Naherholung "Der Spaziergang in der Natur ist eine Form der Selbstberuhigung"

Park-Idyll: "Die Menschen mussten erst einmal die Auffassung entwickeln, dass Arbeit so etwas wie Naherholungsorte überhaupt braucht"
Foto:Muriel de Seze/ Getty Images
SPIEGEL: Herr Schweizer, aktuell zieht es viele Menschen in Parks, gerade als Pause vom Homeoffice. Warum eigentlich?
Stefan Schweizer: Die Sehnsucht nach Natur ist tief im Menschen verankert, zumal sie ihm immer als etwas Unbeherrschbares erschien. Der Spaziergang in der freien Natur ist als Beherrschungsgeste deshalb an sich schon eine Form der Selbstberuhigung. Gärten und Parks als Erholungsorte in den Städten sind aber tatsächlich eine eher neuere Erscheinung.
SPIEGEL: Wann entstanden Sie?
Schweizer: Bis ins 19. Jahrhundert waren Parks vor allem eine politische Geste. Herrscher ließen sich um ihre Paläste riesige Flächen mit Bäumen und Blumenbeeten errichten, um ihre Fähigkeit der Naturbeherrschung zu demonstrieren. Sie waren daher auch oft zugänglich, denn die Öffentlichkeit sollte davon Kenntnis nehmen. Mit den Partizipationsbestrebungen des Bürgertums entstand der Stadtpark, der jedoch ganz anders konzipiert war.

Günter von Ameln/ Wagenbach
Stefan Schweizer, Jahrgang 1968, ist Kunsthistoriker und Honorarprofessor der Universität Düsseldorf, wo er mehrere Jahre zur Europäischen Gartenkunst forschte. Seit 2012 ist er wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Schloss und Park Benrath in Düsseldorf. Dort leitet er das Museum für Gartenkunst.
SPIEGEL: Und dann?
Schweizer: Die Menschen mussten erst einmal die Auffassung entwickeln, dass Arbeit so etwas wie Naherholungsorte überhaupt braucht. Das kam im frühen 19. Jahrhundert auf. Bis dahin standen lediglich Residenzgärten der besser gestellten Bevölkerung zur Verfügung und wurden natürlich auch von den Hofbediensteten zur Erholung genutzt. Heute integrieren Unternehmen wie Apple oder Google im Silicon Valley Parkanlagen in ihre riesigen Firmensitze. Natur als Ort der Naherholung gehört für viele Firmen inzwischen zu den Standards. In den USA wurde dafür der Begriff Pastoral Capitalism geprägt.
SPIEGEL: Im Homeoffice wird das Zuhause zur Firma; Menschen arbeiten mit dem Laptop auf dem Balkon, gehen zur Kaffeepause in den Garten. Vermischt sich damit räumlich gerade etwas?
Schweizer: Auf jeden Fall, die ersten Schritte zu so einer Vermischung von Wohnraum und Garten fanden aber schon vorher statt. Bis in die frühe Neuzeit waren Gärten etwas, das aufs Land gehörte. In einer historischen Altstadt wie der von Siena werden Sie deshalb bis heute kaum Grün finden. Dass Gärten auch in die Städte kamen, gehört zu den Erfolgen der Urbanisierung. Stadt und Land werden damit zum Konglomerat. Heute ist der Garten in der Stadt heimisch geworden. Diese Entwicklung ist ein Zeichen unserer Sehnsucht, Stadt mit Garten zu verbinden.
Die Hängenden Gärten von Babylon: Vom Weltwunder zur grünen Architektur (Allgemeines Programm - Sachbuch)
Preisabfragezeitpunkt
01.04.2023 09.07 Uhr
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SPIEGEL: Eine enge Verbindung von Stadtraum und Garten beschreiben Sie in Ihrem aktuellen Buchtitel "Die Hängenden Gärten von Babylon". Was macht diese Form von Garten so besonders?
Schweizer: Die Hängenden Gärten von Babylon wurden in den meisten Quellen als Gärten beschrieben, die auf hohen Substruktionen angelegt wurden, die also in der Luft zu schweben schienen. So einen Garten mitten in der Stadt, dazu noch in einer Wüste: Diese Verbindung hatte etwas Utopisches für viele Menschen. Die Hängenden Gärten wurden deshalb immer wieder zu einem Vorbild für spätere Versuche der Gartenarchitektur bzw. des architektonischen Gartens, Natur in die Stadt zu holen.

Wenn Natur auf Stadt trifft
SPIEGEL: Welche neuen Möglichkeiten gibt es heute, Garten und Wohnraum zu verbinden?
Schweizer: Technisch ist heute natürlich viel mehr möglich. Sogenannte Wasserdächer, Flachdächer also ohne Gefälle, lassen sich heute leichter umsetzen. Frost macht uns weniger Probleme. In den vergangenen Jahren kam es zu zahlreichen Projekten mit begrünten Fassaden. Ein Beispiel sind die Hainbuchen, die der Architekt Christoph Ingenhoven für den Kö-Bogen II in Düsseldorf entwarf: Mitten in der Stadt steht heute eine Wand aus Pflanzen, dahinter liegen Büros und Geschäfte.
SPIEGEL: Das sind Beispiele der Renommierarchitektur.
Schweizer: Diese neuen Formen der Grünarchitektur sind leider immer noch auf einzelne Projekte beschränkt. Es gibt aber erste Ansätze im Wohnungsbau und damit für breitere Bevölkerungskreise. Ein Beispiel ist für mich das Projekt Kampung Admiralty in Singapur. Das ist ein Gebäudekomplex in der Stadt, der Seniorenheim, Geschäfte, Arztpraxen und Restaurants verknüpft. Auf mehreren Terrassen hat er einen begehbaren Garten. In den Niederlanden entsteht mit dem "Trudo Vertical Forest" von Stefano Boeri sogar ein sozialer Wohnungsbau. Die Fassaden sollen mit Bäumen und Staudenpflanzen begrünt werden. Natürlich aber gäbe es noch viel mehr Potenzial.
SPIEGEL: Was genau meinen Sie damit?
Schweizer: In den Städten ist Platz ein Problem. Nicht jede Wohnung hat einen Balkon, nicht jedes Haus einen Garten. Hier müsste sich in der Planung noch manches ändern. Einige Stadtbewohner haben zwar einen Schrebergarten. Aber der ist streng genommen nicht zur Erholung gedacht, sondern ein Nutzgarten, mit festen Regeln. Und da sitze ich persönlich lieber im öffentlichen Park als in einer hinsichtlich Bepflanzung und Nutzung reglementierten Kleingartenkolonie. Man müsste das noch mehr in den Köpfen verankern, dass Garten vielseitig sein kann. Dass mehr möglich ist als irgendein fantasieloser Kiesgarten vorm Haus.
SPIEGEL: Was sehen Sie denn persönlich, wenn Sie bei Ihrer Arbeit aus dem Bürofenster schauen?
Schweizer: Den Vorplatz von Schloss Benrath: einen Weiher und mehrere Hektar Parkgelände. Vor ein paar Wochen haben die prächtigen Tulpenmagnolien geblüht. Die gehören im Frühling zu den Höhepunkten im Park. Durchaus ein Paradies.