»FURTWÄNGLER DIRIGIERTE MEIN KONZERT SCHLECHT«
»Themes and Episodes« heißt ein Buch, das der Komponist Igor Strawinski, 84, und sein langjähriger Assistent Robert Craft, 43, schrieben und das jetzt im New Yorker Alfred A. Knopf Verlag erschien (Preis: 6,95 Dollar). Es enthält Bonmots des Meisters, Details aus dem Privatleben, kompositorische Exkurse und sehr sarkastische Anmerkungen über Zeitgenossen - so über große Dirigenten, denen Strawinski begegnete:
Ebenso wie die Politik zieht das Dirigieren selten einen genialen Geist an, und es ist eher ein Gebiet für das Karrieremachen und die Ausnutzung individueller Eigenarten - auch darin der Politik ähnlich - als ein Beruf, in dem ein genaues, genormtes Fachwissen angewendet wird. Ein Dirigent kann tatsächlich für seine Arbeit weniger befähigt sein als seine Musiker; aber außer den Musikern braucht das niemand zu wissen, und seine Karriere hängt sowieso nicht von ihnen ab, sondern von den Damen der Gesellschaft (und den Kritikern), für die seine musikalischen Fähigkeiten von untergeordneter Bedeutung sind. Der erfolgreiche Dirigent kann ein unvollkommener Musiker sein; aber er muß ein vollendeter Drahtzieher sein. Vor allem muß er die Fähigkeit haben, Machtpolitik zu treiben.
Bei solchen Leuten ist die Krankheit des Egoismus natürlich stark verbreitet, und ich brauche kaum hinzuzufügen, daß diese Krankheit unter der Sonne des sie begünstigenden Publikums wie ein tropisches Unkraut gedeiht. Das Ergebnis ist, daß der Dirigent ermutigt wird, eine selbstgefällige, falsche und willkürliche Autorität auszuüben. So wird ihm eine Stellung eingeräumt, die in keinem Verhältnis zu seinem wahren Wert in der Musikwelt, dem Gegensatz zur Musikgeschäftswelt, steht. Er wird tatsächlich bald ein »großer« Dirigent, oder, wie der Presseagent solch eines Dirigenten mir kürzlich schrieb, ein »Titan des Podiums«, und damit ist er beinahe das schlimmste Hindernis für echtes Musizieren. »Große« Dirigenten sind ebenso wie »große.« Schauspieler unfähig, etwas anderes als sich selbst zu spielen; da sie unfähig sind, sich dem Werk anzupassen, passen sie es sich selbst, ihrem »Stil«, ihren Mätzchen an.
Wenn jemand unfähig ist, Musik zu verstehen, wird ihm der Dirigent zeigen, was er empfinden muß. So spielt der Filmschauspielertyp des Dirigenten in »seiner« Eroica Napoleons ganzes Leben vor - mit einem Ausdruck vornehmen Leidens beim Rückzug von Moskau (wobei das Fernsehen die verhältnismäßig gnädige Beschränkung auf die Rückenansicht vermeidet) und dem Ausdruck des Triumphes im letzten Satz, in dem er das Siegesfest sogar tanzt.
In meiner langen Karriere als Musikhörer habe ich viele Dirigenten bei ihrer Arbeit bewundert, bin aber nicht sicher, daß ich sie jetzt noch bewundern würde. Felix Weingartner zum Beispiel war in meiner Jugend ein Abgott für mich. Ich hörte ihn 1900 in Berlin einen Beethovenzyklus dirigieren und war begeistert. Auch in späteren Jahren besuchte ich seine Konzerte bei verschiedenen Gelegenheiten. Aber ich glaube, daß ich von allen Dirigenten, die ich gehört habe, Alexander von Zemlinsky als denjenigen nennen würde, der am beständigsten ein hohes Niveau erreichte. Ich habe »Figaros Hochzeit«, von ihm in Prag dirigiert, als die befriedigendste Opernerfahrung meines Lebens in Erinnerung.
