Garfunkel auf die Welt gebracht, ist inzwischen 17 Jahre alt.
Nach der Arbeit im Studio war Simons Kooperation mit den Südafrikanern noch nicht beendet. In London produzierte er eine Platte des Zulu-Männerchors »Ladysmith Black Mambazo«, der mit perfekt harmonierender Vokalartistik für Höhepunkte des »Graceland«-Albums gesorgt hatte.
Damit all diese exzellenten Musiker nach ihrem Job für Simon nicht wieder in der Versenkung verschwinden, nimmt er sie jetzt mit auf eine Tournee, die vom Donnerstag an auch für vier Konzerte in die Bundesrepublik führt. Außer »Ladysmith Black Mambazo« und dem südafrikanischen Rhythmus-Trio werden auch zwei prominente Exil-Südafrikaner und Anti-Apartheid-Aktivisten mit von der Partie sein: die Sängerin Miriam Makeba, die mit dem Mbaqanga-Ohrwurm »Pata Pata« in den sechziger Jahren ein Weltstar wurde, und der virtuose Trompeter Hugh Masekela, der 1960 nach dem Massaker von Sharpeville seine Heimat verließ, in den achtziger Jahren im Nachbarland Botswana ein Studio für Aufnahmen südafrikanischer Musiker eingerichtet und zuletzt mit seiner Gruppe »Kalahari« eine raffinierte Mixtur aus Jazz und Township-Pop entwickelt hat.
Das Großaufgebot südafrikanischer Musiker, die nun in Simons Konzerten ihre Qualitäten einem größeren internationalen Publikum vorführen werden, unterstreicht einen Trend der letzten Jahre. Westliche Musiker, die sich vom
faden Hitparaden-Einerlei des Pop-Mainstreams lösen wollen, beschäftigen sich mit der urbanen schwarzen Tanzmusik der Dritten Welt. Nach dem jamaikanischen Reggae, nach Samba und Bossa Nova aus Brasilien klingen nun auch heiße Stile wie die afrokubanische Salsa, Soca aus Trinidad, Highlife und Juju aus Westafrika, Soukous aus Zaire und der Zouk von den französischen Antillen in der Popmusik des kühlen Nordens an.
Querverbindungen und Fusionen aus Rhythmus- und Klangelementen der Dritten Welt und dem Pop der Überfluß-Nationen sind oft Vernunft-Ehen; nicht selten werden die mitreißenden Musik-Rohstoffe nach alter Kolonialistenmanier geklaut. Musik, die in den Gettos der Armen als Überlebensmittel dient, hält jetzt auch mehr und mehr das Popgeschäft der reichen Metropolen am Leben.
Da sich Rock und Pop zur Zeit weitgehend auf das Wiederaufbereiten vergangener Stile beschränken, greifen Plattenkonsumenten häufiger zu den Originalen. Das Interesse am schwarzen amerikanischen Rhythm & Blues und Soul der fünfziger und sechziger Jahre, die oft kopiert, aber nie erreicht wurden, nimmt zu, und die Nachfrage nach der ursprünglichen Musik Afrikas und Lateinamerikas wächst.
»Es gibt ein deutliches Interesse an der Musik der Dritten Welt«, bilanzierte ein Verkaufsmanager des New Yorker Schallplatten-Kaufhauses »Tower Records«. In seinem Großladen wuchs der Absatz afrikanischer Platten 1985 um 20 Prozent. Auch das amerikanische Branchenblatt »Billboard« hört in den zupackend-lebensprallen Klängen der armen aber an Musik überreichen Länder dieser Welt »eine mögliche Zukunft der internationalen Popmusik«.
Durch »Graceland« rückte Simon so auch die südafrikanische Mbaqanga-Musik in die Hörweite von Popfans außerhalb Südafrikas. Der Begriff Mbaqanga umfaßt unterschiedliche Stile der schwarzen Popmusik, die aus den brodelnden Townships, den Arbeiter-Gettos kommt.
Trommeln und Perkussion spielen in der südafrikanischen Musik nicht die dominierende Rolle wie in den meisten anderen, nördlicheren Regionen des Kontinents. Melodiöser Gesang, eigenwillige Gitarrenfiguren und der zügige, kaum wie sonst in Afrika zur Trance einladende Rhythmus kurzer, kompakter Songs bilden das Gerüst des Mbaqanga-Genres.
Die Songtexte erzählen meist von scheinbaren Belanglosigkeiten des Township-Alltagslebens - die Zensur läßt politischen Protest nicht zu und zwingt die Musiker zur Selbstbeschränkung. Daß die populäre »Ladysmith«-Vokalgruppe fast nur von der Liebe und über religiöse Themen singt, erklärt, ganz pragmatisch, ihr Leiter Joseph Shabalala: »Wenn wir komponieren, denken wir ans Radio. Was umstritten ist, spielen die nicht, und dann kriegt das Publikum überhaupt nichts davon mit.«
Daß in Paul Simons »Graceland«-Opus die wenigen politischen Momente nur sehr vage sind und von brutaler Unterdrückung der Mehrheit im Ausnahme-Staat Südafrika kaum die Rede ist, mag befremdlich wirken. Der liberale New Yorker Stadtneurotiker schrieb sich in seiner Songlyrik ein paar Beziehungs-Melancholien von der Seele und erzählte in eindringlichen Bildern von amerikanischen Mythen, so im Titelsong von einer Pilgerfahrt zum Elvis-Domizil in Memphis.
Dabei hat Simon nicht die südafrikanische Begleitmusik in Richtung US-Pop verbogen, sondern ihren Stil fast durchweg unangetastet gelassen. Sein introvertierter Gesang steht neben den extrovertiert-lebensfrohen Klängen der südafrikanischen Mitspieler - ein Kontrast, der den Reiz des ungewöhnlichen Projekts ausmacht.
Paul Simon hat sich in vorsätzlich trotziger Naivität auf den Südafrika-Trip begeben. Seinen blauäugigen Beteuerungen zum Trotz, mit der südafrikanischen Regierung nichts am Hut zu haben, werden Stücke seiner LP nun am Kap im Radio gespielt - sozusagen zum Beweis dafür, daß der Apartheid-Staat nicht isoliert ist und daß kulturelle Beziehungen zum Rest der Welt eine ganz normale Angelegenheit sind.
Dafür soll der Sänger nun die Quittung bekommen. Ein Sprecher des Anti-Apartheid-Ausschusses der Vereinten Nationen hat angekündigt, Simons Name werde auf der schwarzen Liste erscheinen, die Verletzer des Südafrika-Boykotts verzeichnet.
Ein Vertreter des US-Kongresses für Rassengleichheit sieht das ganz anders: Dafür, daß Simon die Opfer der Apartheid unterstützt, »sollte man ihm einen Orden verleihen«.