KUNST Gefahr der Spaltung
Die Himmel rühmen meine Werke, was hilft es, wenn ich es nicht merke« -- also sprach Friedrich Schröder-Sonnenstern.
Aber das war schon wieder mal geflunkert. Denn auch als zahnloser Fürsorge-Empfänger von nahezu 80 Jahren, der in Berlin-Kreuzberg in einer schäbigen Bude haust, weiß »Friedrich der Einzige« seinen ihn überdauernden Ruhm wohl zu genießen.
Er weiß: Seine Bilder, bis zu 12 000 und 15 000 Mark hoch gehandelt, hängen im Hause des Baseler Bankiers Richard Dreyfus wie im Palast des französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou.
Anerkannte Kritiker und große Kollegen haben ihm ihren Respekt bezeugt, bedeutende Kunsthallen ihm Ausstellungen gewidmet. Es wurden Filme mit ihm und über ihn gedreht, es werden ihm zu Ehrentücher veröffentlicht:
Im Münchner Carl Hanser Verlag erschien jetzt »Die Pferdearschbetrachtung des Friedrich Schröder-Sonnenstern« mit gesammelten Gedichten, Aphorismen und Prosaversuchen aus Meisters Hand (112 Seiten; 12 Mark).
Gleichzeitig bietet der Lausanner Nervenarzt Alfred Bader eine reich illustrierte Untersuchung des »Falles Friedrich Schröder-Sonnenstern« ("Geisteskranker oder Künstler?« Verlag Hans Huber, Bern; 128 Seiten; 33 Mark).
Naiver Maler oder schlicht meschugge -- das, in der Tat, hat sich gleich dem Doktor Bader schon mancher Zeitgenosse gefragt, wenn er verblüfft und beunruhigt an Schröder-Sonnensterns grotesken Allegorien herumrätselte -- an Bildern, deren Titel etwa lauten: »Meta (-Physik) mit dem Han«; »Pussy, die mondmoralische Kurfürstendammsau«; »Theoriezynus oder die Lebenstheorie oder der Dämon der Vertrocknung und Verdörrung«.
Eine struwwelpeterhaft bunte und dennoch bedrohliche Symbolwelt tut sich da auf; in symmetrischer Ordnung präsentiert sich eine starke Heraldik der Angst, des Jammers, des Hohns und der Flüche: Schreiend rennt ein nackter Mensch, verfolgt von einem geflügelten Sensenmann auf Rädern, in eine weitgeöffnete Muschel mit Haifisch. zähnen; zwischen Schlangenlinien und Pflanzenornamenten, umgeben von Paragraphen, Totenköpfen, Orden und Angelhaken, feixen scheußliche Schimären. Und überall wimmelt es von Krallen und Schwellkörpern, von deutlichen wie raffiniert versteckten Sexualsymbolen, von Phallusohren, Klitorisaugen und hermaphroditischen »Groteskkoppelungen« (Bader),
Solch anarchische Denkmalerei, von den Kritikern abwechselnd der naiven Kunst und dem Surrealismus, der »Phantastischen Figuration« und dem »Art brut« zugeordnet, fordere natürlich, meint Bader, auch den forschenden Blick des Psychiaters heraus.
Denn allzu augenfällig ist in ihr die Häufung »schizophrener Merkmale«, etwa das Überwiegen von »magischen oder allegorischen Darstellungen«; der »Rückfall in archaische, primitive oder infantile Entwicklungsstufen des Ausdrucksgeschehens«; die »Verzerrung« und »Erstarrung des bildnerischen Ausdrucks«; die »anatomischen Veränderungen von Mensch und Tier«.
Für Bader besteht da kein Zweifel: Diese Bilder, Produkte eines »bedeutenden Künstlers«, sind »aus schizophrenem Erleben geboren«. Die Psychose war es, die »wie ein Katalysator einem ursprünglich schöpferischen Talent zum Ausbruch verhalf, das vorher latent und unausgenützt schlummerte«.
