Fotostrecke

Neue Sexismus-Debatte: Shopping und Politik

Foto: Scott Barbour/ Getty Images

Angela McRobbie "Wir erleben einen feministischen Frühling"

Plötzlich wird wieder öffentlich über Sexismus diskutiert. Warum das lange Schweigen? Im Interview erklärt die einflussreiche Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie, was unsere Konsumkultur damit zu tun hat und was man von Facebook-Chefin Sheryl Sandberg wirklich lernen kann.

SPIEGEL ONLINE: Mrs. McRobbie, wie kommt es, dass in Deutschland, aber auch in den USA oder Großbritannien plötzlich wieder offener über Sexismus und Feminismus debattiert wird? Die Benachteiligung von Frauen hat ja nicht für ein paar Jahre Pause gemacht.

McRobbie: Junge Frauen hatten das Gefühl, Feminismus wäre uncool und dass sie lernen müssten, mit Problemen allein umzugehen. Außerdem herrschte eine gewisse Angst, dass man, wenn Diskriminierung thematisiert oder Wut darüber ausdrückt, mit den "bösen alten Feministinnen" in Verbindung gebracht würde. So entstand eine lange Zeit des Schweigens.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist die Stigmatisierung des Feminismus entstanden?

McRobbie: Das hatte verschiedene Ursachen. Ein Faktor war, dass Feminismus - jedenfalls in Großbritannien - meist mit Sozialdemokratie und linken Parteien assoziiert wurde. Als sich New Labour unter der Führung von Tony Blair 1997 anschickte, die Macht zu übernehmen, haben sie ihr Programm unter das Schlagwort "Modernisierung" gestellt. Mit Modernisierung war gemeint: alles, was an die alte Linke erinnerte, auszusortieren. Der Feminismus, aber auch Bewegungen wie der Anti-Rassismus galten als überholte Ideen, sie machten Labour vermeintlich unwählbar. Dass Blair schließlich die Wahl gewann, schien diese Strategie zu bestätigen.

SPIEGEL ONLINE: Warum konnte das solche Folgen für den Feminismus haben?

McRobbie: Allgemeiner gesprochen machte sich zur Zeit des "Dritten Wegs" auch die Überzeugung breit, dass Feminismus eine wichtige Aufgabe gehabt hatte, er diese aber jetzt erfüllt habe und damit ein Teil der Vergangenheit sei. So wurde der Feminismus vereinnahmt, um ihm gleichzeitig den Garaus zu machen. Das schwappte auch auf die Popkultur über. Männer, hieß es plötzlich, haben Feminismus lang genug ertragen, jetzt sind sie auch mal wieder an der Reihe. Wenn Frauen gleichberechtigt sind, können sie doch nichts dagegen haben, wenn wir sie ein wenig provozieren. Sexismus wurde in Humor und Ironie verpackt - war ja alles nicht böse gemeint. Ich würde diese Entwicklung als Teil einer kulturellen Neoliberalisierung bezeichnen.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie mit diesem Begriff genau?

McRobbie: Wichtiger Bestandteil ist zum Beispiel auch die weitere Ausbreitung der Konsumkultur. Unter Tony Blair - unterstützt durch den Wirtschaftsboom und den einfacheren Zugang zu Krediten - wurde der Konsum gefeiert. Dazu gehörte das Konzept des Konsumbürgers: Wer kauft, verhält sich auch politisch. Ideen wie die soziale Verantwortung von Unternehmen wurden in dieser Zeit gepusht. Damit entledigte sich die Politik wichtiger Aufgaben und übergab sie an die Unternehmen. Konsumkultur konnte so immer größere Teile der politischen Kultur vereinnahmen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Folgen hatte das speziell für Frauen?

McRobbie: Parallel zum Aufstieg der Konsumkultur wuchs die Sichtbarkeit von Frauen, speziell jungen Frauen sowie deren Verdienstmöglichkeiten. Frauen wurden ermutigt, in den Arbeitsmarkt einzutreten, später zu heiraten und so möglichst viel frei verfügbares Gehalt anzuhäufen. Das sollten sie dann bei H&M oder sonstigen Geschäften ausgeben. Gleichzeitig schwenkte die Konsumkultur auch immer stärker auf die Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen ein. Wieder galt die Argumentation: Wenn Frauen jetzt gleichberechtigt sind, schadet es doch nicht, auch wieder traditionelle Männlichkeit und Weiblichkeit zu feiern. Deshalb gibt es zum Beispiel wieder so viel geschlechtsspezifisches Spielzeug, so viel pinkfarbene Mädchenkleidung oder sogar Kosmetik für Achtjährige.

SPIEGEL ONLINE: Nun werden Frauen ja nicht nur blind von der Konsumkultur verführt, sondern entscheiden sich zum Teil sehr bewusst dafür. Was haben sich Frauen von der kulturellen Neoliberalisierung versprochen?

