
Geschlechterkampf Gendergaga ist eben kein Gaga


Weiblichkeit wird immer noch als passiv und fragil interpretiert
Foto:Elizabethsalleebauer / RooM RF / Getty Images
Liebe Menschen, und Politiker*innen, werte CDU.
Ihr langweilt.
Gendert doch bitte, oder lasst es,
kümmert euch um Maskenankäufe, um Aufsichtsratsposten, Einzelfälle oder was PolitikerInnen sonst so auf der Agenda haben.
Diese Ablenkungsversuche – hey, wir haben keine Idee anzubieten, die über die Stärkung des Wirtschaftsstandorts hinausgehen, aber wir machen ein wenig Stimmung gegen die Bevölkerungsgruppen, die sowieso nicht unsere Kernwählerschaft sind – beleidigen nicht nur den Verstand, sondern nehmen die Verzweiflung junger Menschen billigend in Kauf. Das erkläre ich gleich. Gehen wir erst noch einmal kurz auf geschlechtergerechte Sprache ein. Es ist sicher so, dass es für viele Menschen wichtigere Themen gibt, als weibliche Personen oder Menschen, die sich zu keinem Geschlecht zugehörig fühlen, anzusprechen, zu stärken, oder Jugendlichen eine neue Normalität zu zeigen. Aber dafür leben wir ja noch in Ländern mit demokratischen Prozessen, in dem jede und jeder für das kämpfen kann, was ihm oder ihr wichtig ist. Zum Beispiel, Jugendlichen dabei zu helfen, die schwierige Zeit des Jugendlichseins zu überstehen.
Die Zeit, in der viele nicht wissen, wer sie sind, warum sie da sind, in wen sie sich warum verlieben. Warum sie so traurig sind und was sie da sollen, in dieser feindlichen Welt, die sie nicht zu brauchen scheint.
Es könnte so einfach sein, Mädchen oder Menschen, die sich nirgends zugehörig fühlen, mithilfe einer Endung oder eines Binnen-I oder eines Sternchens anzusprechen. Und nicht nur »mitzumeinen«. Und es ist vollkommen egal, ob sie sich irgendwann in eine »Rolle« finden oder nicht. Denn die Jugend ist die Zeit der Unendlichkeit, die bleiern sein kann.
Sprache formt Gedanken, und der wachsende Hass im realen Leben, dem sich jene ausgesetzt sehen, die nicht einer Norm entsprechen, auf die sich eine Gesellschaft geeinigt hat, wird dadurch befeuert. Durch all die Politikerinnen und Artikel, die zum hundertsten Mal erklären lassen, warum das Gendergaga eben Gaga ist.
Ist es nicht, solange es Ungerechtigkeiten und ermüdende Stereotype gibt. Die unnatürliche Homosexualität, die Kinder verderbende Aufklärung über alle Varianten zwischen männlich und weiblich, die Propaganda der Rollenklischees.
Wenn selbst Riccardo Simonetti, ein Influencer, der eine Vorbildwirkung auf junge Menschen hat und die gesellschaftliche Normalität infrage stellt, zum Thema Genderdebatte in der Wartezimmerzeitschrift »Grazia« sagt: »Ich finde es toll, wie Harry Style Männern zeigt, dass sie ihre fragile feminine Seite zeigen können…«, dann zeigt diese gut gemeinte Aussage, dass eine wirkliche Gleichwertigkeit in unseren Gesellschaften noch weit entfernt ist.
Solange Weiblichkeit als passiv, sanft, fragil, schrill, affektiert, makeupig, kleidchenhaft, als schwach und warm interpretiert wird, Männlichkeit demzufolge das Gegenteil meint, solange es irgendeinen Zweifel an der Ehe für alle gibt, solange immer noch die STARKE Frau in den Headlines auftaucht, und PolitikerInnen den Kampf gegen Gleichberechtigung zum Wahlthema machen, ist noch viel zu tun.
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04.06.2023 16.21 Uhr
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Mir ist viele Jahre nach meiner Jugend klar geworden, dass es Tausende gibt, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen oder dem damit verbundenen angeblich normalen Weg zu lieben oder sich zu definieren. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich mich nicht allein gefühlt. Würden Mädchen wissen, dass sie gemeint sind und nicht nur mitgemeint sind, würden sich Menschen kleiden können, wie sie wollen, ohne wegen angeblicher Frauen und Männerkleidung, die an einem angeblich falschen Geschlecht hängen, zusammengeschlagen zu werden, würden sie küssen und heiraten können, wen sie wollen, ohne belächelt zu werden, würden Frauen nachts ohne Angst auf die Straße gehen können und müssten keine Sorge haben, von ihren Männern erschlagen zu werden, müssten Jugendliche sich nicht umbringen aus Verzweiflung darüber, vermeintlich KRANK zu sein.
Dann lebten wir in keiner perfekten, aber in einer minimal gerechteren Welt. Sprache entwickelt sich weiter, sogar die deutsche (siehe Walther von der Vogelweide). Am Ende entscheidet immer die Bevölkerung, wie sie Sprache nutzt, und Regelungen ändern daran nichts. Wenn man darauf verzichtet, andere Menschen zu beleidigen, steht es jedem frei, zu gendern, es sein zu lassen, sich auszudrücken, wie man will. Eventuell wird man irgendwann als etwas aus der Zeit gefallen belächelt, wenn man standhaft am Mittelhochdeutsch festhält. Aber das ist auch der einzige Nachteil, den eine Verweigerung des Dazulernens mit sich bringt.