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VERKEHRS-WARNFUNK Geist im Gebüsch

aus DER SPIEGEL 47/1965

Der Testwagen fuhr auf der Autobahn südwärts, Richtung Hannover. Aus dem Autoradio tönte Musik. Plötzlich, bei Kilometer 116, nahe der Abfahrt Berkhof, wurde das Rundfunkprogramm unterbrochen, und aus dem Lautsprecher drang eine Stimme:

»Achtung, Verkehrsfunk - bitte beachten Sie nachfolgende Meldung. In Ihrer Fahrtrichtung besteht eine Verkehrsstauung ... Benutzen Sie die nächste Autobahnausfahrt und folgen Sie der gekennzeichneten Umleitung auf der Bundesstraße.«

Zweimal wurde die Meldung wiederholt, dann knackte es erneut im Lautsprecher, und das Musik-Programm setzte wieder ein. Der Wagen hatte Kilometer 119 passiert: das Ende einer Versuchsstrecke, auf der Ingenieure des Elektro-Konzerns Telefunken derzeit ein neuartiges Hilfsmittel für Autobahn-Kraftfahrer erproben: ein »ortsselektives« Verkehrswarnfunk-System. Die Funk-Neuheit von Telefunken soll die bislang üblichen Verkehrsdurchsagen ablösen, die von den Runkfunksendern ausgestrahlt werden. Dem Autofahrer nütze es wenig, meinen die Telefunken-Konstrukteure, wenn er im Teutoburger Wald erfahre, daß in Hamburg die Steinstraße gesperrt, und wenn er an der Isar hören müsse, daß es im Rheintal neblig sei.

Statt dessen soll das neuartige Warnfunk-Netz, wie Telefunken-Direktor Rudi Mantz erläuterte, den Automobilisten »gezielte, individuelle Information« zustrahlen können: Als sei ein ortskundiger Schutzgeist im Gebüsch des Mittelstreifens gegenwärtig, bekommt der Wagenlenker jeweils kurz vor Erreichen eines kritischen Autobahn-Abschnitts nützliche Hinweise - auf eine Wochenend-Verstopfung oder Unfall-Stauung, auf Glatteis- oder Nebelfelder, und die entsprechenden Empfehlungen dazu.

Der Geister-Zuspruch beruht auf einem elektronischen Effekt, den der englische Physiker Michael Faraday (1791 bis 1867) vor über einem Jahrhundert entdeckt hat: Kernstück des Warnsystems, das Telefunkens Entwicklungsleiter Günter Bolle konstruierte, sind sogenannte Induktionsschleifen, kilometerlange Leitungsdraht-Ösen, die jeweils vor den Autobahn-Abfahrten in den Boden versenkt werden sollen.

Ein Muster solcher Ösen-Anlagen wurde an der Teststrecke nahe Hannover installiert: In einer 30 Zentimeter tiefen Rille verläuft das Spezialkabel drei Kilometer weit entlang der Fahrbahn, dann durch eine der Asphalt -Trennfugen quer über die Fahrbahn bis zum Mittelstreifen und von dort zurück,

- bis zu einem Kleinsender, in dessen

Innern ein Sortiment von Warndurchsagen auf Tonbändern gespeichert ist.

»Eine solche Induktionsschleife«, so erläuterten Telefunken-Ingenieure das Prinzip der Warn-Schlinge, »begrenzt das Sendefeld auf die von ihr umschlossene Fläche.« Nur in den Autos, die gerade über das umdrahtete Fahrbahnstück hinwegrollen, kann die Warnmeldung aufgefangen werden. Auf diese Weise können viele Warnsender in unmittelbarer Nachbarschaft auf der gleichen Wellenlänge arbeiten, ohne sich gegenseitig zu stören. Jeder Autobahn-Benutzer hört jeweils nur die Warnmeldung, die sich auf die unmittelbar vor ihm liegende Wegstrecke bezieht - schon auf der danebenliegenden Gegenfahrbahn kann ein anderes Warnprogramm ausgestrahlt werden.

Die unterirdischen Drahtschlingen sollen, so die Idee der Konstrukteure, jeweils kurz vor den Autobahn-Abfahrten verlegt werden. Jede Warnschleife müßte mit einem eigenen Kleinsender und einem 24spurigen Spezial-Tonbandgerät ausgerüstet sein, das - nach den Funkbefehlen einer Zentralstelle - entweder Routine-Warnungen über Glatteis, Nebel und Umleitungen oder eigens aufgesprochene aktuelle Unfallmeldungen abspult.

Etwa 800 solcher Drahtschleifen-Anlagen, so schwebt den Telefunken-Ingenieuren vor, würden gebraucht, um das westdeutsche Autobahnsystem - nach dem Muster der Blockstrecken bei der Eisenbahn - mit einem kompletten Warnfunk-Netz zu überziehen. Geschätzte Gesamt-Baukosten für ein solches bundesweites Schleifen-Netz: 56 Millionen Mark - so viel, wie elf Kilometer neuer Autobahn kosten.

Bislang reagierte das Bundesverkehrsministerium mit skeptischer Zurückhaltung auf den Vorschlag der Telefunken-Leute. Doch nicht nur die Bundeskasse muß sich öffnen, wenn die Warnnetz-Idee verwirklicht werden soll. Auch die Automobilisten, die sich von dem neuartigen Schleifen-Warnfunk auf stauarme Abwege leiten lassen möchten, werden Einstand zahlen müssen: Die derzeit handelsüblichen Autoradios sind für den Warn-Empfang noch nicht geeignet.

Die Telefunken-Ingenieure offerieren zweierlei zur Wahl: ein knapp zigarrenkistengroßes Transistorgerät, das ausschließlich die Schleifen-Hinweise empfangen könnte, oder eine Zusatzapparatur, die an herkömmliche Auto -Super angeschlossen wird und dann selbsttätig das Radioprogramm unterbricht, sobald sie eine Warnmeldung einfängt.

Die Telefunken-Preisdesigner brachten die beiden technischen Versionen auf einen gemeinsamen Nenner: Jedes der Geräte soll zwischen 50 und 70 Mark kosten.

Telefunkens schwer zu durchbrechender Teufelskreis: Die Geräte werden erst gekauft werden, wenn die Sendeanlagen gebaut sind. Die aber haben nur Sinn, wenn auch genug Autofahrer mit Empfängern ausgerüstet sind, um die Warnungen mithören zu können.

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