
Gleichberechtigung »Gendersprache« und Vorstandsquoten, nichts könnte mir egaler sein


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Es gibt Themen, die werden interessanter, je mehr man darüber hört. Und es gibt Themen, die werden langweiliger. Letzteres ist bei mir persönlich beim Thema »Gendersprache« der Fall, allerspätestens seit das Thema so genannt wird. Ich würde es »geschlechtergerechte Sprache« nennen, aber »Gendersprache« ist natürlich praktischer für Gegner*innen, denn es klingt, als wäre es eine ganz neue Sprache, die man erst mühsam lernen muss. Funny, weil die allermeisten Wörter darin dieselben sind wie im gewohnten Deutschen von vor zig Jahren, aber gut.
Ganz ehrlich, ich hasse das Thema inzwischen. Bitte nicht falsch verstehen und sorry an alle Linguist*innen, deren Arbeitsfeld das ist, ich habe selbst schon Buchseiten darüber vollgeschrieben, aber ich würde am liebsten die nächsten Jahre nichts mehr über das Thema Gendersternchen oder Unterstrich etc. lesen oder hören. Natürlich ist es relevant, wie man gendert, wenn man spricht oder schreibt. Alle Argumente fürs geschlechtergerechte Gendern sind richtig und wichtig. Aber: Nicht so wichtig, dass sie bezüglich Geschlechtergerechtigkeit das Hauptthema sein sollten.
Niemand ist so besessen von »Gendersprache« wie Konservative und Rechte. Für sie ist es ein praktisches Thema, denn so kann man über Gleichberechtigung reden, ohne über Gleichberechtigung zu reden: Plötzlich geht es nicht mehr um Repräsentation verschiedener Menschen, sondern darum, das bitte keine Eliten irgendwem was vorschreiben sollen, blabla. Lustigerweise hat dann neulich der Hamburger CDU-Chef (Elite, oder?) Christoph Ploß ein Verbot geschlechtergerechter Sprache in Ministerien, Unis und Schulen gefordert. Ein Argument von Ploß war, dass »eine Syrerin oder ein Afghane« Wörter wie »Zu-Fuß-Gehenden-Zone« nicht verstehen könnten. Mann, wie peinlich kann es werden? Als ob auf der Problemliste geflüchteter Menschen in Deutschland geschlechtergerechte Sprache irgendwo auf den Plätzen 1 bis 1.000 auftauchen würde, im Gegensatz zu, sagen wir mal, Abschiebungen. Die Idee, dass das generische Maskulinum (also: nur die männliche Form) verständlicher ist, wurde inzwischen wissenschaftlich widerlegt, übrigens.
Aber gut, dann sollen sie es halt verbieten, wenn sie wollen. Glaubt irgendein Politiker, der Wörter wie »Schüler*innen« verbieten will, dass er damit eine Bewegung aufhalten kann? Ist das der Wahlkampfbeitrag der CDU/CSU zum Thema Gleichberechtigung? Bisher nämlich sonst nicht viel gehört. Wie lächerlich ist das? Und gefährlich.
Ob Ministerien oder Unis »gendern«, interessiert mich so sehr wie die Auswahl der Türklinke, wenn ich ein Haus bauen will. Sollte man drüber nachdenken, kann man aber auch später noch mal ändern. Und zwar leichter als das Fundament oder die tragenden Mauern. Mich interessiert vergleichsweise wenig, wie Gesetzestexte gegendert sind, solange alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird.
Das ist nicht polemisch gemeint, sondern exakt so, wie es da steht. Ja, Sprache und Macht hängen eng zusammen, aber nicht so eng, dass man beim Thema Gleichberechtigung nur noch über Sprache reden sollte.
Oder über Vorstandsquoten, das Thema gibt es ja auch noch, klar. Angeblich sehen wir gerade einen »Meilenstein für die Frauen in Deutschland« (Justizministerin Christine Lambrecht), mit der nun beschlossenen Frauenquote für Unternehmensvorstände. Ein Meilenstein? Wir reden hier über rund 70 Unternehmen, also bessere Jobaussichten für rund 70 Frauen mit eh schon sehr guten Jobaussichten. Das ist aus feministischer Perspektive: nichts. Komplett uninteressant. Wirklich. Muss man das erklären?
