Attacke auf Chefredakteur Brender Wie Koch das ZDF schlechtmacht
Zwischen der Politik, insbesondere der Landespolitik, und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland gibt es eine ungute Nähe. Die Aufsichtsgremien und allzu oft auch die Redaktionen werden nach wie vor nach Parteienproporz besetzt. Was sich aber im Augenblick vollzieht, ist in dieser Unverblümtheit ein Novum: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) fordert unverhohlen den Abgang von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Öffentlich, in einem langen Interview, prominent plaziert in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es gehe ihm nur "um die positive Entwicklung des ZDF", beteuert Koch, der auch stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates ist.
Maßt sich da ein Landespolitiker an, ein immerhin per Gesetz für unabhängig erklärtes öffentlich-rechtliches Medium in seiner Personalwahl beeinflussen zu wollen? Dem Verwaltungsrat gebe der ZDF-Staatsvertrag "ganz bewusst und eigentlich nur die Aufgabe, im Einvernehmen mit dem Intendanten Personalentscheidungen zu treffen", behauptet Koch in der FAZ.
Tatsächlich steht im ZDF-Staatsvertrag unter §23, "Aufgaben des Verwaltungsrates" zunächst mal rein gar nichts von Personalgewalt, mit Ausnahme der Position des Intendanten. Mit dem, mit Markus Schächter, hat der Verwaltungsrat aber gar kein Problem. §23 sieht nur vor, dass der Rat den Dienstvertrag mit dem Intendanten beschließen und dessen Tätigkeit überwachen soll, dass er Änderungen der ZDF-Satzung vorschlagen darf und dass er "über den vom Intendanten entworfenen Haushaltsplan beschließt". Kein Wort über den Chefredakteur.
Der kommt dann unter der Überschrift "Der Intendant" (§27) zur Sprache: Dort steht, dass ebenjener, der Intendant, neben dem Verwaltungs- und dem Programmdirektor auch den Chefredakteur beruft. Und zwar, das ist die Crux, "im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat". Brenders Vertrag läuft im Frühjahr 2010 aus. ZDF-Intendant Schächter möchte ihn gern behalten. Mit dem Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat könnte es schwierig werden, wenn Koch sich durchsetzt.
Wenn er das ZDF meint, sagt Koch "wir"
Doch warum will der Politiker den ZDF-Chefredakteur überhaupt loswerden? Es gehe ihm um die Quote, sagte er zumindest der "FAZ". Der Ministerpräsident diagnostiziert einen dramatischen Zuschauerschwund für die Nachrichtenangebote des ZDF: "RTL aktuell" habe im Jahr 2008 "heute" erstmals überholt, was die Zuschauerzahlen angeht: "Das hätte sich vor fünf Jahren sicher kein Mitarbeiter des ZDF vorstellen können."
Doch Kochs "heute"-Zahlen stimmen nicht . Darauf weist auch "FAZ"-Mitarbeiter Stefan Niggemeier, der das Interview mit Koch selbst geführt hat, in seinem Blog hin : Zwar sahen im Jahr 2008 durchschnittlich 3,74 Millionen die RTL-Nachrichten, während "heute" im ZDF nur auf 3,73 Millionen kam. Doch "heute" läuft auch bei 3sat. Wenn man dessen Quote dazurechnet, kommt man auf 3,96 Millionen für "heute" - im Schnitt also 220.000 Zuschauer mehr als "RTL aktuell" sahen.
Zuschauer von Nachrichtensendungen in Millionen
2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | 2007 | 2008 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Tagesschau* | 9,32 | 9,06 | 9,62 | 9,75 | 9,87 | 9,76 | 9,39 | 8,96 | 8,74 |
heute** | 4,86 | 4,8 | 5,17 | 5,02 | 4,72 | 4,73 | 4,42 | 4,13 | 3,96 |
RTL aktuell | 3,99 | 3,8 | 3,89 | 3,88 | 3,79 | 3,77 | 3,61 | 3,85 | 3,74 |
Sat.1 News | 1,76 | 1,99 | 1,73 | 1,8 | 2,09 | 2,3 | 2,14 | 1,9 | 1,54 |
Tagesthemen | 2,21 | 2,26 | 2,25 | 2,23 | 2,29 | 2,33 | 2,41 | 2,22 | 2,26 |
heute-journal | 3,61 | 3,6 | 3,61 | 3,76 | 3,67 | 3,81 | 3,66 | 3,37 | 3,33 |
**inkl. 3sat
Quelle: AGF/GfK
Rührend oder aber beunruhigend wirkt es, je nach Lesart, dass Koch im Zusammenhang mit der falschen Behauptung über die Plazierung von "heute" von "wir" spricht: "2008 wurden wir erstmals von 'RTL aktuell' überholt." Für die ZDF-Nachrichten jedenfalls gilt das nicht.
Brender selbst sagte zu Kochs Vorwurf "RTL aktuell" habe "heute" überholt, die ZDF-Sendung habe einen "wesentlich höheren Anteil an Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Kultur" als der Privatsender. Der "Süddeutschen Zeitung sagte er: "Nachrichtensendungen ohne Politiker sind quotenträchtiger. Das zeigt die private Konkurrenz. Diesem verführerischen Hinweis von Herrn Koch werden wir aber nicht nachgeben."
Fakt ist: "heute" hat Marktanteile verloren seit 2002 - genauso wie ausnahmslos alle Nachrichtensendungen, selbst die "Tagesschau" (siehe Tabelle unten). Einzig die "Tagesthemen" pendeln, was die absoluten Zuschauerzahlen angeht, immer um den gleichen Wert, zwischen etwa 2,2 und 2,4 Millionen - aber das sind immer noch über eine Million weniger, als das "heute journal" im Durchschnitt sehen.
