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ARCHITEKTUR Geschlossene Gesellschaft

Nach einem Jahr Planung für die Berliner Bauausstellung befürchten Fachkritiker einen »wüsten Jahrmarkt« internationaler Gag-Architektur.
aus DER SPIEGEL 13/1981

Vor gut einem Jahr annoncierte Harry Ristock, damals noch West-Berlins Bausenator, einen Superlativ: Die »Internationale Bauausstellung Berlin 1984« (IBA) werde die »größte Veranstaltung dieser Art in der Welt«.

Auch ihr Thema -- die Wiedergewinnung der »Innenstadt als Wohnort« -- sollte »modellhaft« für alle Welt sein: Berlin, so Ristock, werde »den Metropolen der Welt zeigen«, wie man bauen könnte, »um das geschundene Stadtbild zu reparieren«.

Es war nicht das erste Mal, daß die Berliner sich vornahmen, Städtebau zur Schau zu stellen. Auf Bauausstellungen in den Jahren 1910 und 1931 hatten sie Stadtpläne für eine Mehrmillionenstadt und »Wohnen in Licht, Luft und Sonne« präsentiert.

1957, als »Frontstadt« und »Schaufenster der Freien Welt«, hatte West-Berlin mit der »Interbau« ein Architekten-Festival arrangiert: Baumeister aus 14 Ländern errichteten das Hansaviertel am nördlichen Tiergartenrand.

Für die IBA '84 wurde die ganze Stadt zur Baustelle erklärt. Von Spandau bis Kreuzberg sollte erneuert, von Tegel bis Tiergarten neu gebaut werden. Mehr als drei Milliarden Mark standen als Investitionsmittel für die nächsten Jahre bereit -- und zwischen New York und Tokio, London und Rom begannen Architekten-Stars auf Geheiß der IBA bereits zu entwerfen und zu zeichnen.

Mit dem Kahlschlag beim West-Berliner Senat im Januar kam die Ernüchterung. S.221 Der neue Bürgermeister Hans-Jochen Vogel und der neue Bausenator Peter Ulrich reagierten schnell auf die Kreuzberger Häuserkämpfe. Sie gaben der akuten Wohnungsnot den Vorrang und stellten die IBA hintan: Vogel verordnete eine Verschiebung der Veranstaltung um zwei Jahre, Ulrich senkte den Standard im sozialen Wohnungsbau, um Mittel für die Instandsetzung von Altbauten freizumachen.

Die so entstandene Denkpause kann der IBA wohl nur zum Vorteil gereichen, denn mit den bisherigen Planungsresultaten gehen Kritiker streng ins Gericht. Das Münchener Fachblatt »Baumeister« etwa befürchtet einen »wüsten Jahrmarkt« internationaler Gag-Architektur.

Die Schelte gilt dem Brain-Trust der IBA: Um die Festspiele auszurichten, wurde eine »Bauausstellung Berlin GmbH« gegründet -- mit einem Etat von 85 Millionen Mark für Planungen, Verwaltungskosten und zur Finanzierung von Architekten-Wettbewerben. Weitere 20 Millionen Mark wurden für die Veranstaltungen im Ausstellungsjahr bewilligt.

Anfangs schien die GmbH mit Führungskadern geradezu überbesetzt. Doch die Elite bröckelte ab, noch ehe die Arbeit recht begonnen hatte.

Der Wohnungs-Experte Ulrich Pfeiffer, ein radikaler Verfechter sozialen Bauens, wurde von seinem Bonner Ministerium nicht freigestellt. Der Wiesbadener Stadtentwicklungsdezernent Jörg Jordan zeigte sich verstimmt und zog sich nach Hessen zurück. Auch die Architektur-Professoren Thomas Sieverts und Oswald Mathias Ungers verzichteten auf den mit 150 000 Mark Jahressalär dotierten Job; sie gaben teils persönliche, teils sachliche Gründe an.

So verblieben die Professoren Hardt-Waltherr Hämer, 58, und Josef Paul Kleihues, 47 -- der eine für die Sanierung, der andere für die Neubauten zuständig.