Was die besseren heutigen Dirigenten betrifft, so habe ich, wie man weiß, niemals gute Zensuren gegeben, und im Alter bin ich bestimmt kein Lobredner geworden. Ich will jedoch einige der nach meiner Ansicht besseren Techniker und gewissenhafteren Musiker nennen. Zum Beispiel Szell, der das übliche klassische Repertoire so aufführen kann, daß jedes Unheil vermieden wird. Fritz Reiner ("l'amico Fritz"), der die Chicagoer Symphoniker zum präzisesten und flexibelsten Orchester der Welt machte und, nebenbei bemerkt, ein wirksames Gegenmittel gegen die Windmühlen-Schule und die Effekthascherei war. Rosbaud, der der gewissenhafteste Musiker und einer der wenigen pflichttreuen Dirigenten war. Ormandy, der dem Philadelphia-Orchester ein ganz weiches Echo gab und ein idealer Johann-Strauß-Dirigent und Spezialist für posthum entdeckte Musik wie Tschaikowskis Siebente ist. Lorin Maazel, um den begabtesten der mittleren Dirigenten-Generation zu nennen, ein Mann von vielseitigem Talent, der aber einen »Don Giovanni«, den ich kürzlich in der Met hörte, genauso wie ein Tambourmajor dirigiert. Und Scherchen, der trotz exzentrischer Verfärbungen saubere Kapellmeister-Aufführungen von Haydn und überzeugende von Bach gegeben hat, obgleich er keine Ahnung von einem Bach-Stil hat. (Es ist allerdings unfair, ihn allein in diesem Punkt zu kritisieren, da alle Bach-Aufführungen »großer« Dirigenten grotesk anachronistisch sind aus dem einfachen Grunde, daß es bei Bach keinen Spielraum für großes Dirigieren gibt.)
Als ich mein Klavierkonzert unter Furtwänglers Leitung in Leipzig und Berlin spielte, stand er auf der Höhe seines Ruhmes ("der Letzte der großen Tradition«, sagt man, obgleich ich selbst es besser gefunden hätte, ihn den »Ersten der kleinen Tradition« zu nennen). Trotzdem dirigierte er es schlecht, sogar schlechter als Kussewitzki bei der Premiere. Ich war überrascht, weil andere Musiker seiner Generation und der noch älteren Generation das Orchester mühelos geführt hatten.
Ein paar Jahre nach der Berliner Aufführung erhielt ich in der Villa d'Este in Como, wo ich meine Ferien verlebte, ein Telegramm Furtwänglers, in dem er mich um die Uraufführungsrechte für mein »Capriccio« bat. Ich antwortete, daß das Stück bereits zwanzigmal gespielt worden sei (wir schrieben 1931), daß er es aber gern zum 21. Mal spielen könne. Ich gebe seinem Telegramm und meinem Mangel an Nüchternheit die Schuld an der Untat, die mein Gewissen in den folgenden Jahren, wenn auch nur wenig, belastet hat. Als ich an jenem Abend im Garten der Villa zwischen zwei »griechischen« Statuen spazierenging, sah ich, daß die Marmorfiguren mit den Namenszügen von Touristen verziert waren, griff selbst zum Stift und kritzelte »Wilhelm von der Furtwängler« auf den gluteus maximus des offensichtlichsten »Ersatz« -Apollos.
Auch der Gedanke an Mengelberg gehört nicht zu meinen liebsten Erinnerungen. Bei unserer ersten Probe des »Capriccio« fing er mit einem unmöglichen Tempo an. Ich sagte, ich könne in diesem Tempo nicht spielen; aber ich hätte mich deutlicher ausdrücken sollen, denn er wußte nicht, ob ich ihn zu schnell oder zu langsam fand. Er war verwirrt, und statt von vorn anzufangen, hielt er eine Rede zu seiner Rechtfertigung: »Meine Herren, in den fünfzig Jahren meiner Dirigentenzeit habe ich, glaube ich, gelernt, das Tempo eines Musikstücks richtig zu erkennen; aber Herr Strawinski möchte, daß wir so spielen: Tick, tick, tick, tick!«, und er hob den Zeigefinger, um die nützliche Erfindung des Herrn Mälzel zu imitieren.
Mengelberg hielt allerdings immer Reden, er war ein Demosthenes von imponierender Beredsamkeit bei Festessen. Ich erinnere mich an ein Bankett in Amsterdam zu Ehren von Respighi. Mengelberg hielt die Festrede; und als er ziemlich am Schluß zu mir hinblickte und wohl merkte, daß ich auf die Uhr sah, nannte er im entscheidenden Augenblick nicht Respighis, sondern meinen Namen. Mengelberg war natürlich nicht boshaft oder kleinlich und nicht einmal ohne Talent als Musiker. Er war nur von einer krankhaften Sucht nach Schmeicheleien.
Otto Klemperer lernte ich in den frühen zwanziger Jahren in Leipzig oder Dresden kennen. Er galt als der größte Könner unter den jüngeren deutschen Dirigenten und als derjenige, der sich den zeitgenössischen Komponisten mit der größten Einfühlung widmete, ein Ruf, den er bis zum Ende der zwanziger Jahre und auch in seinen ersten Amerika-Jahren aufrechterhalten konnte. Klemperer ließ sich manchmal falsche Tempi zuschulden kommen - sie rasten in den zwanziger Jahren genauso, wie sie jetzt zum Schleppen neigen-, aber seine musikalischen Ideen waren oft erstaunlich richtig. Er ist der einzige Dirigent, der den Auftakt zum Sechsachtel-Allegro der Uhren-Symphonie richtig aufbauen konnte, indem er sowohl einen zu starken als auch einen zu schwachen Schlag im ersten Takt vermied und die Betonung für den zweiten vollen Takt aufsparte. Klemperer, dieser große hagere Zyklop von Mann, war merkwürdigerweise auch ein sehr witziger Mensch, wenn man auch nie sicher war, daß er wirklich die Absicht hatte, witzig zu sein.
Die Aufführung meines Klavierkonzerts mit Bruno Walter in den späten zwanziger Jahren in Paris war ein unverhofftes Vergnügen. Ich hatte nicht erwartet, daß dieser »Romantiker« einer älteren Generation fähig sein würde, meine unregelmäßigen Rhythmen zu taktieren oder, wenn ich daran dachte, wie er beim zweiten Satz einer Symphonie langsamer zu werden pflegte, meine metronomischen Tempi zu halten; aber er folgte mir flink wie jeder, mit dem ich dieses Stück spielte.
Wir sahen uns 1935 in New York bei einem Konzert des Komponistenverbandes wieder und danach in Hollywood, wo wir zwanzig Jahre lang Nachbarn waren. Obgleich unser Geschmack und unsere Temperamente - seine weiche Wiener Art und meine charakteristische Neigung zu explodieren - kaum verschiedener hätten sein können, fühlten wir uns in gewisser Weise zueinander hingezogen, wenn auch nur, weil Achtzigjährige sich natürlich als Gegenspieler im Finale respektieren.
Bruno Walter besuchte mich ein paar Wochen vor seinem, Tod und lud mich im Namen des Wiener Philharmonischen Orchesters ein, in Salzburg zu dirigieren. Ich wußte, daß er leidend war, und erbot mich, statt dessen zu ihm zu kommen; aber er wollte nichts davon wissen. Er war lebhaft, herzlich und wie immer äußerst liebenswürdig. Wir sprachen - über Tschaikowskis Opern, und er erzählte mir von seinen Eindrücken auf einer Reise nach Leningrad, die er in den zwanziger Jahren gemacht hatte, um »Pique Dame« zu dirigieren: Er sprach auch von Rudolf Steiner - nicht kritisch, wie ich über so etwas spreche; aber Steiner gehörte zu Walters Milieu. Beim Abschied äußerte ich mein Bedauern darüber, daß wir schon zu lange auf seine Aufnahme von »Fidelio« gewartet hatten, und er sagte, er hoffe, daß ich sie eines Tages hören würde. Aber dieser Tag wird niemals kommen. Bald darauf lag er im Sarg, der »er« noch inkarniert, wie Steiner sagen würde. An der Wand darüber hing eine gerahmte Einladung zu Beethovens Trauerfeier.
Meine erste Erfahrung mit Kussewitzki als Interpret meiner eigenen Musik war die Exekution meiner Symphonien für Bläser durch ihn in London. Danach besuchte er mich in Biarritz, um die Beziehungen zu verbessern und mich einzuladen, bei einem seiner Pariser Konzerte mein Oktett zu dirigieren. Zwanzig Jahre später beförderte er ein Stück von mir zur Gedenkmusik für seine Frau Natalie (eine ehrbare Frau, die, unglücklicherweise immer so aufgeregt wie ein Huhn aussah, auch wenn sie guter Laune war); aber die Aufführung dieser Ode, wie ich sie nannte, war eine neue Katastrophe. Der Trompeter
versah sich in der Tonart seines Instruments und spielte den ganzen Satz einen Ton zu tief. Überdies waren zwei Fassungen der letzten Seite irrtümlich als eine abgeschrieben worden. Sie wurden auch so gespielt, und mein einfaches Dreiklang-Stück endete in einer Kakophonie, die mir jetzt in Darmstadt Ehre machen würde.
