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VÖLKERKUNDE Geister im Holz

Uralte Mythen gewinnen neuerdings Gestalt: Ein deutscher Mediziner erforschte die erst jüngst entstandene Schnitzkunst der Eingeborenen Malaysias.
aus DER SPIEGEL 36/1976

Bès Taji fliegt nachts in einer dunklen Wolke. Blitze stieben, wenn der Geist seine armlangen Zähne zusammenschlägt. Wer davon getroffen wird, heißt es, »spürt Schmerz in der Brust« und muß alsbald sterben.

Bès Sengech sitzt auf einer Wurzel, die über einen Fluß ragt. Wehe dem, der mit dem Geist im Fluß badet -- er wird noch zu Hause vor Kälte zittern.

Bès Ntang wiederum hält sich im Dschungel auf. Wer seinem Baum zu nahe kommt, wird in die Ohren gebissen, die dann lang und länger herabhängen.

Derart und meist auf gefahrvolle Weise beseelt, stellen sich die »Orang Asli«, die Eingeborenen von Malaysia, noch immer die Natur vor.

Zwar haben sich in dem südostasiatischen Vielvölkerstaat Einflüsse von Islam, Buddhismus und Hinduismus unentwirrbar gemischt. Und auch die Bewohner entlegener Dörfer sind mit Wellblech und Büstenhalter, den Pionier-Errungenschaften kolonialer Entwicklungshilfe, längst vertraut.

Doch etliche Restminderheiten der vormalaiischen Völker hielten am althergebrachten Animismus fest, der Vorstellung von vielen allwaltenden Kräften. Und die meisten ihrer mythischen Geschichten konnten sie bis in die Gegenwart überliefern.

Kaum gebrochen hielt sich diese Tradition etwa bei den Mah-Meri, einer 1300 Menschen umfassenden Gruppe im malaysischen Küstenstreifen an der Malakkastraße. Mit abendlichen Erzählungen führen die Eltern ihre halbwüchsigen Kinder in die Geisterwelt ein.

Seit knapp zwei Jahrzehnten stellen die Mah-Meri und ebenso die Jah-Het. eine im zentralen Dschungelgebiet siedelnde 1900köpfige Gruppe, ihr Pandämonium sogar greifbar vor: Angeregt von Betreuern der Eingeborenenbehörde, fertigen Holzschnitzer in einigen Dörfern Skulpturen der Geister.

Ein Außenseiter, der deutsche Mediziner Roland Werner, hat nun diese merkwürdige, am Rande der Zivilisation neuentstandene Volkskunst studiert. Der globetrottende Professor hatte sich stets, neben seiner klinischen Arbeit in Indonesien, Nigeria und im Irak, für Land und Leute interessiert -in Malaysia aber begann Werner, um die magischen Praktiken der Eingeborenen-Medizin näher kennenzulernen, eine ethnologische Zweitkarriere.

Bereits als er 1967 an die Universität von Kuala Lumpur kam, waren ihm im malaysischen Nationalmuseum hölzerne Bildwerke der Mah-Meri und Jah-Het aufgefallen. Der Klinikchef suchte Kontakt zu den Orang Asli; sechs Jahre lang konnte er dann ihre Lebensgewohnheiten beobachten, durfte bei Festen photographieren und bei einer Heilungszeremonie sogar einen Fernsehfilm (mit TV Malaysia) drehen.

Als erste völkerkundliche Ausbeute schrieb der Hals-, Nasen- und Ohren-Facharzt eine Untersuchung über ein eigentümliches Musikinstrument der Orang Asli, das ihn von Berufs wegen faszinierte: die Nasenflöte. Inzwischen veröffentlichte er, von der Krupp-Stiftung gefördert, zwei umfangreiche Dokumentationen der Schnitzkunst*. die

* Roland Werner: »Mah-Meri«. 512 Seiten: 57 Mark. -- »Jah-Het«, 628 Seiten: 90,50 Mark. Beide Penerbit Universiti Malaya, Kuala Lumpur (für den bundesdeutschen Buchhandel über Importbuchhandlung Hans Heinrich Petersen, Hamburg).

er überdies mit einer Ausstellung im Bremer Rathaus vorstellte.

Gemeinsam ist diesen Vollplastiken das Groteske, bei den Mah-Meri barock lebendig, bei den Jah-Het strenger statuarisch ausgeprägt. Zumeist sind es maskenhafte Köpfe mit übergroßen Zähnen, Zungen, Höckernasen oder Hörnern, denen verrenkte Gliedmaßen oft ohne Rumpf anhängen.

Nur zum geringen Teil scheint das Material, der Rundholzklotz, die Formen zu bestimmen. Werner entdeckte darin vielmehr eine Reihe geometrischer Muster wie Kugel, Dreieck und Kreissegment, die nur schwer aus dem Stamm zu schneiden sind.

So jung diese Kunst auch ist, erläutert Werner -- sie entbirgt eine Ikonographie, die aus dem kultischen Brauchtum stammt. Wohl gibt jeder Schnitzer seinen Verkörperungen der mehr als 1000 Geister individuelle Züge; das jeweils Typische aber ist als symbolisches Grundmuster nicht zu verkennen.

Der Flußgeist Sengech beispielsweise hockt selbst in Fröstelhaltung mit über der Brust gekreuzten Armen, und seine Zähne scheinen vor Kälte zu klappern. Sengat. der nach Sonnenuntergang im Winde schwebt und juckende Pein verursacht, trägt auf dem Kopf eine ganz augenfällig kratzende Säge.

Solche Grundmuster, erklärt Werner, haben ihren Ursprung in den »sepili« -- kleinen, kunstlos geschnitzten Geisterfigürchen, die seit je von den Jah-Het verfertigt wurden: Die Medizinmänner bannen die Krankheiten ihrer Patienten in das Holz.

Nach der Heilungszeremonie werden die dann als gefährlich erachteten Figürchen in einen Fluß geworfen. Die großen, sorgfältig gearbeiteten Skulpturen dagegen spielen in den Riten keine Rolle; sie sind für den Verkauf bestimmt. Doch sie gaben erstmals Aufschluß über die sonst durch Tabus verschlossene Naturphilosophie der Orang Asli.

Schon werden die malaysischen Geister-Bildwerke außer von heimischen Museen auch von Touristen gesammelt. Die Gefahr besteht, resümiert Professor Werner, daß unkritischer Handel die Schnitzer zu sinnentleerter Serienfertigung verleitet -- die in mythischen Bezügen wurzelnde Kunst würde, eben erst entstanden, bald zu Airport-Folklore verkommen.

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