Marktanteil von Nachrichtensendungen in Prozent
2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | 2007 | 2008 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Tagesschau* | 34 | 33,2 | 34,8 | 35,4 | 34,4 | 33,8 | 33 | 31,9 | 32 |
heute** | 22,6 | 22,5 | 23,6 | 22,8 | 20,3 | 20,5 | 19,4 | 18,4 | 18 |
RTL aktuell | 19,8 | 18,9 | 18,9 | 18,7 | 17,3 | 17,4 | 17 | 18,3 | 18,2 |
Sat.1 News | 9,5 | 10,8 | 9,4 | 9,5 | 10,6 | 11,6 | 11 | 9,9 | 6,4 |
Tagesthemen | 12,1 | 12,2 | 12,1 | 11,6 | 11,2 | 11,5 | 10,6 | 10 | 10,5 |
heute-journal | 13,3 | 13,3 | 13,1 | 13,9 | 13,3 | 13,5 | 12,8 | 12 | 12 |
**inkl. 3sat
Quelle: AGF/GfK
Brender warf Koch nun denn auch vor, er vergleiche Äpfel mit Birnen. Der ZDF-Chefredakteur sagte der Nachrichtenagentur AP, man könne die Zuschauerzahlen der Sendungen nur bedingt vergleichen, weil im Lauf der Zeit die Sendeplätze verändert worden seien. Um vergleichen zu können, müsse man die Marktanteile nehmen, betonte Brender. Im Januar und Februar dieses Jahres komme das "Heute Journal" mit 3,65 Millionen Zuschauern auf 12,7 Prozent Marktanteil und die "Tagesthemen" mit 2,33 Millionen auf 10,2, so Brender.
Der generelle Zuschauerschwund für Fernsehnachrichten hat vermutlich ohnehin mehr mit wachsender Konkurrenz etwa durch das Internet zu tun als mit der Unfähigkeit aller deutschen Fernseh-Chefredakteure. Koch sagt also einerseits "wir", wenn er vom ZDF redet - und macht den Sender andererseits ohne Not schlecht.
Quote machen ist nicht der Job gebührenfinanzierter Sender
Mal abgesehen davon, dass die Quoten völlig irrelevant sind: Der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten besteht ja eben nicht darin, mehr Zuschauer anzuziehen als die private Konkurrenz. Sondern ein gehobenes, qualitativ hochwertiges, vom Quotendruck unabhängiges Programm zu machen.
Gerade das sei unter Nikolaus Brender gelungen, finden viele Fernsehkritiker. Einhellig bescheinigt ihm Deutschlands Presse in diesen Tagen Kompetenz und Unabhängigkeit - ein seltener, an und für sich schon bemerkenswerter Vorgang in einer Zeit, in der der Streit um die Internet-Pläne der Öffentlich-Rechtlichen Keile zwischen ARD, ZDF und nicht gebührenfinanzierte Medien treibt. Aus dem eigenen Haus bekommt der Chefredakteur ebenfalls starke Unterstützung: Journalistische Spitzenkräfte des ZDF, von Claus Kleber über Maybrit Illner bis hin zu Guido Knopp, warnten in einem offenen Brief vor "gefährlicher Einmischung der politischen Parteien" und stärkten Brender den Rücken. Viele der Unterzeichner sind einer allzu linken politischen Position völlig unverdächtig.
"Politiker sind die Grundlage der Demokratie"
Brender, auch da sind sich viele Branchenexperten einig, ist wohl einfach ein bisschen zu unabhängig und eigenständig für die konservative Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat , allen voran Koch und Edmund Stoiber (CSU).
Auch aus den Reihen der politischen Gegner mehren sich nun Gegenstimmen: FDP-Medienexperte Hans-Joachim Otto spricht von "politischen Machtspielchen". Kochs Gegenkandidat bei der Hessen-Wahl, Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD), sagte SPIEGEL ONLINE: "Koch ist mit seinen Hinterzimmer-Mauscheleien aufgeflogen", er stelle mit seinen Aktivitäten die "Staatsferne des ZDF in Frage", das schließlich "kein Parteisender" sei.
Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates, meldete sich jetzt zu Wort. Die Kritik an Brender sei konstruiert und vorgeschoben, sagte Beck. Er rief die "nicht so eng gebundenen Mitglieder" im ZDF-Verwaltungsrat dazu auf, in der Debatte über Brenders Vertragsverlängerung dem Mainzer Sender nicht mit parteipolitischen Machtspielen zu schaden. "Dieser Appell geht tief ins Kanzleramt", sagte Beck. Er vermutet die Quelle der Vorwürfe gegen Brender letztlich "in Berlin" und nicht nur in der hessischen Staatskanzlei.
Koch reagierte im Interview auf eine kritische Nachfrage zum Einfluss der Parteien in den öffentlich-rechtlichen Medien gereizt, mit einem entlarvenden Satz: "Politiker sind nicht eine Gefahr für die Demokratie, sondern ihre Grundlage." Ob das der Souverän wohl genauso sieht?
Sollte die Verwaltungsratsmehrheit sich trotz des vielstimmigen Protestes durchsetzen, würde das dem Ruf der öffentlich-rechtlichen Anstalten einen schweren Schlag versetzen. Bislang waren die Postenmauscheleien und das Proporzgerangel etwas, das hinter verschlossenen Türen ablief. Dass all dies nun öffentlich ausgetragen wird, beschädigt den Ruf der öffentlich-rechtlichen Anstalten gewaltig und zweifellos nachhaltig.
Eins ist sicher: Wenn der Posten des ZDF-Chefjournalisten tatsächlich nach den Wünschen von Roland Koch und Edmund Stoiber besetzt wird, dürfte das die Quoten der Nachrichtensendungen des Senders kaum verbessern.