Diese plötzliche Änderung der Harmonie erregte jedoch nicht nur keinen Verdacht bei Kussewitzki, sondern er vertraute mir ein paar Jahre später tatsächlich seine Vorliebe für die »ursprüngliche Fassung« an. Aber Kussewitzki spielte in Amerika eine außergewöhnliche Rolle. Er versuchte und erreichte es auch, eine amerikanische Version der Rimski-Schule zu schaffen, eine nationalistische Bewegung, die seine Popularität sicherte, den Aufstieg der neuen Musik aber wahrscheinlich verzögerte. Dabei war er ein außerordentlich großzügiger Mensch, der mehr als jeder andere Dirigent tat, um die Komponisten finanziell zu unterstützen.
Ernest Ansermet stellte sich mir 1911 eines Tages in Clarens auf der Straße vor und lud mich zum Essen ein. Obgleich ich von ihm als Lehrer und Amateurmusiker gehört hatte, erregte sein Äußeres - der Bart - ein unangenehmes Gefühl in mir; im ersten Augenblick hielt ich ihn für jemand, der sich als Scharlatan aus »Petruschka« verkleidet hatte.
Bald darauf wurde Ansermet Dirigent des Kursaal-Orchesters in Montreux, und unsere nächste Begegnung fand im Haus des Chanson-Komponisten Henri Duparc, eines griesgrämlichen Herrn, statt, der im Ruhestand in der Nähe von Vevey lebte (nicht weit von einem Hotel, in dem ich als Kind in den neunziger Jahren gewohnt und einmal die Kaiserin Elisabeth von Österreich gesehen hatte). Ungefähr um diese Zeit, ich glaube, zusammen mit Ansermet, lernte ich auch den Genfer Komponisten Ernest Bloch kennen, einen ganz ungewöhnlichen Mann, den ich in meinen ersten Schweizer Jahren ziemlich häufig sah und viele Jahre später in Portland, Oregon, wiedertraf.
Als Pierné und Monteux 1914 das Russische Ballett verlassen hatten, empfahl ich Ansermet als Nachfolger. Er konnte das Orchester gut ausbalancieren, und er verstand die neue französisch-russische Musik der Zeit. Ich stand in engen Beziehungen zu Ansermet in den zwanziger und dreißiger Jahren und sogar noch 1937, bis er im »Kartenspiel« eine eigenmächtige Streichung vornahm und ein paar Jahre danach anfing, meine Bearbeitungen frühere Stücke zu kritisieren, obgleich er der erste gewesen war, der die Bearbeitlungen von »Feuervogel« und »Nachtigall« von 1919 aufgeführt hatte. Seitdem hat er meine neue Musik mit »Des Kaisers neue Kleider«-Argumenten schlechtgemacht, und er hatte sogar die Kühnheit, sich in einem schweren, aber nicht sehr gewichtigen Buch darüber zu äußern, wobei er Phrasen wie »Conscience logarithmique« gebraucht, was aber nur beweist, und zwar bedauerlicherweise, daß er diese Musik nicht hören noch ihr folgen kann. Trotz alledem habe ich ihn immer noch gern und kann die vielen schönen Stunden, die wir verlebt haben, nicht vergessen. Ich besinne mich auf einen Abend, an dem wir eine Flasche »Framboise« getrunken hatten und er einen Hund spielen wollte und unter meinem Klavier in der Salle Pleyel zu bellen anfing. Es war eine sehr überzeugende Vorstellung.
