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LUFTFAHRT Gehätschelter Stahl

Der Bruch eines kaum fingerdicken Stahlbolzens, der ein Triebwerk hielt, war womöglich eine Ursache der folgenschwersten Flugzeugkatastrophe Amerikas.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Das Risiko, weitere Passagiertransporte mit der DC-10 zuzulassen, kann ich nicht verantworten.« Mit diesen Worten begründete Langhorne Bond, Chef der US-Bundesbehörde für Zivil-Luftfahrt (FAA), am letzten Montag das zeitweilige Flugverbot für alle 275 Großraum-Jets dieses Typs in der Welt.

Mindestens einige Stunden, zum Teil einige Tage lang, mußten die Maschinen am Boden bleiben. Die Sicherheitsüberprüfung -- bei der Lufthansa war sie schon ohne behördliche Order in den voraufgegangenen Tagen vorgenommen worden -- galt vor allem einem Bauteil, kaum größer als ein Zeigefinger: Der Bruch eines Bolzens in der linken Triebwerkshalterung hatte nach Ansicht der FAA-Experten Amerikas bisher schwerste Flugzeug-Katastrophe herbeigeführt.

Knapp 900 Meter hinter der Rollbahn des O"Hare-Flughafens bei Chicago, aus einer Flughöhe von gerade 170 Metern, war die DC-10 der »American Airlines«, Flug Nummer 191, abgestürzt. 275 Menschen kamen um.

Mit diesem Unglück gerät ein modernes Großraumflugzeug wieder ins Gerede, das von den Piloten als »wunderschönes, gut konstruiertes Flugzeug« gepriesen wird -- das aber gleichwohl schon mehrmals Anlaß gab, seiner technischen Verläßlichkeit zu mißtrauen.

Dunkelster Punkt in der Geschichte der DC-10 war der »Turkish Airlines«-Absturz 1974 bei Paris (346 Opfer), der eine ganze Serie von Schadenersatzprozessen nach sich zog. Unglücksursache war damals eine ungenügend gesicherte Frachtluke: Durch plötzliches Absinken des Drucks in der Kabine brach der Fußboden und blockierte die Steuerorgane. Die Herstellerfirma, McDonnell Douglas, hatte -- aufgrund mehrerer glimpflich verlaufener Zwischenfälle -- das Problem gekannt, schaffte aber erst nach dem Paris-Unglück Abhilfe.

Auch mit den Triebwerken und deren Halterungen gab es bei der DC-10 bereits Probleme. Schon in ihrem ersten Dienstjahr, 1972, verloren drei Maschinen diesen Typs während des Fluges Triebwerkteile.

Ein Jahr später zerschlugen Triebwerktrümmer über Albuquerque ein Kabinenfenster -- durch den Sog wurde ein Passagier hinausgerissen, der gerade seinen Cocktail hatte trinken wollen. 1975 gingen in New York ein Triebwerk und wenig später das ganze Flugzeug in Flammen auf: Beim Start war ein Schwarm Möwen in die Turbinenblätter geraten. Die Passagiere kamen damals mit dem Schrecken davon.

Diesmal, am vorletzten Freitag bei dem Absturz in Chicago, fanden die Unfallforscher weder an dem abgerissenen noch an einem der übrigen Triebwerke Anzeichen, die auf Schäden an den Turbinen selber hätten schließen lassen.

So konzentrierten sich die Spurensicherer auf den nahe der Startbahn aufgefundenen, gebrochenen Bolzen aus der Triebwerkaufhängung und die zugehörige, gleichfalls beschädigte Halterung. Der Bolzen ist Teil jener den Laien eher schwächlich anmutenden Verbindungskonstruktion, die das tonnenschwere, übermannshohe Triebwerk mit der Tragfläche zusammenhält (siehe Graphik).

Freilich, diese Bolzen sind »aus den gehätschelsten Stählen der Welt gefertigt« (so ein DC-10-Pilot). Sie werden im Prinzip seit Jahrzehnten bei allen Flugzeugen mit Flügel-Triebwerken gleich gebaut und ähnlich angeordnet. Bei der DC-10 werden sie alle 3000 Flugstunden (künftig, auf FAA-Anordnung, alle 100 Stunden) kontrolliert.

Der inkriminierte Bolzen, dessen Stücke gefunden wurden, ist in heilem Zustand etwa neuneinhalb Zentimeter lang und zweieinhalb Zentimeter stark. Er trägt von allen vier Haltebolzen je Flügel-Triebwerk die größte Last: Gemeinsam mit einer Buchse, in die er mit etwas »Spiel« gebettet ist, bildet er das »Schubgelenk«, das heim Flug die Schub- und während des Bremsens bei der Landung die Trägheitskräfte der Turbine aufzunehmen hat.

Die elastische Aufhängung ist beabsichtigt. Eine starre Verbindung wäre weder den starken Kippkräften noch den durch wechselnde Drehzahlen auftretenden Vibrationen gewachsen. Obendrein sind derartige Elemente nach dem »Fail safe«-Prinzip konstruiert und getestet: Sogar nach Bruch des Bolzens soll die Buchse die Triebwerkgondel noch zuverlässig halten.

Schludrige Wartung oder eine Materialermüdung, die bei der Kontrolle verborgen blieb? Wirkte sich die starke Beanspruchung -- mehr als 9000 Starts, 20 000 Flugstunden -- der aus dem Jahre 1972 stammenden Maschine (Baunummer 22) nachteilig aus? Ein Riß, zurückgehend auf eine offenbar schon Jahre bestehende Ermüdung des Materials, wurde an der oberen Abdeckplatte des Triebwerk-Auslegers entdeckt.

Die Fachleute fragten außerdem, warum es dem Piloten nicht gelungen sei, das Flugzeug auch mit den zwei verbliebenen Triebwerken noch in der Luft zu halten. Die entsprechenden, beim Ausfall eines Triebwerks nötigen Handgriffe, so ein DC-10-Kapitän, »werden von uns in der Ausbildung unzählige Male geübt« -- sowohl im Simulator als auch beim Fliegen. Der Kapitän: »Die dabei auftretenden Trimm-Probleme lassen sich ausgleichen.«

Am O"Hare-Flughafen in Chicago hingegen war die Maschine seitlich abgekippt und »wie eine Pflugschar in den Boden gestürzt« (Augenzeugenbericht). Der gebrochene Bolzen, meinen einige Unfall-Forscher, könne nur eine Teilursache des Desasters gewesen sein. Verhängnisvoll wirkte sich aus, daß die abgerissene Turbine in kritischer Fluglage ("mit wenig Luft unterm Kiel") über die Tragflügelkante nach oben kippte und dabei »schwerste Sekundärschäden« anrichtete.

Möglicherweise gingen dabei, trotz eingebauter Sicherheitsventile, alle drei Hydraulik-Systeme zu Bruch -- die Maschine wurde steuerlos.

»Ich will Ihnen sagen«, gestand FAA-Chef Band letzte Woche vor Pressevertretern, »was das hier ist -- eine Niederlage. Jedesmal, wenn wir so einen Unfall haben, ist das eine Niederlage für die FAA, für die Konstrukteure und für die Hersteller.«

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