ELVIS PRESLEY Galoppierende Tobsucht
Immer Elvis-Wein - das ist der Wein, den auch Elvis getrunken hätte, wäre er Weintrinker gewesen«, fabulierte ein amerikanischer Werbetexter und verhalf damit der Vermarktung von Elvis Presley zu einem vorläufigen Höhepunkt. Das amerikanische Nachrichtenmagazin »Newsweek« parodierte die nekrophile Ausschlachtung mit dem Werbeslogan »Love Me Tender-Brocken« - das Hundefutter, das Elvis gegessen hätte, wäre er ein Hund gewesen.
Auch zehn Jahre nach seinem Tod bürgt das Idol der Rock'n'Roll-Ära für ungebrochene Werbewirksamkeit und verführt nach wie vor alte und neue Fans zum Ankauf unterschiedlichster Waren. Hochkonjunktur hat der Handel mit den Elvis-Artikeln in der Woche vor dem 16. August, seinem Todestag.
Im Mittelpunkt des rührigen Treibens steht Presleys ehemalige Heimatstadt Memphis, dort sind die unsterblichen Überreste im Garten seiner Villa »Graceland« verscharrt.
Organisatorischer Drahtzieher und Träger der finanzträchtigen Leichenschau ist die Firma »Elvis Presley Enterprises Inc.«, die gegen Bares eine Woche lang Veranstaltungen um den teuren Toten zelebriert.
Wenn am kommenden Sonntag die Fans das zehnte Jubiläum des Dahinscheidens von Elvis Aaron Presley beklagen, stünde eigentlich schon der 30. Todestag des wahren »King of Rock'n'Roll« an: Nicht nur der Ex-Beatle John Lennon behauptete, »Elvis starb an dem Tag, als er zur Armee ging«, sondern auch der Großteil der Presley-Biographen.
Nachdem der »wimmernde Zitteraal ... das Backpfeifengesicht«, wie ihn der Kolumnist der »Zeit« noch 1956 wutschnaubend schimpfte, 1958 seine zweijährige Militärzeit absolviert hatte, polte ihn sein Manager Tom Parker rigoros um. Parker, von dem die Legende berichtet, er hätte in seiner Jugend verkauft und der sich ehrenhalber den Titel »Colonel« verpassen ließt kreiert, seinem Vertragspartner ein neues Image: Er wollte keinen Bürgerschreck, den er nur Teenagern andrehen konnte, sondern ein Allround-Produkt für die ganze Familie.
Von dümmlichen Leinwandschinken, deren Dramaturgie bescheidener als die des Fernsehtestbildes gestrickt war, über verschnulzte Weihnachtslieder, die den Rockfans das Ohrenschmalz gerinnen ließen, bis zu Pressemitteilungen, die den ehemaligen »Jugendverführer« als Inkarnation kleinbürgerlicher Moralvorstellungen auswiesen, trat Presley folgsam in jeden Schmalztiegel, den ihm sein Manager in den Weg stellte.
Aus der »Weltgefahr Nr. 3«, gleich hinter dem Atom-Wettrüsten und der »Asiatischen Grippe (Zitat eines amerikanischen Studentenverbandes) entwickelte sich ein antiseptischer Tanzbär, dessen zur Pose verkommene Darbietungen nur noch notorische Hinterwäldler in Rage brachten. Presley wurde plötzlich von der Erwachsenenwelt akzeptiert und war damit für die Teenager-Rebellion gestorben. Das Symbol der einzig originären Revolte, die die Rockmusik jemals hervorgebracht hatte, degenerierte zum bloßen Verkaufsargument für geschmäcklerischen Schwulst.
Im Strickmuster einer Vermarktung, die den erfolgreichsten Show-Star aller Zeiten hervorbrachte, existierte nur eine Masche: Man nehme Elvis Presley und irgendeine Musik, die niemand stört - daraus entsteht eine Elvis-Presley-Platte - man nehme Elvis Presley und irgendwelche exotischen Kulissen - daraus entsteht ein Elvis-Presley-Film.
Produzenten und Regisseure wurden durch Colonel Parker genötigt, ihren Schützling vom jugendlichen Helden zum substanzlosen Werbeträger zu entschärfen. Lippenstifte und Unterhosen, ja, sogar Waschmittel kamen unter Presleys Namen in den Handel - eine Strategie, die auf dem Kompost des geschäftstüchtigen Managers wuchs. Der ideelle Hoffnungsträger einer ganzen Generation wurde zur wandelnden Litfaßsäule.