McRobbie: Frauen hat der Neoliberalismus sehr attraktive Angebote gemacht, gewissermaßen gab es einen Vertrag zwischen den Geschlechtern über ethnische und wirtschaftliche Grenzen hinweg: Frauen wurden dabei unterstützt, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und ihre sexuellen Freiheiten auszuleben, ohne dafür verteufelt zu werden - so wie es zum Beispiel in "Sex and the City" vorgelebt wurde. Zusammen mit den Frauenmagazinen, die Shopping glorifiziert haben, kam das einer landesweiten Einladung an Frauen gleich, ihre Weiblichkeit zu feiern. Das klang alles sehr ansprechend und stach gewissermaßen den Feminismus aus. Doch das Angebot war heuchlerisch: Frauen wurden neue Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten nur suggeriert, schließlich galt die Einladung nie für die Politik. Nirgendwo wurde gesagt: Bringt euch in die Politik ein, stellt euch für Wahlen auf!

SPIEGEL ONLINE: Mittlerweile ist aber eine Debatte über die Frauenquote nicht nur in der Politik, sondern auch in den Vorständen von DAX-Unternehmen entbrannt. Was ist von dieser Art des Karrierefeminismus zu halten?

McRobbie: Das ist ein Phänomen der letzten drei, vier Jahre: Diese Art des Feminismus, der sich ums Karrieremachen dreht, ist plötzlich gesellschaftlich akzeptiert - nicht Feminismus an sich, sondern diese spezielle Variante. Symbolisiert wird das durch die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg und den Erfolg ihres Buchs "Lean in". Ihre Geschichte kommt sowohl in der Politik als auch in der Popkultur so gut an, weil sie glamourös erscheint, es geht um unglaublichen Erfolg und die Versprechen der Leistungsgesellschaft. "Lean in" liest sich letztlich wie ein Wirtschaftshandbuch: Man erhält lauter Ratschläge, wie man es bis an die Spitze schafft - viel lächeln zum Beispiel. Schon bezeichnend, dass das meistverkaufte feministische Buch des Jahres 2013 aus der Welt der MBAs kommt. Von Sandberg kann man lernen, wie sich Feminismus heute wieder als attraktiv und zukunftsweisend verkaufen lässt.

SPIEGEL ONLINE: Von dieser Art des Feminismus profitieren in der Regel aber nur Frauen, die eh schon privilegiert sind. Dabei würden in Deutschland zum Beispiel viel mehr Frauen von der Einführung eines angemessenen Mindestlohns über alle Branchen hinweg profitieren als von einer Quote für Führungsetagen. Warum gelingt es nicht, diese Forderungen zu bündeln und gemeinsam zu erheben?

McRobbie: Schauen Sie sich doch nur Sandbergs Buch oder andere solche Schriften an: Es gibt eine Reihe von Begriffen, die darin nicht vorkommen dürfen. Armut, soziale Exklusion, Marginalisierung. Die Rhetorik des Karrierefeminismus dreht sich um die Gewinner - nicht um die Verlierer. Deshalb kann innerhalb dieses Diskurses auch nicht über die Opfer von öffentlichen Sparmaßnahmen oder über Arbeitslosigkeit gesprochen werden.

SPIEGEL ONLINE: Wie ließe sich denn ein Feminismus formulieren, in dem beide Ansätze Platz haben?

McRobbie: Bei den Diskussionen über Genderfragen sind klassisch sozialdemokratische Ansätze leider ins Hintertreffen geraten. Dabei läge es an den sozialdemokratischen Parteien in Europa, Dinge wie Mindestlohn, bessere Kinderbetreuung für Alleinerziehende oder mehr Rechte in der Elternzeit thematisch zu verflechten. Quotenregelungen würden sich damit fast automatisch verknüpfen lassen. Mit dem Abstieg der Sozialdemokratie und der Linken - also zumindest in Großbritannien - fehlt diese Perspektive leider.

SPIEGEL ONLINE: Welche Auswirkungen hat die Weltwirtschaftskrise auf feministische Diskussionen gehabt? Hat sie nur den Karrierefeminismus hervorgebracht oder doch mehr aufgebrochen?

McRobbie: Ich glaube, die Krise hat viele Leute re-politisiert, und das wirkt sich wiederum auf die jungen Menschen, speziell natürlich in Spanien, Italien oder anderswo, aus. Bei ihnen macht sich das Gefühl breit, dass sie wohl keine Chancen auf einen guten Job und ein akzeptables Einkommen haben. Angesichts der Tatsache, dass Frauen mittlerweile fast 60 Prozent der Studierenden ausmachen, erscheint es mir fast unausweichlich, dass sich die Diskussionen über die Krise und den Feminismus verbinden. Die Generation, die keine Zukunft für sich sieht, stellt auch Bereiche wie Familienleben oder Sexualität in Frage.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt, als wären Sie durchaus optimistisch, dass sich durch die neuen Debatten etwas verändern wird.

McRobbie: Ja, nicht umsonst wird ja auch von einem feministischen Frühling gesprochen. Massive Proteste wie es sie in Großbritannien zum Beispiel gegen die Erhöhung der Studiengebühren gab, haben zwar noch nicht zwangsläufig zu einem neuen Feminismus geführt. Und Aktionen wie die Slutwalks bestehen unabhängig von den regierungskritischen Protesten. Aber die Verbindung wird immer häufiger gemacht, über Social Media entspannt sich ein Dialog zwischen ihnen, der letztlich die Grundlage für eine Re-Demokratisierung der Gesellschaft bilden kann.

Das Interview führte Hannah Pilarczyk
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten