
Plädoyer für mehr Optimismus Das beste Mittel gegen das gesellschaftliche Gift

Dies ist ein Plädoyer für einen kritischen, geschichtsbewussten, kämpferischen, offenen, radikalen und letztlich strategischen Optimismus.
Denn ohne Optimismus gibt es keinen Ausweg aus den Zwängen einer Gegenwart, die sich in Ängste und Ressentiments flüchtet - das Material, aus dem autoritäre und demokratiefeindliche Herrscher wie Donald Trump ihre Macht formen.
Sie müssen die Gegenwart schwarzmalen, um sich als Erlöser, Retter, Führer zu präsentieren. Sie suchen einen Feind, sie spalten die Gesellschaft, sie produzieren Hass, strategischen Hass, um sich Unterstützung und Gefolgschaft zu sichern.
Es ist aber nicht nur die autoritäre Achse Trump-Putin-Erdogan-etc., die auf dieses Mittel setzt - auch in der deutschen Politik gibt es Momente von absichtsvoller Verzerrung der Realität, die vor allem dem Ziel dienen, auf dem Rücken von Minderheiten Mehrheiten herzustellen.
Die absurde aktuelle Diskussion um das Burkaverbot ist so ein Beispiel und genauso die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft speziell für Türken - beides sind Stellvertreterdiskussionen, die nur künstlich einen Gegner kreieren, weil man die wirklichen Probleme nicht in den Griff bekommt.
Das Gegenteil von Optimismus ist Zynismus, und genau aus diesem Sumpf formen sich die kulturalistischen Diskussionen unserer Zeit.
Statt also die Rolle Saudi-Arabiens bei der Radikalisierung von Teilen der muslimischen Welt zu thematisieren, fordern viele in der CDU, die immer für Waffentransporte in diese Teile der Welt sind, einzelnen Menschen in Deutschland ihren Glauben vorzuschreiben.
Und statt zu sehen, welche Diskussionen der doppelten Staatsbürgerschaft vorausgingen und welcher Rassismus in der deutschen Gesellschaft diese Reform so lange verhindert hat, fordern wiederum viele in der CDU, die sich so lange der Realität in diesem Land verschlossen hat, einen symbolischen und schädlichen Rollback.
Gegen solch zynisches Politik-Surrogat hilft nur ein Optimismus, der dort ansetzt, wo auch linkes Denken seinen Ursprung hat: im Glauben daran, dass es allen Menschen besser gehen kann und wird.
Denn Optimismus ist ja eine politische Haltung, die jede Revolution, jede Utopie, jede Veränderung getragen hat - ein Glaube an die Macht der Menschen, der der Linken leider vor langer Zeit abhanden gekommen ist.
Es waren die Rechten, es waren Leute wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan, die Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre den Optimismus als Strategie kaperten und für neoliberale Zwecke instrumentalisierten.
Optimismus wurde mit Wirtschaft, mit Erfolg, mit Egoismus, mit Aufstieg einzelner um den Preis vieler verbunden - und es war ein rhetorisch wichtiger Bruch im Gefüge der Zeit, als Barack Obama seinem Land sein "Yes, we can" als Botschaft präsentierte.
Obama, und das ist ein Teil seines Erbes, hatte damit 2008 ein optimistisches Gegennarrativ formuliert zur Ego-Doktrin der vorherigen Jahrzehnte - es waren drei Worte, die positiv besetzt sind, und es war ein Appell an einen gesellschaftlichen Aufbruch.
Wie provokant diese drei Worte sind, zeigte sich im vergangenen Jahr und bis heute am Widerstand von weiten Teilen der konservativen Publizistik, die genau diese Worte, "Wir schaffen das", wieder und wieder zum Thema machen und damit versuchen, auf fast schon lächerliche Art und Weise eine Kanzlerin zu demontieren, die, ironischerweise, bittererweise, alternativlos ist.
Der Widerstand richtet sich aber womöglich gar nicht so sehr gegen diese Kanzlerin, sondern gegen ein positives Gefühl in einem Land, das seit einem Jahr, seit die Grenzen geöffnet wurden und in einem Zeichen von humanitärer Solidarität Tausenden und Hunderttausenden von Menschen Zuflucht gewährt wurde, mit dem Wort vom "Staatsversagen" bombardiert wurde.
Auch ein Jahr später funktioniert der Staat aber sehr gut, auch ein Jahr später gibt es Solidarität und Zusammenhalt rund um die Flüchtlinge, auch ein Jahr später ist die gute und optimistische Energie zu spüren, die das Resultat dieser historischen Chance ist.
Viele Menschen haben diese Chance genutzt und haben für sich neu entschieden, was ihre Rolle in dieser Gesellschaft ist, was die Prioritäten in ihrem Leben sind, wofür sie stehen, wofür sie kämpfen - und ich glaube, es ist die Mehrheit in diesem Land.
Aber, und das ist auch ein mediales Versagen, das Positive findet zu selten seinen Platz, es wird verdrängt von negativen Meldungen, die überproportional aufgeblasen werden, die Sendeplatz, Speicherplatz, Platz im Kopf und im Herzen einnehmen und den Eindruck von Problemen erzeugen, die größer scheinen, als sie sind.
Der Punkt ist: Es braucht diese Probleme, denn ohne Probleme, so ist die Schrumpflogik unserer Tage, fehlt der Politik ihre Bestimmung - es gibt eine Politik, die ihre Rechtfertigung aus dem Scheitern und aus dem Notstand zieht, der dumpfe Aktionismus der CSU etwa oder eben das Burkaverbot.
Nichts wäre in dieser Logik gefährlicher, als wenn es gelingt: die Integration, die Flüchtlinge, der Islam. Es soll nicht gelingen. Es soll ein Problem bleiben. Das Problem definiert die Lösung, und wer die Lösung präsentiert, definiert sich als Macher.
Der Optimismus, der fast immer naiv genannt wird, wenn es um gesellschaftliche, und selten, wenn es um wirtschaftliche und technologische Entwicklungen geht, der Optimismus ist das Mittel gegen dieses gesellschaftliche Gift.
Der Optimismus, radikal und selbstkritisch, ist also, mehr als jede Partei, mehr als jede Bewegung, der Anfang für eine Veränderung zum Besseren.
Weil man das Bessere erst einmal wollen muss.