Bekeifte ihn die Boulevard-Presse noch 1956 als »rasenden Minnesänger, der mit schluchzenden Synkopen Amerikas Halbwüchsige monatelang in die galoppierende Tobsucht des Rock'n'Roll trieb«, lobte ihn schon 1958 der Gouverneur von Tennessee als »jungen Mann,
der bereit ist, seinem Vaterland zu dienen«, und lud ihn ein, vor dem Kongreß seines Heimatstaates eine Rede zu halten. Elvis nahm dankend an und gab wenig später in Pearl Harbor zwei »Arizona Memorial Concerts«, um ein Mahnmal für ein während des Zweiten Weltkriegs versenktes US-Schlachtschiff zu finanzieren.
1961 fiel sogar im fernen Deutschland, wo Presley den größten Teil seines Militärdienstes abgeleistet hatte, eine der letzten Bastionen des Widerstandes: Nach längerer öffentlicher Diskussion zwischen Hörern und Rundfunkanstalten erklärte der Hessische Rundfunk seine Bereitschaft, die Volksweise »Muß i denn zum Städtele hinaus« auch weiterhin in der Presley-Version zu senden - wenn auch nur, um »den verstümmelten Empfindungen des Industriemenschen gerecht zu werden«.
Colonel Parker schuf ein Imperium, in dem der Künstler Elvis Presley bis zur Bewegungsunfähigkeit eingemauert war. Der »King of Rock'n'Roll« wurde von mehreren Biographen übereinstimmend als höflicher Befehlsempfänger, der nur selten aufmuckt, beschrieben. Eingekerkert in sein 18-Zimmer-Anwesen, umgeben von bezahlten Freunden, endeten seine Ausflüge in angemietete Fußballstadien und abgesperrte Schwimmbädern, wo er sich mit seinen Günstlingen unter Ausschluß der Öffentlichkeit verlustieren mußte - eine Strategie, die sich Parker ausdachte, um die Ware Elvis »rar« zu halten und die den Menschen Elvis zerstörte. Sogar »Reader's Digest« berichtete in einer rührseligen Anekdote über die Probleme der unumstrittenen Nr. 1 des Rock'n'Roll: »Einmal, als Elvis erkältet war, fand ihn einer seiner Begleiter im Musikzimmer, wo er 'How great thou art' spielte. 'Wie fühlst du dich?' fragte der Günstling. 'Allein!' antwortete der King.«
Nachdem sich Presley 1968 noch einmal aufgerafft hatte und in einer amerikanischen Fernsehshow, ganz in schwarzes Leder gehüllt, fast so agil wie in jungen Jahren mit derbem Rock'n'Roll ein umjubeltes Comeback feierte, ging es steil bergab.
Im Privatbereich nur noch von Domestiken umgeben, igelte er sich völlig ein und entwickelte sich zum fettsüchtigen Pillen-Junkie, der sich vorzugsweise im Bett aufhielt. In Las Vegas, der vorletzten Ruhestätte abgetakelter Showwracks, führte man ihn in Konzerten vor, die an das kurzatmige Entertainment beleibter Fernsehköche erinnerten und ausschließlich Peinlichkeit versprühten. Daß seine Frau Priscilla mit einem Karate-Lehrer das Weite suchte, gab ihm den Rest. Er, der seit Jahren Widerspruch nur noch von seinem Manager kannte, wurde von der Ehefrau betrogen - ein Schlag, der den mittlerweile Lebensuntüchtigen endgültig scheitern ließ.
Um Gerüchten über seinen obskuren Lebenswandel entgegenzutreten, griff er zu den untauglichsten Mitteln: So diente er sich 1970 sogar dem damaligen amerikanischen Präsidenten Richard Nixon als Drogenfahnder an. 1977 gab er endgültig das Mikrophon ab - in seiner Leiche fand man Spuren von 16 verschiedenen Aufputsch- und Beruhigungsmitteln.
Mit dem Menschen starb keineswegs der Markenartikel gleichen Namens: Elvis Presley ist immer noch der erfolgreichste Künstler des internationalen Showgeschäftes, seine Bilanz beinhaltet bis zum heutigen Tage alle wichtigen Rekorde der Branche: *___149 verschiedene Singles in den Charts (James Brown ____folgt mit 94 auf Platz zwei); *___13237 Single-Chartspunkte, die sich aus den höchsten ____Plazierungen und der Dauer des Chartsaufenthaltes ____errechnen (Beatles folgen mit 6696 Punkten auf Platz ____zwei); *___80 Wochen Platz eins der Single-Charts (Beatles mit 59 ____Wochen auf Platz zwei); *___90 verschiedene Alben in den LP-Charts (Frank Sinatra ____mit 62 auf Platz zwei); *___20050 LP-Chartspunkte (Frank Sinatra mit 17025 auf ____Platz zwei).
Ein Ende des anhaltenden Erfolgs ist auch auf längere Sicht nicht absehbar. In regelmäßigen Abständen erscheinen neue Zusammenstellungen alter Hits, die ab und an mit bisher unveröffentlichtem Ausschußmaterial angereichert sind. Diese Strategie bietet den Vorteil fast unbegrenzter Variationsmöglichkeiten und reicht für Jahrhunderte.
