

Reaktion auf Berlin Weihnachten fällt nicht aus

Trauernde in Berlin
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS

Trauernde in Berlin
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSWeihnachten fällt nicht aus. Es kann aber gut sein, dass einigen die Worte "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit" nicht über die Lippen kommen werden, denn Gnade hat die Zeit gerade wenig übrig.
Derjenige, der am Montagabend mit einem Lkw in einen Weihnachtsmarkt gefahren ist, konnte mindestens zwölf Menschen töten und Dutzende verletzen. Wie viele er auf längere Sicht in Angst und Schrecken versetzen kann, hängt auch von uns ab.
Obwohl man noch nicht viel über den mutmaßlichen Terroranschlag am Berliner Weihnachtsmarkt sagen kann, sind einige seiner Folgen schon absehbar. Wir wissen noch nicht sicher, wer es war, was er wollte und ob er mit jemandem zusammengearbeitet hat. Und viele wissen noch nicht, ob jemand tot oder verletzt ist, den sie kennen. Was aber schon feststeht ist, dass einige jetzt Angst haben und andere versuchen werden, diese Angst auszunutzen. Sie sind längst dabei.
Aber genauso sicher ist auch, dass viele in den nächsten Tagen nach Hause fahren werden, um Weihnachten zu feiern, so gut es geht. Sie werden dort vielleicht auch auf Menschen treffen, die politisch anders denken als sie selbst. Kann sein, dass es der Onkel ist, der überlegt, jetzt doch mal AfD zu wählen, kann sein, dass es die eigene Mutter ist, die findet, dass die Ausländer schlecht erzogene Kinder haben. Viele von uns kehren dieser Tage für eine Weile in ein Milieu zurück, aus dem sie sich mit guten Gründen entfernt haben, oder das sich von ihnen entfernt hat, was aufs selbe rauskommt.
Es wäre ohnehin das letzte Weihnachten vor der Bundestagswahl, zu der höchstwahrscheinlich zum ersten Mal seit langer Zeit eine rechte Partei einen zweistelligen Stimmenanteil erhalten wird. Nun ist es noch das erste Weihnachten nach einem mutmaßlichen Terroranschlag mit Dutzenden Opfern in Deutschland. Es ist genau so bitter, wie es auch eine Chance ist.
Weihnachten mit der Familie ist ein guter Ort für Diskussionen. Denn entweder Ihre Familie liebt Sie bedingungslos, so wie Sie sind, dann werden Sie gestärkt daraus hervorgehen. Oder nicht, und dann ist es eh schon verloren. Dann können Sie auch richtig streiten. Lassen Sie Ihre komischen Verwandten ausreden. Sie haben den ganzen Abend Zeit zu antworten. Vielleicht kriegen Sie währenddessen eine SMS von einer Freundin: "Meine Oma hat grad den Holocaust geleugnet." Dann wissen Sie, dass es bei anderen vielleicht noch schlimmer läuft als bei Ihnen.
Was ändert der Anschlag von Berlin? Was ändern die Ermittlungen? Was wäre das Schlimmste, das jetzt über den Täter rauskommen könnte? Dass er ein ähnliches Profil hat wie der Verdächtige im Freiburger Mordfall? Heißt es dann wieder: Diesen einen hätte man nicht ins Land lassen sollen, dann wäre es nicht passiert? Was rein logisch stimmt, aber nur schwer zu politischen Schlüssen führt.
Gibt es ein Ereignis, das dazu führt, dass wir sagen müssen, wir sollten geflüchteten Menschen mehr misstrauen oder hätten ihnen bereits mehr misstrauen müssen? Gibt es ein Ereignis, das dazu führt, dass wir sagen müssen, wir müssen "umdenken" im Sinne derer, die uns Angst machen wollen vor denen, die zu uns kommen oder schon da sind? Es gibt kein solches Ereignis. Wenn wir so tun, als sei der Anschlag von Berlin ein solches Ereignis, machen wir den Täter mächtiger, als er ist.
Trauer ist etwas, das sich nicht wegreden lässt, Schock ebenso. Beide werden stärker, wenn man sie ignoriert. Aber Trauer und Schock sind, auch weil sie so intim sind, etwas, worauf wir bestehen können, ohne deswegen denen in die Arme zu laufen, die uns Solidarität ausreden wollen.
Nach den Anschlägen in Utøya und Oslo im Sommer 2011 sagte der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg in seiner Trauerrede: "Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit." Obwohl man sah, dass er sich beim Reden sehr zusammenreißen musste, waren es Worte, die vielen Menschen geholfen haben. Sie wirken noch heute.
In Polen deckt man an Heiligabend den Tisch immer für eine Person mehr, als man erwartet. Es soll ein Zeichen dafür sein, dass man einen Gast aufnehmen würde, wenn einer käme, denn, na ja, Sie kennen die Weihnachtsgeschichte. Meistens kommt dann doch keiner. Ich kann nicht alles empfehlen, was Polen zurzeit so machen. Aber das ist ein guter Brauch.
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Der Breitscheidplatz aus der Luft vor dem Anschlag. Fotografiert von einem Polizeihubschrauber
