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THEATER Genialer Schritt

Jahrelang hat der Dramatiker Peter Weiss mit seinen Lehrstücken wenig Erfolg gehabt. Sein »Hölderlin« jedoch, ein historisches Schauspiel wie einst der »Marat«, gilt schon jetzt als Favorit der Theatersaison.
aus DER SPIEGEL 38/1971

Einst hatte er mit der Polit-Parabel vom revolutionären »Marat« den »neuen Morgen des deutschen Dramas« grauen lassen. Das war 1964. All die Jahre danach bereitete Peter Weiss mit seinen Stücken dann eher Verdruß:

Seine szenischen Reportagen über den Auschwitz-Prozeß, über Vietnam oder die portugiesische Kolonialpolitik in Angola, vor allem aber das 1970 uraufgeführte Lehrstück von »Trotzki im Exil« waren für viele Kritiker nicht mehr als »Schulfunk«; westlichen Kunst-Konsumenten schienen sie zu didaktisch, östlichen Genossen zu reaktionär.

Nun hat der Deutschland-Emigrant und schwedische Staatsbürger Weiss ein neues Stück geschrieben. Es heißt »Hölderlin« und gilt schon jetzt als Favorit der gerade begonnenen Theatersaison. Nach der aufs kommende Wochenende in Stuttgart angesetzten Uraufführung wird der personenreiche Zweiakter (33 Sprechrollen) innerhalb von 14 Tagen in Basel, am Hamburger Schauspielhaus, in Krefeld und am Berliner Schiller-Theater gespielt -- elf weitere Inszenierungen an deutschen Bühnen sind schon gebucht.

Sie zeigen eine Montage aus politischer Diskussion. Theater auf dem Theater, Volksszenen und Familienidylle. In Knittelversen, in rhythmisierter Rede und im Balladenton präsentiert Weiss wieder jene beim »Marat«, dem Welttheater im Irrenhaus, so erfolgreiche Vielfalt theatralischer und sprachlicher Formen -- und wie im »Marat« ist der Titelheld ein gescheiterter Revolutionär.

Denn der schwäbische Dichter Friedrich Hölderlin (1770 bis 1843), so hat der Marxist Weiss unter anderem beim französischen Germanisten Pierre Bertraux gelernt, war keineswegs nur der Griechenjüngling, der mit »zarter Seele« das »heilig Herz der Völker« besang und um Diotima klagte, »Von Hölderlins drei großen Erlebnissen, dem Wesen der Griechen, der Liebe zu Suzette Gontard und der Revolution«, so Bertraux, »ist das letztere das entscheidende gewesen.«

Die große Französische Revolution von 1789, belegt Bertraux in einer Studie über »Hölderlin und die Französische Revolution«, hatte schon den Tübinger Stift-Schüler wie seine Stubengenossen Hegel und Schelling etwa zur Errichtung eines Freiheitsbaumes am Jahrestag der Revolution angeregt. Der Herzog von Württemberg tadelte daraufhin den Rektor wegen der »democratischen und anarchischen Gesinnung« an seinem Institut. 1798 hatte Hölderlin dann engen Kontakt zu Revolutionären in Rastatt und war sogar später Mitwisser eines Mordanschlags auf den Landesherrn.

War Hölderlin ein Jakobiner? Bertraux behauptet es. Er versucht sogar zu beweisen, daß »Hölderlins ganzes Werk eine Metapher der Problematik der Revolution« ist und viele Stellen im Dichter-Werk verschlüsselte revolutionäre Botschaften für Gleichgesinnte sind. Für Peter Weiss, den konsequenten Idealisten, ist der schwäbische Kollege schlicht das Urbild des revolutionären Visionärs (siehe Interview Seite 166).

In seinem »ThrauerSpiel«, so nennt Weiss seinen »Hölderlin« in altertümlich Hölderlinscher Orthographie, zeigt der Dramatiker den Weg des Dichters vom Tübinger Stift über die Hauslehrer-Posten bei Kalb in Waltershausen und bei Gontard in Frankfurt, bis hin ins Irrenhaus und in den Tübinger Turm, wo er, nach gängiger Philologen-Meinung, die letzten 36 Jahre seines Lebens in geistiger Umnachtung verbrachte. Doch der Wahnsinn, so deutet Weiss des Sängers Los, war der »letzte geniale Schritt« eines unbeirrbaren Anhängers der Revolution, der sich lieber ins Verstummen flüchtete, als seine Ideale preiszugeben.

Da sind, zeigt Weiss in seinem Stück, die Zeitgenossen Hölderlins, die Intellektuellen Hegel und Fichte, von anderer Natur. Noch in der ersten Szene. »worinn Hölderlin und seine Studien-Freunde das Wesen der Freyheit erörtern«, doziert Hegel: »Auf dieser Erde wird das Reich Gottes democratisch sich verwircklichen.« Doch beim Fest im Hause Gontard (5. Szene) preist er dem Hausherrn »ErfindungsReichthum« und »unthernehmerische HandlungsStärke« und verkündet schließlich, als Rektor der Berliner Universität: »Teutschlands Aufgabe ist es, die Welt zu regieren.«

Auch Fichte, für den einmal »Revoluzion MenschenRecht« war, plädiert als Professor (4. Szene) für einen starken Nationalstaat, in dem »jedem das Seinige zukomme«.

Im »Reformismus des alten Hegel« sieht Weiss »die Gestalt des Sozialdemokraten«; den am Widerspruch zwischen revolutionärer Theorie und revolutionärer Praxis gescheiterten Fichte deutet er als »ewigen Liberalen«.

Zum Beginn des zweiten Aktes hat Weiss noch einen anderen Revolutionär parat: den »Empedokles«, den Hölderlin im Weiss-Stück seinen Freunden deklamiert. Der Griechenheld jedoch wird von Weiss zu einem zeitgenössischen Freiheitskämpfer verfremdet. Dieser Empedokles, der »nach Athem ringend« in den »Einöden des Landes« sich seinen Weg mit »Machetas« bahnt und den »Widerstand der Sclaven in den Silberminen« schürt -- den »nach ihm Kommenden zum Vorbild« -, ist ein wahres Che-Guevara-Double.

Das Bühnenspiel von gescheiterten Revolutionen und resignierenden Revolutionären, in dem Weiss natürlich »nicht nur vergangne Tage« spiegelt, endet tröstlich:

In den Turm des alten Hölderlin tritt: der junge Karl Marx. Er ist der Sendbote einer besseren, zukünftigen Welt. Er heißt hoffen. Zur Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeiten, tröstet er den in der Isolation verstörten Dichter, kann der poetische Visionär genauso beitragen wie der revolutionäre Theoretiker.

Eine schöne These, in der Tat. Nur: Weissens Zeitgenossen im sozialistischen Apparat haben sie, zu Weissens Leid, bis heute verworfen.

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