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FERNSEHEN / DDR-KONTAKTE Ganz unverhofft

aus DER SPIEGEL 46/1969

Was Mekka für einen Ungläubigen, das ist die DDR für einen westdeutschen Kameramann: Seit fünf Jahren durfte kein TV-Reporter der Bundesrepublik in der Deutschen Demokratischen Republik filmen.

Das hat sich jetzt geändert. Zum 20. Geburtstag der DDR wurde ganz unverhofft ein Gast nach Ost-Berlin geladen, der gar nicht um diese Gunst gebeten hatte: Wolfgang Venohr, Chefredakteur der Produktionsgesellschaft »Stern-TV«. Doch offenbar hatte er sie sich verdient.

In 1050 Programm-Minuten, in insgesamt 27 Fernsehfilmen, Reportagen und Dokumentationen, hatte Venohrs »Stern-TV« im letzten Jahr vorwiegend Ostblock-Aspekte dargeboten, und dies so unparteiisch, so objektiv und bisweilen sogar so wohlwollend, daß die DDR-Kollegen zur Versöhnung neigten. Sie bereiteten Venohr eine Stern-Stunde und öffneten ihm den Schlagbaum.

Allerdings, ganz leicht waren die ersten Kontaktgespräche nicht. Argwöhnisch verlangten Venohrs Gastgeber vom DDR-Presseamt und vom Adlershofer Fernsehen ein schriftliches Konzept des geplanten Reports. Venohr lehnte ab, versprach jedoch einen »reinen Informationsfilm«. Seine Equipe beharrte außerdem darauf, überall und ungehindert in Ost-Berlin filmen zu können. Die Ost-Berliner akzeptierten.

So durfte Venohr zwölf Tage lang durch die ostdeutsche Hauptstadt streifen. Zwei offizielle Begleiter, die dem Team attachiert waren, hatten Anweisung, die Reporter gewähren zu lassen. Wo immer die SED das Staats-Jubiläum feiern ließ, waren die westdeutschen Farbkameras zur Stelle: bei der Ankunft der Partei- und Regierungsdelegationen aus den Bruderländern auf dem Flughafen Schönefeld; bei der Militärparade auf dem Marx-Engels-Platz; beim »Ball der Zwanzigjährigen« in der Kongreßhalle am Alexanderplatz.

Aber damit wollte sich Venohr noch nicht zufriedengeben. Für seine »Impressionen von einer Jubelfeier« (Arbeitstitel), die vom WDR gesendet werden sollen, fragte er den Chefredakteur der FDJ-Zeitschrift »Junge Welt«, ob der Feiertag der DDR nicht zugleich auch ein Trauertag der Spaltung sei, und arrangierte Interviews mit jungen und alten Berlinern. »Kommt bald wieder!« sagten die Alten. Die Jungen, die Blauhemden von der FDJ, riefen: »Stern -- bleib uns fern!«

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