MEDIZIN / HERZINFARKT Gefahrloser Klimmzug
Das Risiko wächst mit der Karriere, heißt es. Neben Jagd und Jacht, Villa und Flugzeug erwerbe der moderne Erfolgsmensch auch die Aussicht auf ein Leiden, das gleichsam als Status-Symbol gilt -- die sogenannte Managerkrankheit.
Nach gängiger Ansicht der Ärzte wurzeln Herzinfarkt und Gefäßkrankheiten vornehmlich in jener nervösen Dauerspannung, der die Manager-Seele im rauhen Konkurrenzkampf ausgesetzt ist: »Streß«, so schrieb noch vor wenigen Monaten das US-Fachblatt »Journal of the American Medical Association«, »steht in der Liste der Herzgefährder obenan.« Nun aber sind einige Mediziner an der Lehrmeinung ihrer Zunft irre geworden. Dr. Lawrence Hinkle, Spezialist für Psychosomatik an der Cornell-Universität in Ithaca (US-Staat New York) legte die medizinische Häresie in einem Forschungsbericht dar. Hinkles Befund: Aufstrebende Manager sehen sich beim Klimmzug auf den Chef-Sessel kaum ernsthafter vom Herztod bedroht als ein Vorarbeiter, der lebenslang am Fuß der Erfolgsleiter verharrt.
Fünf Jahre lang studierten Dr. Hinkle und seine sieben Mitarbeiter Karrieren und Krankheiten von insgesamt 270 000 Angestellten der Bell-Telephongesellschaft, des größten amerikanischen Fernmelde- und Elektronik-Konzerns. Die Untersuchung umfaßte rund 0,5 Prozent aller in der US-Industrie beschäftigten männlichen Arbeiter und Büroangestellten. Vom Ergebnis der Analyse zeigten sich die Wissenschaftler überrascht: »Es kam etwas anderes heraus so erläuterte Hinkle, »als wir erwartet hatten.«
Wider Erwarten entdeckten die Forscher, daß Herz- und Gefäßleiden unter Hilfsarbeitern, Monteuren und Handwerkern weit heftiger grassieren als unter Angestellten höherer Dienstränge. Die fortgeschrittene Automatisierung in den Werkhallen, so vermuten die Wissenschaftler, befreit die Handarbeiter von körperlicher Anstrengung, beraubt sie aber zugleich eines wirksamen Schutzes gegen Kreislaufkrankheiten.
Dagegen lag der Anteil der Herzkranken bei Direktoren und Abteilungsleitern erheblich niedriger, als das HinkTe-Team angenommen hatte. Verblüfft konstatierten die Mediziner, »daß sogar Leute, die ihren Aufstieg im Gewaltmarsch schafften, nicht häufiger an Herzleiden erkrankten als gleichaltrige Arbeiter mit derselben Dienstzeit. Spitzenkräfte der Telephon-Firma zeigten sich gegen Managerkrankheit noch besser gefeit: Bei Akademikern mit Studienabschluß lag die Zahl der Herz- und Kreislauferkrankungen um 30 Prozent niedriger als bei den übrigen Angestellten.
Den Grund für die robustere Gesundheit der Bosse sieht Hinkle in den Lebensgewohnheiten der Arrivierten: Sie essen und rauchen weniger, trainieren sich schlank und sorgen sich mehr um ihr Wohlbefinden.
Mangel an Mäßigung, angeborene Krankheitsneigung und Schwierigkeiten im Privatleben gefährden die Herzen der Erfolgreichen nachhaltiger als die Anspannung im Berufsleben -- Manager-Streß, so ermittelte Hinkle, bringt Manager nur selten um.
Daß mitunter auch Leitende am Herz-Leiden sterben, will und kann Hinkle nicht widerlegen. Daß aber dieser Umstand Hinkles Ergebnissen nicht widerspricht, verdeutlichte die »New York Times« mit dem Hinweis: »Ob ein Karrieremacher herzkrank wird, steht schon fest, bevor er den Fuß auf die unterste Stufe der Leiter gesetzt hat.«