Ja, es ist gut, wenn Vorstände oder Aufsichtsräte – oder welche Gremien und Gruppen auch immer – nicht nur aus Männern bestehen. Aber mit einem Gesetz wie der Vorstandsquote ändert sich erst mal nur was für diese rund 70 Frauen, die in diese Vorstände gehen werden. Ob sie irgendwas für mehr Gleichberechtigung tun, ist nicht ausgemacht. Klar ist es schlimm, wenn es in deutschen Vorständen mehr Thomasse und Michaels als Frauen gibt. Gemischte Teams sind erfolgreicher, ja. Aber erfolgreicher worin? Im Ausbeuten? Mich interessiert nicht wirklich, ob Vorstände divers sind, mich interessiert, warum Vorstände oft so grotesk viel mehr verdienen, als die Menschen, denen sie vorstehen. Und: Warum die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern in Deutschland immer größer werden. »Meilenstein« am Arsch, Männer bekommen im Schnitt monatlich 1192 Euro mehr brutto, und das ist ein Problem.
Die relevanten feministischen Themen sind nicht Gendersternchen in Gesetzestexten oder Frauenquoten für Vorstände. Die relevanten Themen sind finanzielle Abhängigkeit und Gewalt, und da tut sich extrem wenig, beziehungsweise: Es wird schlimmer. Da sind Nachrichtensprecher*innen, die das Gendersternchen mitsprechen, oder Quoten für Spitzenjobs vielleicht die berühmten »kleinen Schritte«, aber halt kleine Schritte, die nicht von großen Rückschritten ablenken sollten.
Es war schon immer ein Argument der Gegner*innen geschlechtergerechter Sprache, dass eine angepasste Sprache allein ja keine Gleichberechtigung herstellt. Völlig richtig. Aber gerade jetzt, wo sich durch die Pandemie eigentlich ganz andere massive Probleme noch verschlimmert haben, soll jetzt über Gendersternchen diskutiert werden? Es ist nichts als ein Ablenkungsmanöver.
Mich interessiert auch nicht, ob laut einer Umfrage 65 Prozent der Deutschen gendergerechte Sprache ablehnen . Klar, wenn ich die »Welt am Sonntag« wäre, würde ich solche Umfragen auch in Auftrag geben. Aber: Es ist wirklich egal. Eine andere Umfrage, vom Winter, die weniger Aufmerksamkeit bekam: Thema Haus- und Familienarbeit in der Pandemie. Fast 70 Prozent der Frauen gaben an, dass sie zu Hause die Arbeit erledigen. 43 Prozent sagten, dass sie Familie und Beruf schwerer vereinbaren können als vor der Pandemie.
Mich interessiert, wie es den Frauen geht, die von ihren Männern geschlagen werden und sich nicht trennen können, weil sie keine Wohnung finden. Oder, weil die Frauenhäuser überfüllt sind. Mich interessiert, wie es den weltweit mindestens 1,4 Millionen Frauen geht, die in der Pandemie ungewollt schwanger geworden sind. Mich interessiert, ob sie es bleiben mussten. Mich interessiert, wie viele Mädchen zwangsverheiratet werden, auch in Deutschland. Mich interessiert, was wir tun können, damit LGBTIQ-Jugendliche nicht mehr überdurchschnittlich oft depressiv sind oder Suizid begehen. Und was gegen die steigenden Zahlen beim Thema Gewalt gegen Kinder getan werden soll.
Mich interessiert, warum Abtreibung in Deutschland immer noch nicht legal ist und warum es weltweit 900.000 Hebammen zu wenig gibt. Mich interessiert, wie viele Menschen sich Verhütung nicht leisten können. Mich interessiert, warum Endometriose bisher so wenig erforscht wurde, obwohl so viele Frauen darunter leiden. Mich interessiert, warum Herzinfarkte bei Frauen oft so spät erst erkannt werden. Mich interessiert, wie man transfeindliche Gewalt – auch durch den Staat – beenden kann und wie man Frauen mit Behinderung vor Gewalt schützen kann. Mich interessiert, warum Männer so selten zur Therapie gehen und warum sie so wenig Elternzeit nehmen und warum sie das damit begründen, dass sie halt mehr verdienen als ihre Frau und dann aber, wenn es auf den Gender Pay Gap kommt, die Lohnlücke so fleißig kleinrechnen. Mich interessiert, wie man sexualisierte Gewalt an Schulen, Theatern, in der Kirche, beim Film und generell bekämpfen kann.
Ja, es ist selbstverständlich auch Trotz, wenn ich sage, dass mich so etwas wie geschlechtergerechte Sprache im Moment vergleichsweise wenig interessiert, während Konservative und Rechte so darüber ausflippen. Aber das ist Trotz mit Recht. Inzwischen wäre ich sogar froh, wenn die Bundesregierung im Eilverfahren noch schnell vor der Sommerpause »Gendersprache« verbieten würde. Dann wäre diese elende Ablenkungsshow endlich vom Tisch.