Leopold Stokowski besuchte mich 1922 in Biarritz. Ich habe ihn als sympathisch und charmant in Erinnerung. Damals sah er wie ein russischer Windhund aus; erst später, in seiner Filmstarzeit, in der er täglich eine Stunde damit verbracht haben muß, die ideale weibische Frisur herauszubekommen und sie exakt zu zerzausen, wirkte er manchmal ungepflegt. Er machte ein gutes Angebot für die amerikanischen Erstaufführungsrechte meiner kommenden Werke, und er zahlte tatsächlich eine Rate des vorgesehenen Betrages, muß aber dann Bedenken wegen der Vereinbarung gehabt haben, da ich nichts mehr von ihm hörte bis zu der Zeit von »Perséphone«, die er auch in Amerika einführen wollte. 1935 oder 1937 besuchte ich ein Konzert von Stokowski in der Carnegie Hall und begrüßte den Maestro in der Pause. Danach sah ich ihn 1942 in Hollywood wieder, als er zu mir kam, um meine Symphonie in C zu besprechen, ehe er daranging, sie mit dem NBC-Orchester aufzuführen. Nur wenige Dirigenten haben soviel wie er dazu beigetragen, der neuen Musik Gehör zu verschaffen, und jetzt als Achtzigjähriger hat er seine Leistungen gekrönt durch die geduldige Vorbereitung und Aufführung jenes erstaunlichen Werkes, der Vierten Symphonie von Ives*. Auch kann kein Dirigent ein Orchester so gut aufbauen wie er, und zwar aus dem Nichts bis zu höchstem Glanz. Die Kunstgriffe, die er lehrte (ebenso wie die beliebte Vorstellung vom Dirigieren als einer Art Taschenspielerei), sind heute noch üblich, zum Beispiel die Methode der Cellisten, ihren Einsatz im Tristan -Präludium zu staffeln, um ein weiches und dichtes Crescendo zu erzielen.
Über die Stabführung von Sir Thomas Beecham wußte ich nicht viel, und ich hörte ihn nie etwas von meiner Musik spielen; aber ich kannte seine Großzügigkeit. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges sandte er mir 2500 Schweizer Franken für den Fall, daß ich von meinen Geldquellen in Rußland abgeschnitten sein sollte. Das Geld kam wie gerufen, da ich die Rückreise meiner Mutter nach Rußland mit dem Schiff von Brindisi nach Odessa, der einzigen noch offenen Route, bezahlen mußte. Beecham war mein erster Freund unter den englischen Musikern und jedenfalls der geistreichste. Wir trafen uns auch in späteren Jahren und waren, obgleich oder weil wir niemals ein Konzert zusammen machten, immer Freunde. Ich sah ihn oft in den vierziger Jahren, und ich besinne mich sehr genau auf zwei besonders lebhafte Abende in seiner Gesellschaft, einen mit Percy Grainger in New York und einen anderen in Mexiko.
Mitropoulos hatte »Petruschka« und die »Geschichte vom Soldaten« aufgeführt; aber als Prophet Mahlers und als Spezialist für die Alpensymphonie** (in der er sich so sicher wie eine Gemse bewegte), konnte er an meiner Musik im allgemeinen nicht interessiert sein. Ich war daher überrascht, als er mich 1945 an einem Sommerabend in Hollywood aufsuchte. Seine Sprache, Französisch mit ein paar slawonischen Brocken, und seine unsicheren Bewegungen machten ihn mir gleich sympathisch. Wir sprachen über die orthodoxe Kirche, und er besichtigte meine Ikonen. Am nächsten Tag hörte ich ihn in Hollywood Prokofjews Drittes Klavierkonzert dirigieren und spielen, eine erstaunliche Entfaltung von Virtuosität.
Leonard Bernstein besuchte mich 1945 eines Tages in New York. Sein Besuch sollte nur ein paar Minuten dauern, nahm aber den ganzen Tag in Anspruch; der junge Bernstein war gesprächig und liebenswert (was er noch ist), und offensichtlich betete er die Musik an (was er noch tut). Er war auch äußerlich attraktiv, sah Loch nicht wie ein Löwe aus, sondern trug einen sehr kleidsamen Haarschnitt. Seitdem ist Mr. Bernstein sehr bekannt geworden - es besteht sogar der Verdacht, daß die Technik seiner Karriere von Raketenspezialisten studiert wird. Ich wäre nicht überrascht, wenn ich demnächst hören würde, daß er mehrere Konzerte zugleich dirigiert, indem er in der Carnegie Hall den Auftakt gibt, dann wegrast, um die ersten Takte eines anderen Konzerts im Lincoln Center zu dirigieren, und immer weiterreist, während seine Untergebenen - denn er ist jetzt eine Firma - einspringen und die verschiedenen Musikstücke zu Ende führen.
Aber wie trostlos wäre New York ohne Leonard Bernstein. Ein paar Tage nach unserem ersten Treffen hörte ich seine Aufführung meiner Psalmen -Symphonie. Uff!
* Amerikanischer Komponist (1874 bis 1954).
** Von Richard Strauss.
Dirigent Strawinski
»Der letzte Große ...
Dirigent Furtwängler
... war der erste Kleine«
Dirigent Stokowski: Weibische Frisur exakt zerzaust
Dirigent Maazel
Wie ein Tambourmajor
Dirigent Bernstein
Wie eine Rakete