Trotz Protesten wegen Israel-Kritik Judith Butler erhält Adorno-Preis

Die Stadt Frankfurt am Main hat Judith Butler mit dem Adorno-Preis geehrt. Gegen die Wahl der amerikanischen Denkerin hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland scharf protestiert. Auch am Abend gab es Proteste vor der Paulskirche. Butler werden israelkritische Aussagen vorgeworfen.

Frankfurt am Main - Trotz Protesten ist die Philosophin Judith Butler am Dienstag mit dem Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main geehrt worden. Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU) würdigte vor allem ihre Leistungen für die Gender-Theorie sowie ihre Wirkung über den universitären Raum hinaus. "Ihre Stimme, und das macht auch ihre Verantwortung als öffentliche Intellektuelle aus, wird nicht nur gehört, sondern hat Gewicht, wird wahr- und ernstgenommen und dies natürlich nicht immer mit Zustimmung oder gar Wohlgefallen."

In Erinnerung an Adorno betonte der Kulturdezernent, Kritik sei "für ihn, für Adorno - und ich denke auch für Judith Butler, wie sie in den letzten Wochen wiederholt deutlich gemacht hat -, eine Absage an Gewalt". Die Laudatorin, die Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen, würdigte Butler ausdrücklich als "öffentliche Intellektuelle".

Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Frankfurter Jüdische Gemeinde boykottierten die Preisvergabe. Offizielle Vertreter nahmen nicht an der Veranstaltung in der Paulskirche teil. Sie werfen Butler unter anderem vor, Hamas und Hisbollah als legitime soziale Organisationen bezeichnet zu haben und einen Boykott gegen Israel zu fordern.

Gender Studies ohne Butler nicht denkbar

"Eine bekennende Israel-Hasserin mit einem Preis auszuzeichnen, der nach dem großen, von den Nazis als 'Halbjude' in die Emigration gezwungenen Philosophen benannt wurde, kann nicht als bloßer Fehlgriff gelten", hatte Stephan J. Kramer , der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärt und von Butlers "moralischer Verderbtheit" gesprochen.

Gegen die Auszeichnung Butlers protestierten vor der Frankfurter Paulskirche mehrere Dutzend Demonstranten. Sie warfen der jüdisch-amerikanischen Denkerin auf Plakaten Israel-Hass vor. Zwei junge Männer hielten ein Transparent mit der Aufschrift "Das Problem heißt Antisemitismus" hoch. Auf der anderen Seite des Eingangs postierten sich aber auch einige Unterstützer Butlers. Sie hatten Zettel in der Hand mit der Aufschrift "Thank you, Judith". Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstranten auf bis zu hundert.

Butler selbst ist in ihrer Dankesrede nicht erneut auf die gegen sie erhobenen Vorwürfe eingegangen. Sie hatte auf die Kritik bereits in mehreren Zeitungsartikeln reagiert und von einer Denunziation und einem Missverständnis gesprochen. Butler widmete sich stattdessen einem Zitat des Philosophen Theodor W. Adorno. Dessen berühmten Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" nahm sie zum Anlass, sich Gedanken zu machen über die Bedingungen gesellschaftlichen Engagements im Allgemeinen. Dabei kam sie zu dem Schluss, dass "wir uns allen Formen von Gewalt entgegenstellen (müssen), die Leben zerstören und unlebbar machen".

Der Adorno-Preis wird seit 1977 alle drei Jahre vergeben und ist mit 50.000 Euro dotiert. Er dient der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film. Butler lehrt an der University of California in Berkeley. Ihre Arbeiten lassen sich unter dem Schlagwort Poststrukturalismus verorten. Bekannt wurde die Wissenschaftlerin in den achtziger Jahren mit dem Buch "Gender Trouble" (deutscher Titel: "Das Unbehagen der Geschlechter"). Ein Fach wie Gender Studies wäre ohne Judith Butlers Arbeiten nicht denkbar.

Im aktuellen SPIEGEL hatte die israelische Soziologin Eva Illouz dafür plädiert, dass Butler den Adorno-Preis bekommen solle, obwohl sie ihn vielleicht nicht verdiene. Doch sei es wichtig, zwischen ihrem unbezweifelbaren akademischen Einfluss und ihren politischen Positionen zu unterscheiden.

feb/dpa/dapd
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