Daß eine solche Malerei, »deren Wurzeln im Unbewußten gründen«, noch für den widerwillig faszinierten Kunstkonsumenten verbindlich sein kann, ist plausibel. Sie wirkt nämlich wie ein »Hohlspiegel, in dem wir uns erkennen können": »Irgendwie ahnen wir vor Schröder-Sonnensterns 'Bildmythologemen' die Brüchigkeit unserer psychischen Struktur. Wir sind in Gefahr!«
Eben diese Gefahr, deutet Bader, versuche Schröder-Sonnenstern in seinen Bildwerken voll »verschlüsselter Psychogramme« zu bannen. Sie sind »magische Beschwörungsformeln«, die ihn vor einer »definitiven Spaltung« bewahrenDenn von Spaltung war Schröder, den die »nervös erregbare« Frau eines versoffenen Briefträgers 1892 bei Tilsit in eine Welt der Erziehungsheime, Gefängnisse und Irrenhäuser gesetzt hatte, sein Leben lang bedroht. Ein Leben lang pendelte er, seit seinem 26. Jahr entmündigt, zwischen Wahn und Wirklichkeit, zwischen »Sinnstiftung und Sinnverlust«, zwischen übler Gaunerei und messianischem Sendungsbewußtsein.
Er war im Berlin der zwanziger Jahre der »Geheimrat Dr. phil. Eliot Gnass von Sonnenstern, Fachpsychologe für Uniwissenschaft«, der sich in Wahrsagerei, Heilmagnetismus, Astrologie, Graphologie, gewerbsmäßigem Heiratsschwindel und Erpressung übte. Aber er war auch »Eliot, der Sonnenkönig«, der »Schrippenfürst von Schöneberg«, der eine Sekte gründete und Lebensmittel unters hungernde Volk verteilte.
Gerade in diesem »Nebeneinander von betrügerischer Absicht und selbstüberheblichen Größenideen« sieht Bader »einen der Grundzüge der schizophrenen Personlichkeitsveränderung«. Diese »psychotische Grundstruktur«, meint er, habe verdeckt auch weiterbestanden, als in Schröder-Sonnenstern »der gesunde Teil seiner Persönlichkeit die Überhand gewann«.
Freilich, an hochtrabendem Wahnwitz, das beweist die jetzt bei Hanser erschienene »Pferdearschbetrachtung« des »größten Dichters der Weltgeschichte«, bietet Schröder-Sonnenstern, pfiffig und dreist, binsenwahr und vulgär, auch jetzt noch die Fülle. »Alle Welt hält mich für einen Maler. Dabei sind meine Bilder doch nur die Illustrationen zu meinem literarischen Werk.«
Das allerdings kann Bader nicht einsehen. Zwar, sagt er, variiere Schröder-Sonnenstern in seinen Gedichten oft die gleichen Themen wie auf seinen Bildern
»nur gelingt es ihm dort, Formulierungen zu finden, die über das Persönliche hinausgehen und allgemeine Gültigkeit gewinnen«.
Schröder-Sonnenstern war schon fast 60, als er sich zum »internationalen Malerstar« erhob. Die Kunsthändler frohlockten, der Meister stimmte ein. Bald, entsinnt er sich, hatte er »oft 10 000 Mark in der Tasche, wenn ich ein Bier trinken ging«. Bald auch hielt er sich »Kunstschüler«, die ihm beim unermüdlichen Durchpausen und Variieren seiner rund 60 verschiedenen Bildthemen zur Hand gingen.
Schröder-Sonnenstern. geschäftstüchtig und schlau, war ganz oben. Mochte er in Berlin auch als »der Arschmaler Sonnenstich« verhöhnt werden -- »der Pompidou«, so phantasiert er in seinem Buch, »hat mir sein Du angeboten.« Und »sogar aus Japan, aus Pakistan und Detroit kamen Verehrer angereist«.
Aber auch diese Zeit ist seit Jahren vorbei. Schröder-Sonnenstern sackte ab. Er pfuschte Bilder zusammen, er signierte im Suff, was nicht von ihm stammte. 1968 wurde er wegen »Nahrungskarenz, Alkoholabusus und zunehmender Verwahrlosung« in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Seit zwei Jahren versorgt ihn die Wirtin der »Kleinen Weltlaterne.
Sein Malergenie ist verbraucht, die Kunsthändler wollen nichts mehr von ihm wissen. Doch Bader hat für den lebenslänglichen »Outlaw« einen Trost parat. »Heute«, schreibt er, »gehört Friedrich Schröder der Kunstgeschichte an.«