RUNDFUNK Gebet unterbrochen
Im Düsseldorfer Innenministerium sitzen zwei Radioreporter näher beisammen, als ihnen lieb sein kann. Und wenn es sein muß, fällt der eine dem andern glatt ins Wort.
»Wenn beide Sprecher gleichzeitig eine Durchsage verlesen«, protokollierte ein Akustik-Experte, »so ist es nicht zu vermeiden, daß in den Sprechpausen des einen Sprechers der andere mit fast normaler Lautstärke über den Sender zu hören ist.«
Ein solcher Sprechsalat kann. seit Mitte Juni. aus der »Nachrichten- und Führungszentrale« (NFZ) des polizeilichen Verkehrswarnfunks kommen -- als Service für Autofahrer über das zweite WDR-Hörfunkprogramm sowie über Radio Luxemburg ausgestrahlt. Durch eine inzwischen von den Luxemburgern spendierte Trennwand mit Samtvorhang findet der Chef der WDR-Verkehrsredaktion« Alfred Zerban, »reichlich wenig« gebessert: »Ich sehe ernsthafte Konflikte kommen«
Mit Grund zeigt sich Nordrhein-Westfalens Landessender als bisher einziger Funk-Platzhalter in der NFZ dadurch brüskiert. daß Willi Weyer, Innenminister und WDR-Verwaltungsratsmitglied« ihm einen Vertreter der ausländischen Kommerzwelle zur Seite setzte.
Radio Luxemburg, dessen Pop- und Spotpourris vor allem über Nordrhein-Westfalen niedergehen, hatte schon früher, um den WDR auszustechen und Weyer zu erfreuen, zwölf Limousinen, einen Hubschrauber und vier Flugzeuge zur Beobachtung der rheinischen Verkehrsadern entsandt, Anfang Mai dieses Jahres schien Tim Elstner, dem Direktor des deutschsprachigen Luxemburg-Programms. die Zeit gekommen. den »sehr luxemburgfreundlichen« FDP-Politiker um einen NFZ-Platz zu ersuchen.
Die Bitte wurde prompt erfüllt, und der Minister verband die Einquartierung auch noch mit einer pompösen Zeremonie -- und einer versteckten Rüge für den WDR:
Er ließ sich im Hubschrauber zur Autobahn-Polizeistation Hilden bei Düsseldorf herab, wo sein Pressesprecher dann symbolisch eine Rennflagge schwenkte. Nun endlich, so der Minister. werde auch sein Land. bislang leider ohne Spezial-Autofahrerwelle, ausreichend mit Verkehrshinweisen aus dem Radio versorgt: Das stundenlange Werbe- und Schnulzengemisch von Radio Luxemburg macht es möglich. »Meldungen jederzeit ohne Rücksichtnahme auf das Programm auszustrahlen« (Weyer).
Ein reines Autofahrer-Programm nach hessischem und bayrischem Muster ("hr 3«, »Bayern 3") war ausgerechnet vom WDR-Verwaltungsrat, in dem die Düsseldorfer SPD-FDP-Koalition die Mehrheit hat, ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden. Trotzdem bietet der WDR laut Zerban längst einen »optimalen Verkehrsservice« -- dank seiner Präsenz in Weyers NFZ.
Was immer Polizei-Verkehrskontrolleure an Staus und Karambolagen zwischen Rhein und Ruhr sichten, funken sie in die NFZ, wo die Meldungen (45 000 allein im Jahr 1972) ausgewertet und funkreif formuliert werden.
An normalen Wochentagen fragt die Verkehrsredaktion des WDR diese Hin-
* Mit Radio-Luxemburg-Chefsprecher Jochen Pützenbacher.
weise über Telephon und einen eigenen Sender in Düsseldorf ab. Während der Urlaubszeit jedoch, an Wochenenden und Feiertagen entsendet sie eigens einen Reporter in die Zentrale, der von dort aus alle Neuigkeiten unmittelbar ins laufende Programm sprechen kann.
»Wir gehen«, versichert Zerban. »heute praktisch in jede Sendung rein. wenn es nötig ist. Keine Aktualität fällt unter den Tisch oder wird verzögert« Tatsächlich hat das Zerban -Team schon Hörspiele. Symphoniekonzerte und sogar, an einem Sonntagabend, einen Vortrag über das moderne Gebet unterbrochen, um seine rollende Kundschaft auf den rechten Weg zu lenken.
Außerdem bringen die WDR-Verkehrsreporter -- anders als nun Radio Luxemburg -- ihre Hinweise jede Stunde noch einmal gebündelt und bleiben auch nach 18 Uhr. wenn Luxemburg seinen starken Mittelwellensender abschaltet, bis kurz vor Mitternacht auf dem Posten.
Weyers Gunstbeweis für den ausländischen Kommerzfunk, der auch noch technisch-akustische Probleme schafft, und die kaum verblümte Minister-Empfehlung, lieber das Reklame-Programm als den öffentlich-rechtlichen einheimischen Sender zu hören, scheinen demnach zumindest überflüssig -- und bei einem Mitglied des WDR-Verwaltungsrats doppelt seltsam.
»Auf peinliche Weise«, urteilt denn auch der evangelische Pressedienst »Kirche und Rundfunk«, demonstriere der »janusköpfige« Minister die »Unvereinbarkeit von Staatsamt und Rundfunkamt«.
Das Branchenblatt »Fernseh-Informationen« wurde noch deutlicher: »Um sich selbst und vor allem dem WDR in Zukunft solche Situationen zu ersparen, sollte Weyer als Mitglied des Verwaltungsrates zurücktreten.«