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Modeblogger Cohen: Cool wie Methusalem

Foto: Advanced Style by Ari Seth Cohen/ powerHouse Books

Stilfibel für Alte Hallo Tod, ich bin zu schick für dich

Wie bitte? Oma-Grau? Ist das reine Grauen. Der Modeblogger Ari Seth Cohen fotografiert Frauen weit jenseits der 70, die mit Extravaganz und Eleganz selbst in einer Mode-Metropole wie New York alle Blicke anziehen. Sein neues Buch lehrt: Gute Looks verlängern vielleicht sogar Leben.

Sollte sich irgendwer vor dem Älterwerden fürchten: Müssen Sie nicht. Ehrlich nicht. Ein Blick auf die älteren Herrschaften, die Ari Seth Cohen fotografiert hat, genügt. Diese Hüte! Diese Brillen! Diese Farben! Da kann man doch nicht anders, da muss man doch hinschauen.

So erging es wohl auch Cohen - der seine Models einfach angequatscht hat, im New Yorker Central Park etwa oder im Museum, in Schweden oder in Genf. Der 30-Jährige sucht Senioren, die sich nicht damit zufrieden geben, im standardisierten Rentner-Grau herumzulaufen. Seit 2008 veröffentlicht er die Fotos auf dem Blog "Advanced Style" , viele ältere Frauen sind dort zu bewundern und wenige ältere Männer. Aus dem Material hat Cohen nun einen Bildband zusammengestellt - und nebenbei noch eine Kinodoku  über Crowdsourcing  angeschoben. Der Film ist fast fertig und soll im Winter auf den ersten Festivals laufen.

Dass Cohen seinen Fokus auf Frauen richtet und nicht so sehr auf Männer, hat übrigens einen guten Grund: "Frauen haben es schwerer als Männer, wenn sie älter werden", sagt er. "Sie werden für ihr Äußeres kritisiert, ihre grauen Haare. Mit 40, 50 beginnen sie, sich unsichtbar zu fühlen." Doch seit er die 2009 verstorbene Mimi Wedell in der Doku "Hats off"  sah, deren Schauspielkarriere erst im hohen Alter begann, wollte er zeigen, dass das nicht sein muss.

"Sie gehen ans Limit"

Die Frauen in seinem Buch sind jedenfalls alles andere als unsichtbar, sondern wollen bewusst alle Blicke auf sich ziehen, um eben dieser Falle zu entgehen. Und Papageienwimpern, gebastelt aus den eigenen roten Haaren , fallen nun mal auf. So wie Tziporah Salamon  mit ihrem Ethno-Style insgesamt, die guten Stil so wichtig findet wie gutes Essen - und stets mit dem Rad unterwegs ist: "Es geht schneller - und außerdem sehen so alle mein Outfit ."

"Je älter sie werden, desto mutiger kleiden sie sich", sagt Cohen. Er wollte endlich auch mal von den positiven Seiten des Altwerdens erzählen, die Lebenslust der Damen dokumentieren. "Ihr Geheimnis ist: Sie weigern sich, aufzugeben, egal ob sie 60, 70 oder 100 sind", sagt Cohen. "Sie haben jeden Abend was vor, sie genießen die Zeit, die sie haben."

Mit Trends halten sich seine Models nicht auf. Und Stil ist wichtig, aber Komfort geht vor, mit dem Alter kehrt Gelassenheit ein. "Die Leute fragen mich, wie ich morgens mein Outfit plane", sagt die 90-jährige Iris Apfel trocken, die noch heute fast jede Fashion Week besucht. "Oh jemine, wenn ich das machen müsste, würde ich mich umbringen."

Und so wird ein Gehstock eben auch nicht versteckt, sondern ins Outfit integriert, etwa über einen goldenen Roboter-Ring an der Hand, die den Stockknauf hält. Und die eine oder andere 100-Jährige , mit der sich Cohen ab und an zum Dinner trifft, trägt zwar erst ihre Highheels, "aber wechselt im Taxi zurück in ihre flachen Schuhe", wie er erzählt. "Sie gehen ans Limit."

Alice Carey etwa, eine Dame mit karotten-roter Kurzhaarfrisur, hat ihre Style-Uniform gemütlich aber auch betont individuell angelegt: Herrenjacketts, Knickerbockerhosen, Kaschmirrollis, Glitzerbrosche am Revers. "Die Mädels heute sehen alle gleich aus und haben ein Vermögen dafür ausgegeben. Ich mache niemanden nach", sagt sie. Und das beste: "Die Leute lächeln, wenn sie mich sehen."

Zu elegant um zu sterben

Die fast 80-jährige Lynn Dell, die ihre eigene Boutique leitet, führt das weiter aus: "Wir ziehen uns alle an für das Theater, das unser Leben ist." Sie vermisst diese Haltung bei Jüngeren. "Diese Ladys heute haben keine Ahnung, was Glamour ist. Sie ziehen für die Oscar-Verleihung ein schönes Kleid an, und am nächsten Tag wieder Jeans und T-Shirt. Früher waren die Damen jeden Tag glamourös."

Dass viele aus purer Nostalgie Handschuhe und Hüte tragen, erlebt auch Cohen oft. "Diese Eleganz vermissen sie am meisten. Wir leben in keiner romantischen Zeit", alles "casual" eben. "Es geht den meisten weniger um Mode, als darum, wie sie sich präsentieren."

Mit ihrer Frische erinnern viele Damen an die mit 71 Jahren immer noch übermütige Designerin Vivienne Westwood, die unlängst sagte, es habe noch nie so viele hässliche Menschen wie heute gegeben - mit Ausnahme der über 70-Jährigen.

Ari Seth Cohen ist übrigens längst nicht mehr der einzige, der dem Style der "Old Ladies" eine Bühne gibt. In Deutschland tut es Smilla Dankert mit "Anders Anziehen" , in den USA mischen "Mister Mort"  mit und der legendäre Bill Cunningham  für die "New York Times". Aber auch Streetstyle-Fotograf Scott Schuman a.k.a "The Sartorialist"  lichtet - meist in Italien - ältere Damen und Herren mit Stil ab.

Sogar die Modeindustrie hat begriffen, was für eine Ausstrahlung das Alter haben kann - und schickt mit Eveline Hall, Daphne Self  oder Carmen dell'Orefice  betagte Modelle über den Laufsteg. Die Designerin Fanny Karst kreierte mit "The Old Ladies Rebellion" sogar ein eigenes Label für die Zielgruppe, mit augenzwinkernden Prints wie "See you next year, perhaps!".

So mit der eigenen Sterblichkeit umzugehen, zeugt von Eleganz. Und die wiederum hilft einem ja vielleicht auch, das Ende noch ein wenig hinauszuzögern. Wie es eine von Cohens Damen formuliert: "Man denkt, wenn man gut angezogen ist, kann man den Tod vielleicht austricksen."

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