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Aida Chehrehgosha: Tod der Eltern inszeniert

Foto: Aida Chehrehgosha

Fotografin Aida Chehrehgosha Mutter muss sterben

Die eigenen Eltern, fotografiert in der Haltung von Verbrechensopfern: In der Fotoserie "Dead Parents" verarbeitet die schwedisch-iranische Fotografin Aida Chehrehgosha die Gewalterfahrungen und den Schmerz ihrer Kindheit. Nun sind die präsentierten Arbeiten in Berlin zu sehen. Ein seen.by-Porträt.
Von Daniela Zinser

Aida Chehrehgosha hat ihre Eltern sterben lassen. Vier, fünf, sechs Mal. Und öfter. Sie hat sie fotografiert hingestreckt im Wald, in einem Hinterhof, am Ufer eines Sees. Die Bilder sind brutal und friedlich zugleich. Gewalttätig und zärtlich. "Dead Parents" ist eine von drei Werkreihen, die unter dem Titel "To Mom, Dad and my two Brothers" derzeit in der Galerie Swedish Photography in Berlin zu sehen sind.

Für die iranisch-schwedische Fotografin waren diese Arbeiten eine Befreiung. Vielleicht waren sie das auch für die Eltern, die freiwillig mitgemacht haben. Psychische und physische Gewalt prägten Aida Chehrehgoshas Kindheit, doch für die Traurigkeit, die Wut, die Angst und die Ohnmacht fand sie keine Worte. Bis sie die Kamera als ihre Sprache, ihr Ventil entdeckte. Und Hass, Rache, aber auch Vergebung visualisierte.

Als Achtjährige ist Aida, die 1980 in Teheran geboren wurde, mit ihren Eltern und den beiden Brüdern nach Stockholm ausgewandert, wo sie auch heute noch lebt und als freie Fotografin arbeitet. Heimat und Sicherheit ließ die Familie zurück. Der Vater, im Iran Kampfpilot, fand sich nicht zurecht in Schweden. Seine Frustration ließ er an seiner Frau aus. Die wiederum gab Wut und Traurigkeit an die Kinder weiter.

Tote Posen

Die gezeigten Arbeiten sind in den Jahren 2002 bis 2008 entstanden. Noch heute fällt es der 32-Jährige schwer, darüber zu sprechen. Chehrehgoshas Wut auf Vater und Mutter war manchmal so groß, dass sie sich deren Tod vorstellte - obwohl sie sie liebte. Ihr Ausweg war die Fotografie. "Zum ersten mal in meinem Leben hatte ich die Kontrolle über etwas", sagt sie. Ihre Bilder konnte sie so komponieren und inszenieren, wie sie wollte. "Es zu tun, war wichtiger als die Fotos, die dabei herauskamen."

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Foto: seen.by

Aida Chehrehgosha spricht offen über ihre sehr intime Arbeit. "Damals fühlte ich mich, als hätte jemand meinen Mund mit Klebeband zugeklebt. Ich konnte nicht sprechen, nicht atmen. Fotografie war, als würde jemand das Band wegreißen - und ich schrie, so laut ich konnte."

Ein erster derartiger Befreiungsakt war 2006 die Serie "The Scapegoats", die Sündenböcke. "Ich war noch nicht bereit, darüber nachzudenken. Ich konnte nur fühlen", sagt die Fotografin. Diese Gefühle - Rache, Erniedrigen wollen und kontrollieren - verwandelte sie in Aufnahmen, auf denen ihre Eltern Tiermasken tragen. Die Mutter mit einem Hundekopf, der Vater mit dem eines Nilpferdes, gebeugt, ein Stock in der Hand. Am anrührendsten jedoch ist das Bild des Vaters mit einer rosa Plüschmütze, von der Hasenohren herabbaumeln - in seinen Gesichtszügen zeichnen sich Scham, Verletzlichkeit und Bedauern ab.

Blut auf weißem Hemd

Auf manchen der Bildern wirken Mutter und Vater in ihrer Leichenpose fast erleichtert. Froh darüber, loslassen zu können, Schwäche zuzulassen, Buße zu tun. Die Aufnahmen zeigen ihre Körper friedlich im Gras, auf dem Waldboden, auf Beton liegend, manchmal ist Blut auf dem weißen Hemd - als wären sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Eingerahmt ist die Reihe von zwei Porträts, ganz nah, ganz ungeschützt zeigen die Eltern sich, ihre vom Leben geschundenen Gesichter. Zugeben und vergeben, das macht die Kraft der Fotografien aus.

In Chehrehgoshas großformatiger Arbeit "Kap. V" aus dem Jahr 2008 prallen auf einer Lichtung ganz in Schwarz gekleidete Figuren aufeinander. Sie alle tragen Masken. Sie gehen aufeinander los, holen aus, schlagen zu, weichen aus, fallen, fliehen. "Es ist ein Selbstporträt", sagt die Künstlerin. Ein Symbol für den inneren Kampf. Ein Schlachtfeld, das in seiner Düsternis an den amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson erinnert und in seiner Mystik an die Schwedin Helen Blomquist. Beide Künstler nennt Aida Chehrehgosha als Vorbilder.

Wie eng die drei in Berlin gezeigten Werkreihen miteinander zusammenhängen, darauf hat sie erst ein Professor beim Fotografiestudium am Royal University College of Fine Arts in Stockholm aufmerksam gemacht. Beim Betrachten der Ausstellung in der auf schwedische Fotografen spezialisierten Galerie packen einen die Fotos sofort. Gerade in der Reihenfolge - von den Tiermasken über das Selbstporträt hin zu den Mordbildern - ist es aber auch die Geschichte einer Annährung.

"Die Kamera hat uns wieder zueinander geführt", sagt Aida Chehrehgosha. "Es ist ein Heilungsprozess, und es braucht lange, um das, was zerschlagen wurde, wieder aufzubauen." Heute sieht sie es als Akt großer Liebe, dass die Eltern mitgemacht haben. Sie hofft, dass ihr dafür noch viel Zeit mit den Eltern bleibt. "Es ist ein Heilungsprozess und es braucht lange, um das, was zerschlagen wurde, wieder aufzubauen."

Sie hofft, dass ihr dafür noch viel Zeit mit den Eltern bleibt.


Aida Chehrehgosha: "To Mom, Dad and my two Brothers", bis 13. Oktober, Galerie Swedish Photography, Berlin. www.swedishphotography.org 

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