Von der angestrebten Stadterneuerung zeichnete Hämer vor West-Berliner Abgeordneten unlängst ein düsteres Bild. Er sei »todunglücklich«, klagte er in einem Frontbericht aus Kreuzberg. In keiner anderen Stadt gebe es so viele heruntergekommene Mietskasernen wie in West-Berlin. Er finde sich vor einem großen »Kuddelmuddel« und sehe die geplante Sanierung in einem »Sumpf von Vorschriften« versinken.

Kompagnon Kleihues sieht seinen Neubau-Bereich rosiger. Er als der eigentliche IBA-Macher, der für Attraktionen sorgt, hält mit den Trendsettern der Baukunst weltweit Kontakt.

Kleihues lebt ohnehin in einer Welt der schönen Künste. Er versteht sich als »poetischer Rationalist«, ist humanistisch gebildet und zitierfreudig. Mal hat er was von Brecht oder Hölderlin, von Schopenhauer oder Adorno, mal was von Einstein oder von Saint-Exupery parat.

Väter- und mütterlicherseits wurde Kleihues in Baugeschäfte hineingeboren und stets »auf das Geschäft hingemahnt«. Verständlich, daß er die Architektur »als Poesie, als Sehnsucht« versteht. Schließlich gab er noch seinem Bau für die Berliner Müllabfuhr schöne Form.

Kleihues beklagt den »mediokren Konsens« der Zeit und reklamiert für sich das »Recht auf Künstlernatur«. Letztes Jahr, auf der Biennale in Venedig, präsentierte er ein »gebautes Gedicht«. Auch »und gerade« für den Wohnungsbau fordert er »ästhetische Überhöhung« und »ganz ernsthafte künstlerische Zuwendung«.

Mit alljährlich in Dortmund veranstalteten »Architekturtagen« schuf er sich und seinesgleichen ein Forum, auf dem Themen wie »Raster und Modul«, »Achse und Symmetrie« disputiert werden. Statt um Stube und Küche geht es da um »Syntax« und »Metapher«.

Das war nicht anders bei dem Forschungsvorhaben »Wohnen im Revier«, bei dem sich der Kleihues-Kreis Bewohnern und ihren Lebensräumen gegenüber so gleichgültig zeigte, daß die kritische Zeitschrift »Arch +« daran S.224 Anstoß nahm: »Sich selbst befriedigende Beglücker« nannte »Arch +« die akademischen Wohnforscher.

Viele der neuen Baukünstler machen gar kein Hehl aus ihrem überheblichen Ästhetizismus. So ist von dem New Yorker Formalisten Peter Eisenman der Ausspruch überliefert: »Wenn man Bedürfnisse beim Bauen berücksichtigt, dann tun sich nur wieder neue Bedürfnisse auf.« Und der Italiener Paolo Portoghesi, Arrangeur der Architektur-Biennale, sagt, er sei zwar »überzeugter Kommunist«, er glaube aber nicht, daß Architektur jemals soziale Veränderungen bewirkt habe, er kenne nur »schöne oder häßliche Architektur«.

Dieser postmoderne Wanderzirkus -- eine geschlossene Gesellschaft, die wie Kilius-Bäumler oder Borg, Connors & Co. umherreist -- etablierte sich nun in Berlin, wo schließlich mehrere Milliarden Mark zu verbauen sind.

Gleich das erste Seminar vergrämte Helene Rahms von der »FAZ": Kein Wort über Nutzung, Bodenpreis und Bauetat, nichts über materielle Voraussetzungen und soziale Folgen -nur »abgelöste ästhetische Diskussion«.

Inzwischen haben die Maestri für Berlin enorm gezeichnet und begutachtet, denn Kleihues hat für seine Kollegen eine ganze Serie von Wettbewerben ausgeschrieben -- da tauchen die vertrauten Namen immer wieder auf, mal unter den zum Wettbewerb Eingeladenen, mal unter den Preisrichtern: der japanische Manierist Arata Isozaki wie der kalifornische Spaßvogel Charles Moore, die Italiener Gregotti und Portoghesi, der Mailänder Monumentalist Aldo Rossi und die Gebrüder Leon und Rob Krier.

