Unkommentierte "Mein Kampf"-Neuausgabe Ein Schelm, wer Böses denkt

Der rechte Schelm-Verlag will Adolf Hitlers "Mein Kampf" unkommentiert veröffentlichen. Das Argument: "staatsbürgerliche Aufklärung". Die Justiz ermittelt.
Originalausgaben von "Mein Kampf", Ausstellungsstücke vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München.

Originalausgaben von "Mein Kampf", Ausstellungsstücke vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München.

Foto: Matthias Balk/ dpa

Wo hört Wissenschaft auf, und wo fängt Volksverhetzung an? Diese Frage beschäftigt derzeit die Staatsanwaltschaft. Der als rechtsextrem geltende Leipziger Verlag Der Schelm plant für den Sommer eine unkommentierte Neuausgabe von Hitlers "Mein Kampf". Begründung: Der Abdruck diene der "staatsbürgerlichen Aufklärung" und der "Dokumentation im Rahmen der Forschung". Seitdem laufen die Ermittlungen.

Das Verfahren richtet sich in erster Linie gegen Adrian Preißinger, den Verleger des Schelm-Verlags und Mitinitiator der Ausgabe. In Justizkreisen ist Preißinger kein Unbekannter. 1992 wurde er wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung  verurteilt. In seinem Verlag veröffentlichte er auch andere Bücher aus der Zeit des Nationalsozialismus wie zum Beispiel Joseph Goebbels' "Das Buch Isidor".

Auch eine Buchhändlerin im oberfränkischen Forchheim geriet ins Visier der Justiz: Auf der Webseite hatte die Frau die geplante Originalfassung beworben. Bei einer Hausdurchsuchung stellten die Ermittler Bestelllisten und Hardware sicher.

Für die zuständige Staatsanwaltschaft ist der Fall klar: Das Buch "Mein Kampf" habe "volksverhetzenden Inhalt". Deshalb sei der "unveränderte Nachdruck zum Zwecke der Verbreitung wie auch die Verbreitung aus Sicht der Staatsanwaltschaft Bamberg grundsätzlich strafbar".

Doch der Paragraf der Volksverhetzung kennt auch Ausnahmen. Die Nutzung von "Mein Kampf" als Quellentext ist juristisch nicht prinzipiell verboten, an deutschen Universitäten im Rahmen von Forschung und Lehre gängige Praxis. Entscheidend ist der Zweck der Nutzung.

"Nach § 86 StGB  sind bestimmte Fälle vom Verbot rechtswidriger Propagandamittel ausgenommen", sagt Christian Bickenbach, Juraprofessor an der Universität Potsdam. "Nämlich dann, wenn die Verbreitung des Propagandamittels der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Wissenschaft oder der Kunst dient."

Auf jene sogenannte Sozialadäquanzklausel verweist auch das Gesetz gegen Volksverhetzung, der Paragraf 130 StGB . Selbst die Veröffentlichung hetzerischer Inhalte kann demnach gesetzlich erlaubt sein.

Zwei Seiten Vorwort

Für den Schelm-Verlag dürfte es schwierig werden, einen wissenschaftlichen Zweck der Veröffentlichung glaubhaft zu vermitteln. Laut Verlagswebseite handelt es sich um einen unveränderten Nachdruck der Auflage aus dem Jahr 1943. Der Verlag bezeichnet die Ausgabe als "wissenschaftlichen Quellentext". Erläuterungen am Text aber fehlen. Es soll lediglich ein zweiseitiges Vorwort, ein Schlusswort und eine Widmung geben. Zum Vergleich: Die im Januar 2016 erschienene kommentierte Neuausgabe des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) enthält rund 3700 wissenschaftliche Fußnoten von Historikern.

Der Schelm-Verlag distanziert sich zwar auf seiner Webseite von hetzerischen Buchpassagen und beteuert eine dokumentarische Motivation. Allerdings: "Wissenschaft setzt eine klare inhaltliche Auseinandersetzung voraus", sagt Bickenbach. "Wenn dazu schon die Veröffentlichung an sich als Begründung genügt, dann wäre der Paragraf 130 StGB vollkommen obsolet." Ob ein kommentierendes Vorwort allein die Ausgabe schon zum "wissenschaftlichen Quellentext" macht, wird deshalb juristisch zu prüfen sein.

Der Schelm-Verleger und auch die Buchhändlerin könnten sich auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 1979 beziehen. Damals sagte das Gericht, das Buch diene heute "in erster Linie als Mittel der Unterrichtung über Wesen und Programm des Nationalsozialismus". Martin Heger, Juraprofessor an der Berliner Humboldt-Universität, sieht allerdings einen großen Unterschied zum aktuellen Fall: "Damals verkaufte ein Buchhändler eine antiquarische Ausgabe, in einem geringen Umfang von nur einem Exemplar", sagt er. "Wenn jemand dagegen heute eine Neuausgabe in unbegrenzter Zahl anbietet oder verbreitet, dann kann das strafbar sein."

"Holocaust-Revisionismus"

Verleger Preißinger hält die juristischen Ermittlungen für übertrieben. "Für mich ist das Zensur, wenn die Staatsanwaltschaft einschreitet bei Veröffentlichung eines Textes, der vor unserer heutigen Verfassung entstand", sagte er. Volksverhetzung sei für ihn eine "Interpretationsfrage". Der Text spreche für sich. "Warum braucht man hier noch eine Erklärungshilfe?"

Die Produktion der Neuausgabe will Preißinger vorerst weiterführen. Die genaue Auflagenzahl und den Namen der Druckerei möchte er nicht verraten. Nur so viel: Sie soll im Inland liegen. Er habe "fürs deutsche Preisniveau sehr interessante Angebote" erhalten, sagt Preißinger.

Das Vorwort der geplanten Neuausgabe kommt von Frederick Töben, dem Begründer des australischen Adelaide-Instituts. Das Institut gilt als Gruppierung von Holocaust-Leugnern. Töben stand mehrfach wegen rassistischer Äußerungen vor Gericht. Im Jahr 2009 verurteilte ihn  der australische Bundesgerichtshof zu einer Haftstrafe, nachdem er auf seiner Webseite wiederholt antisemitische Inhalte verbreitet hatte.

In dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Vorwort (Stand: 30.05.2016) bekennt Töben sich ausdrücklich zum "Holocaust-Revisionismus". Der Text beinhaltet keine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Sie sei sogar absichtlich ausgespart, schreibt Töben, damit der Leser "Hitlers Gedankengänge ohne fremde Beeinflussung selbst nachvollziehen" könne.

Die Originalausgabe von Hitlers "Mein Kampf" erschien in erster Auflage im Jahr 1925. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs fielen die Urheberrechte an den Freistaat Bayern, der den Nachdruck in Deutschland untersagte. Zum Januar 2016 lief die Regelschutzfrist von 70 Jahren nach Tod des Autors aus. Schon die kommentierte Neuausgabe des IfZ war in der Öffentlichkeit auf Kritik gestoßen. Das Interesse der Leser war offenbar dennoch groß. Der zweibändige Titel schaffte es trotz beträchtlichen Gewichts - mehr als fünf Kilo - mehrere Wochen lang auf die Sachbuch-Bestsellerlisten.

Das Ziel des IfZ war es, mit einer kritischen Edition eine Referenzausgabe vorzulegen, um möglichen späteren kommerziellen oder rechtsextremen Neudrucken von "Mein Kampf" den Boden zu entziehen.

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