
50 Ausgaben "The Idler": Kunst des Nichtstuns
Magazin für Müßiggang Die süße Kunst des Nichtstuns
"The Idler is a magazine that celebrates freedom, fun and the fine art of doing nothing." Es ist schon ein wenig paradox: Wie kann es sein, dass ein paar Müßiggänger es tatsächlich schaffen, die 50. Ausgabe eines Magazins herauszubringen?
Zur Verteidigung von Tom Hodgkinson, dem Gründer und Herausgeber von "The Idler" , sei gesagt, dass er und seine Mitstreiter 23 Jahre dafür gebraucht haben. Andere Magazine schaffen 50 Ausgaben in weniger als einem Jahr, füllen diese dann aber auch gerne mit Mumpitz wie Diät-Tipps und Fotostrecken von hässlicher Kleidung.
Kein Wunder, dass die dann meistens nach einmaligem Durchblättern im Altpapier landen. Nicht so der "Idler", und das liegt nicht nur am Buchformat und den schönen Titelbildern. Sondern daran, dass es schon immer ein intelligentes, humorvolles und modernes Magazin war. In den vergangenen Jahren musste man ein wenig um seinen Fortbestand fürchten, weil es in einen jährlichen Essayband umgewandelt wurde, aber nun ist es wieder zurück im Drei-Monats-Rhythmus und mit Interviews wie dem mit Schauspieler Dominic West ("I am constantly trying to not work hard") und Geschichten wie "The coming of the four day week".
Der gemeine Müßiggänger hat nichts gegen Arbeit
Die Vier-Tage-Woche oder noch weniger hatte auch Gründer Tom Hodgkinson im Sinn, als er schon mit 25 in seinem ersten todlangweiligen Job bei einem Klatschmagazin dachte: Soll das alles sein im Leben? Kurzum gründete er mit ein paar Kumpeln den "Idler", später feierte er mit "How to be Idle" und "How to be free" und weiteren Büchern Erfolge, zog aufs Land und später wieder zurück nach London, um seine "Idler Academy" voranzubringen, aber im Herzen blieb er immer der Müßiggänger, der sich fragt: Soll das alles sein im Leben? Job, Geld, Karriere?
So kamen wahrscheinlich die schönsten Magazin-Schwerpunkte zustande: In "War on work" zitiert er eine Uno-Studie, nach der jährlich zwei Millionen Menschen an den Folgen von Arbeit sterben würden. Trotzdem käme keine Regierung der Welt auf die Idee, der Arbeit den Krieg zu erklären - im Gegenteil.
Also macht der "Idler" das, natürlich auf höchst feinsinnige Weise. Denn der gemeine Müßiggänger hat natürlich nichts gegen Arbeit - so lange sie kreativ und frei gewählt und nicht von anderen auferlegt ist.
Überhaupt rüttelte der "Idler" oft an der gängigen Weltsicht, etwa auch in der Ausgabe "Ladies of Leisure". Der Feminismus hätte den Fehler gemacht, zu glauben, der Schlüssel zur Freiheit läge in der Arbeit, heißt es dort im Vorwort. Jetzt hätten die Frauen so lange dafür gekämpft und führten nun die gleichen langweiligen Leben wie Männer. Mit einem Job, einem Boss, einer Stimme und keiner wirklichen Macht.
Schluss damit, meint der "Idler", lässt die Dramatikerin Clare Pollard einen Artikel "Sick of Shopping" schreiben, stellt die Top 10 der Müßiggängerinnen von Josephine Baker bis zu Edie Sedgwick vor und liefert eine wunderbare Fotostrecke zum Thema "Frauen in ihren Arbeitspausen". Wer da nicht gleich Pause machen will, dem ist nicht mehr zu helfen.
Wie soll ich denn dann mein pervers großes Auto abbezahlen?
Etwas provokanter war der "Idler" noch beim Titelbild der "Carnal Knowledge"-Ausgabe, das Künstler Damien Hirst beisteuerte. Er schrieb auch den Text "Why cunts sell shit to fools" , den man immer dann hervorkramen und lesen sollte, wenn mal wieder ein Lebensmittelskandal ins Haus steht, Autofirmen bei Abgasen tricksen oder Handy-Akkus in Flammen aufgehen. Auch sonst gibt es noch Lebensberatung frei Haus im "Idler", und das von einem Typen, der dafür bekannt ist, Haie in Formaldehyd einzulegen oder Totenschädel mit Diamanten zu bekleben.
Neben Schwerpunkten, Essays und Interviews hat der "Idler" aber auch herrliche Kolumnen hervorgebracht: "Idle Pleasures" wie "Am Gatter lehnen", "Briefe nicht öffnen" oder "durch die Stadt bummeln", aus denen später auch ein Buch wurde ("Das Buch der hundert Vergnügungen"), eine Tee-, eine Angel- und eine Couch-Kolumne sowie "Crap Towns/Holidays/Jobs", ebenfalls später in Buchform erhältlich. Von "Crap Towns" gab es sogar eine zweite Auflage, weil sich nach der ersten so viele Leser beschwert hatten, dass ihre fürchterliche Heimatstadt nicht im Buch aufgeführt war .
Ob auch Leser aus Deutschland dabei waren und darauf hofften, dass es Gelsenkirchen, Chemnitz oder Berlin auch in die Neuauflage schaffen würden?
Im in Sachen Arbeitseifer eher humorlosen Deutschland hat es ein Magazin wie "The Idler" naturbedingt noch ein wenig schwerer. Dabei wird ja in kaum einem anderen Land mehr über Burn-out oder Work-Life-Balance geredet. Aber wenn es dann darum geht, sich wirklich mehr Zeit zu nehmen, heißt es oft: Wie soll das denn gehen? Wie soll ich denn dann mein pervers großes Auto abbezahlen? Stattdessen hat "Länger leben, länger arbeiten!" derzeit Hochkonjunktur.
Auch in Sachen Müßiggang-Magazin sieht es in Deutschland eher mau aus. Lieber flüchtet man sich in Heile-Welt-Blättchen wie "Landlust", "Flow" oder "Ma Vie", als sich humorvoll, intelligent und kritisch mit der Leistungsgesellschaft und all ihren Formen und Folgen auseinanderzusetzen. Glücklicherweise gibt es "The Idler" jetzt wieder regelmäßig. Denn Freiheit, Spaß und die herrliche Kunst des Nichtstuns werden nirgendwo schöner gefeiert.