Den bislang größten Coup in Berlin -- geschätzte Baukosten: 400 Millionen Mark -- landete Charles Moore mit einem Bauvorschlag für den Tegeler See: Er ließ, für ein gefordertes Freizeitzentrum, einen Riesentanker S.225 aus Beton zu Wasser und fügte eine 160 Meter lange Wohnschlange hinzu.

Die ortsunkundige Jury war entzückt: Sie sah, auch international, »neue Maßstäbe«, eine »besondere Attraktion für Berlin« und eine »Aufwertung Tegels«.

Die sieht der Stadtteil-Verein »Aktionskreis Tegel« nun überhaupt nicht. Er urteilte, angesichts der Baumassen und der zu erwartenden Verkehrsmassen in der leicht verschlampten Idylle: »Tegel kaputt.« Den IBA-Verwaltern warf er vor, sie hielten Zusagen über Bürgerbeteiligung nicht ein.

Einen makabren Gag lieferte unterdes die spanische Architektengemeinschaft Bohigas, Martorell, Mackay nach Berlin. Für einen Wohnblock unmittelbar an der Mauer, neben dem Ausländer-Übergang »Checkpoint Charlie« in der Friedrichstraße, krönten die Baukünstler ein Parkhaus mit einer promenadenartigen Aussichtsplatte -- Bellevue am Todesstreifen, mit Blick auf Panzersperren, Wachtürme und scharfe Hunde.

Neben der Theaterarchitektur der Spanier wurden bei diesem Wettbewerb auch Geometrien von Eisenman und Rigoroses von Rossi ausgezeichnet. Freilich glaubte die Jury ihr Lob für Rossis Chirico-Architektur mit einer Mahnung verbinden zu müssen: Grundrisse und Erschließungen dieser Wohnungen seien noch »im Hinblick auf ihre soziale Verträglichkeit zu überarbeiten«.

Keine Wohnblocks, sondern freistehende Stadtvillen -- in der Vorstellung der Bauherrin »Neue Heimat« eine Wohnform »für den Durchschnitt der heutigen Berliner Bevölkerung« -sollten für ein Areal im ehemaligen Diplomatenviertel am südlichen Tiergartenrand entworfen werden.

Hier siegte einer der Wortführer der »Rationalisten«, der in Wien lebende Luxemburger Rob Krier, mit großvolumigen, symmetrisch angeordneten, aber verschieden gestalteten Gebäuden. Als Bewohner sind teils Sozialmieter, teils Eigentümer gedacht.

Eine Pilot-Villa wird von der »Neuen Heimat« bereits errichtet -- an Baukosten errechneten Experten »weit über 700 000 Mark für eine 95-Quadratmeter-Für-wen-wohl-Wohnung«.

Sozialen Für-wen-wohl-Wohnungsbau hat Krier auch unlängst in der Kreuzberger Ritterstraße schon vollendet -- mittlerweile das erste vorzeigbare Objekt der IBA. Der Marburger Kunsthistoriker Heinrich Klotz, von Berliner Architekten auch als »Hofsänger« der »K.U.K.-Dynastie« (Kleihues, Ungers, Krier-Brüder) apostrophiert, eilte vor Ort, empfand »beinahe heroische Assoziationen« und entdeckte »Hoheitsformen«.

Krier hat darin, so gestand er, seine »Faszination für Le Corbusier« verarbeitet. Dafür paßte nachher der Schrank nicht durch die Tür, und in den Zimmern fehlt es an Stellplatz. »Ihre alten Möbel«, klärte ein Nachbar Einziehwillige auf, »die können Sie sich da nur noch an die Wand malen.«

Auch IBA-Neubaudirektor Kleihues diskutiert »die soziale Seite nur ungern«, denn die »sollte selbstverständlich sein«.

Nächste Woche verfrachtet er erst einmal all die teuren Zeichnungen und Modelle, die bislang bei der IBA angefallen sind, nach Dortmund, für eine Ausstellung »Dokumente und Projekte«. Später sollen die Preziosen auch in Wien, Tokio und New York vorgezeigt werden.

Das Fachblatt »Bauwelt« begleitet den Transport mit dem frommen Wunsche, daß womöglich »nicht wenige« der Projekte bei diesem Ausflug »abhanden kämen« -- zum höheren Nutzen der Stadt Berlin.

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