Um den nichtmusikalischen Nachlaß kümmert sich die Firma »Roadshow Merchandise«, deren vornehmste Aufgabe es ist, auch noch den letzten Kragenknopf Presleys gewinnbringend anzulegen. Filme werden vorzugsweise im Doppelprogramm mit Kassenfüllern offeriert, neue Bücher über Presley erscheinen beinahe jeden Monat, Lizenzen für die absonderlichsten Presley-Produkte werden mit der Gießkanne über das Land gestreut.
Rückt der Todestag näher, holt die Presley-Industrie - ähnlich den Anbietern von Weihnachts- oder Osterartikeln - zum alljährlichen großen Schlag aus.
Memphis, das Mekka der Elvis-Pilger, ist der Höhepunkt des allgemeinen Totentanzes. Nach Auskunft des Fremdenverkehrsamtes werden zum Zehnjährigen mehr als 50000 Besucher erwartet. Die Beale Street, eine Straße, in deren Musikkneipen Elvis die ersten Erfahrungen mit Blues- und Country-Musik sammelte, soll zu einer Art Rüdesheimer Drosselgasse umfunktioniert werden. Das von der »Elvis Presley Enterprises, Inc.« organisierte Programm hat auch im entferntesten nichts mehr mit dem Geist des Rock'n'Roll zu tun und erinnert eher an die Passionsspiele in Oberammergau. »Graceland«, der Mittelpunkt der Festspielkatastrophe, liegt auf einem Hügel direkt neben einer ehemaligen Ausfallstraße, die protzig zum Elvis Presley-Boulevard umgetauft wurde. Dort findet am 15. August das »Elvis-Presley-Gedächtnis-Rennen« statt, ein launiges Vergnügen, das den sportlicheren Wallfahrern schon für neun Dollar beschert wird. Fans, die weniger gut zu
Fuß sind, halten sich am »Elvis-Presley-Autorennen« schadlos. Eine im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Rahmen fallende Lustbarkeit wird am 12. August präsentiert: Besucher, die das Hotel »Days Inn« als Absteige gewählt haben, wetteifern dort um das »am schönsten dekorierte Elvis-Fenster«.
Unübersehbar strahlt die Veranstaltung »Elvis - das Vermächtnis im Licht« eine Laser-Show, die als Package-Angebot mit der Ausstellung »Mumien im alten Ägypten« offeriert wird - eine kaum zu überbietende Kombination. Absoluter Höhepunkt des Spektakels ist die »Kerzenlicht-Nachtwache«, eine Prozession der Elvisianer zum Grab, in der Nacht vom 15. zum 16. August. Das Areal wird flächendeckend von Elvis-Musik überschallt, um eine würdevolle Atmosphäre zu garantieren.
Entgleisungen wie in den letzten Jahren sollen heuer ausgeschlossen sein:. Noch mit Grausen erinnern sich einige der jährlich auflaufenden Wallfahrer an eine Episode aus dem Jahr 1985, als ein europäisches Photomodell für unangebrachte Entweihung sorgte: »Sie gab auf dem Weg zum Grab alle möglichen Laute von sich und sah eher wie ein Punk aus. Am Vormittag hatte sie sich zu einer Photoaufnahme so richtig aufreizend auf Elvis' Grab gelegt. Einfach eine Schande! »
Aus allen Ecken der Welt werden Menschen angekarrt, die als sogenannte VIPs in irgendeiner Beziehung zu dem Verblichenen standen und der Nabelshow einen privaten Charakter verleihen sollen. Von Mitgliedern der einstigen Leibgarde Presleys über gebrechliche Anverwandte, die nur noch im Sitzen Autogramme geben, bis zum letzten Handtuchhalter wird kaum jemand ausgespart.
Eine besonders authentische Attraktion residiert in der Nähe von Graceland in einem Souvenirladen. Elvis' Onkel Vester Presley. Der begabte Analphabet gab nicht nur ein Buch über seinen Neffen heraus, das in einer limitierten Auflage als das blaue Buch bekannt wurde, sondern warf in der Folgezeit in gleicher Auflagenstärke auch das gelbe, rote und grüne Buch auf den Markt. Jeweils in einen andersfarbigen Schal gehüllt, präsentierten die Farbwerke den immer gleichen Inhalt.
Parallel dazu bietet der geschäftstüchtige Anverwandte nun das Kochbuch der Familie Presley feil - da Elvis sich in seinen letzten Jahren vorwiegend von Cheeseburgern und Kartoffel-Chips ernährte, anscheinend eine eigene literarische Schöpfung des rührigen Nachlaßverwalters.