Vor der Gedächtniskirche legten Passanten zum Gedenken an die Opfer des Anschlags Blumen und Kerzen nieder.
Eigentlich sollten in Berlin am Tag nach dem Anschlag alle Weihnachtsmärkte geschlossen bleiben. Der Lucia-Weihnachtsmarkt in der unter Denkmalschutz stehenden Kulturbrauerei hatte jedoch geöffnet.
Am Dienstagabend versammelten sich Menschen zu einem gemeinsamen Trauergottesdienst in der Gedächtniskirche Berlins. Auch die führenden Politiker Deutschlands nahmen teil: Innenminister Thomas de Mazière (CDU), Rheinland-Pfalz-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Ralf Wieland (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, kämpfte mit den Tränen. Neben ihm sitzen Bundespräsident Joachim Gauck (l.) und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (r.).
Kanzlerin Angela Merkel trug sich während des Gottesdiensts ins Kondolenzbuch ein.
Unterdessen geht die Spurensuche weiter. Mittlerweile wurde der vorläufig Festgenommene wieder freigelassen. Damit ist der Täter weiterhin auf freiem Fuß.
Ein Zeichen der Solidarität: Auf das Brandenburger Tor wurden am Abend die Nationalfarben projiziert. Das ganze Land trauert um die Toten des Attentats am Tag zuvor.
Polizist nahe der Gedächtniskirche: Nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin sind noch viele Fragen offen. Zwölf Menschen starben und mindestens 48 wurden verletzt, als am Montagabend ein Unbekannter einen Lastwagen mitten in die Buden steuerte.
Der Tag nach dem Angriff: Die Ermittlungs- und Aufräumarbeiten im Westen von Berlin sind noch lange nicht beendet. Bei einer Attacke mit einem Lkw waren auf diesem Weihnachtsmarkt zwölf Menschen gestorben.
Weg der Verwüstung: Der Ort des Angriffs liegt unmittelbar neben der bekannten Gedächtniskirche im Ortsteil Charlottenburg.
Der Lastwagen der Marke Scania gehört einer polnischen Spedition und hatte Stahlkonstruktionen geladen. Laut Polizei wurde ein Verdächtiger festgenommen. Es spreche viel dafür, "dass er der Fahrer ist", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Ein weiterer Mann, der auf dem Beifahrersitz saß, ist Polizeiangaben zufolge tot. Er soll polnischer Staatsbürger sein.
Trauernde Stadt: In Gedenken an die Opfer haben viele Menschen Blumen, Kerzen und persönliche Botschaften am Ort des Verbrechens hinterlassen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Dienstag den Tatort am Breitscheidplatz und legte Blumen nieder.
Schockierte Politik: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere trat am Mittag vor die Kameras und erklärte, dass man kaum noch Zweifel am terroristischen Hintergrund der Tat habe. Die Drahtzieher der Bluttat sind allerdings noch nicht ermittelt.
Hier wird der Auflieger abgeschleppt: Noch immer ist nicht komplett klar, wann und wo der mutmaßliche spätere Täter das Fahrzeug kapern konnte.
Flüchtlingsunterkunft in einem Hangar im ehemaligen Flughafen Tempelhof (Archivbild): Ein Sondereinsatzkommando der Polizei hatte hier offenbar in der Nacht eine Durchsuchung durchgeführt. Ein zunächst in der Nähe des Tatorts festgenommener 23-jähriger Mann, angeblich ein pakistanischer Flüchtling, scheint nun offenbar doch nicht mehr unter Tatverdacht zu stehen. Das erklärten die Behörden am Nachmittag.
Blick auf den Lkw nach dem Unglück: Der mutmaßliche Fahrer konnte zunächst fliehen, wurde aber noch in der Nacht an der Siegessäule festgenommen. Dachten die Beamten. Inzwischen ist seine Tatbeteiligung keineswegs mehr wahrscheinlich.
Umgestürzter Christbaum auf dem Weihnachtsmarkt. "Das ist ein schlimmer Abend für Berlin und unser Land, der mich wie zahllose Menschen sehr bestürzt", sagte Bundespräsident Joachim Gauck.
Berlin unter Schock: Die Hauptstadt ringt noch mit den Folgen der Tat vom Montagmorgen. "In Trauer und Anteilnahme für die Opfer und alle Betroffenen" steht auf dieser Anzeigetafel.
Reaktion auf die Tat von Berlin: In zahlreichen Orten, wie hier in Dresden, wurden die großen Weihnachtsmärkte gegen vergleichbare Vorfälle gesichert. Betonelemente sollen verhindern, dass Fahrzeuge auf das Areal gelangen können und dort Menschen verletzen.
Auch in Frankreich, das selbst in der jüngeren Vergangenheit mehrere schwere Terrorangriffe verkraften musste, sind die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärft worden. Dort ist auch die Bevölkerung zu besonderer Wachsamkeit aufgerufen.
Noch einmal der Blick auf den Tatort: Noch sind der oder die Verantwortlichen für den brutalen Angriff offenbar auf freiem Fuß - die Hauptstadt kommt vorerst nicht zur Ruhe.
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