ARD-Online-Expansion PR-Film mit Nachwirkungen
Ganze 45 Minuten in eigener Sache, und 670.000 Zuschauer waren dabei. Eine stattliche Quote von 5,9 Prozent erzielte die ARD mit der Sendung "Quoten, Klicks und Kohle". In der Reportage wollte Thomas Leif, Chefreporter des Südwestrundfunks, "Strippenzieher im Hintergrund" vorführen. Pointiert wiedergegeben lautete der Plot: Hier die guten Öffentlich-Rechtlichen mit dem Qualitätsjournalismus im Internet, dort die bösen Privaten mit dem Schund.
Gesendet wurde das Stück pikanterweise in der Woche, in der die Verhandlungen über den neuen Rundfunkstaatsvertrag begannen, der deutliche Internet-Beschränkungen für ARD und ZDF vorsieht. Leif, Vorsitzender des renommierten Netzwerks Recherche, gibt sich gern als Hüter des Qualitätsjournalismus in Deutschland. Umso süffisanter kommentierten Journalisten das Feature als PR-Beitrag im medienpolitischen Dienste der Öffentlich-Rechtlichen. Der SPIEGEL etwa vermisste die Einblendung "Dauerwerbesendung", die "Frankfurter Allgemeine" schrieb von einem "peinlichen Stück der Selbstbeweihräucherung".
Genützt hat der ARD die Eigen-PR nicht. Die Ministerpräsidenten haben sich letzte Woche auf deutliche Beschränkungen für ARD und ZDF im Internet geeinigt, deren Details jetzt ausgehandelt werden. Verlage und Privatsender vermuten, dass nach den heftigen Auseinandersetzungen zuvor die Politik nun den Druck aus der Sache nehmen wollte. Sie fürchten, dass hinter den Kulissen die Grenzen aufgeweicht werden.
Umso unangenehmer, dass sich die ARD jetzt mit der Aufarbeitung von Leifs PR-Film befassen muss. Der SWR-Intendanz liegen zwei förmliche Beschwerden vor. Der Fernsehausschuss des SWR-Rundfunkrats hatte sich schon in seiner letzten Sitzung mit der Dokumentation befasst. Teilnehmer sprechen von einer hitzigen, kontrovers geführten Diskussion. Der Film ging allen 40 Mitgliedern des Ausschusses zu - und am Donnerstag müssen Autor Leif und Fernsehdirektor Bernhard Nellessen dem Gremium erklären, inwieweit der Beitrag den Qualitätsmaßstäben der ARD entspricht.
Um welche Punkte es dabei gehen dürfte, erläutert Horst Müller, Professor für Redaktionspraxis an der Hochschule Mittweida. Der Journalismusexperte hat im Auftrag der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) in Mainz, die in Leifs Beitrag attackiert wurde, ein umfangreiches Gutachten erstellt. Die LMK fordert eine gemeinsame Kontrollinstanz für private und öffentlich-rechtliche Sender, die es bisher so nicht gibt - und stellt damit Sonderrechte von ARD und ZDF zur Disposition.
Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE attestiert Müller "Quoten, Klicks und Kohle" das Niveau der "Bild"-Zeitung. Er zählt an Beispielen aus dem Beitrag Verstöße gegen das journalistische Handwerk auf.
So habe Leif etwa zur Strategie der Privaten ausgeführt, "wenn Verleger von der Schärfung des öffentlich-rechtlichen Auftrags sprechen, meinen Sie drastische Beschränkungen. Tagesschau.de ist den Verlegern ein Dorn im Auge". Dabei, so Müller, handele es sich um reine Spekulationen Leifs, die er weder durch Dokumente noch Originaltöne geeigneter Interviewpartner belege. Die seien vorwiegend als Stichwortgeber für Behauptungen des Autors eingesetzt worden, ohne kontroverse Meinungen wiederzuspiegeln.
Weiter rügt Müller, in dem Beitrag sei verschwiegen worden, dass die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet bereits einen Wettbewerbsvorteil hätten, weil seit 2007 auch Computer GEZ-pflichtig seien und damit über das Internet Geld in die Finanzierung des Programms fließt. Entsprechend hart fällt Müllers Urteil für den gesamten Beitrag aus. Einem Studenten hätte der Professor für den Beitrag die Note Vier gegeben: "Nicht durchgefallen. Aber nur, weil der Beitrag abgegeben wurde."
Diskreditierung einzelner Personen
In seinem Gutachten für die LMK analysierte Müller auch den Schnitt des Features. Die Einseitigkeit des Beitrags von Leif lässt sich seiner Untersuchung zufolge sogar mit Zahlen belegen. Leif lasse nicht nur Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender länger zu Wort kommen und vertrete selbst in Fragen und Anmoderationen vorwiegend deren Positionen, sondern er setze die Vertreter der Privaten gezielt in ein schlechteres Licht.
Autor Leif verteidigt sich. Zu SPIEGEL ONLINE sagt er: "Ich würde entschieden bestreiten, thesenorientiert zu arbeiten." Schließlich seien in seinem Film auch der Chef des Bundes der Zeitungsverleger in Deutschland und andere Verleger zu Wort gekommen. Auch die Chefredaktion von SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE wurde von Leif befragt.
Die Befassung im Rundfunkrat nennt er einen "routinierten Vorgang". Auf die Frage, wer ihn mit dem Stück beauftragt habe, fällt die Antwort kurz aus: "Sage ich nicht."