Terrorattentat in Neuseeland Der Hass betrifft uns alle

Der Hass der Rechtsextremen ist intersektional. Er betrifft mehrere marginalisierte Gruppen und Minderheiten gleichzeitig. Davon zeugt auch die Hassschrift "Der große Austausch", die von einem der mutmaßlichen Terroristen von Christchurch im Internet veröffentlicht wurde.
Der Text, der im Namen von "Millionen von Europäern" verfasst wurde, warnt vor "Invasoren" aus dem Nahen Osten und aus Afrika, welche die weißen Europäer angeblich bald ersetzen würden. Der Verfasser beklagt sich zudem über "Wirtschaftseliten", die von diesem "Volksaustausch", vom "Genozid an den Weißen", profitieren würden.
Nicht nur diese Äußerung weckt Assoziationen einer vermeintlich jüdischen Weltverschwörung. Zudem "versichert" der Autor, dass er nichts gegen Juden habe, "solange sie in Israel bleiben und unser Volk nicht beschädigen."

Armin Langer, Jahrgang 1990, promoviert in Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Rabbinerstudent am Reconstructionist Rabbinical College in Philadelphia, wo er am Center for Jewish Ethics forscht.arminlanger.net: Armin Langers Homepage
Der Text bietet aber nicht nur Islamophobie, Rassismus und Antisemitismus, sondern auch Frauenfeindlichkeit und Homophobie: Die Sängerin Madonna wird als eine "kinderlose Hure" bezeichnet und Freddy Mercury als "degeneriert". Der Sänger habe an einer "Identitätskrise" gelitten und sei an seinem Hedonismus gestorben.
Ähnlichkeiten zum Anschlag auf die "Tree of Life"-Synagoge in Pittsburgh
Diese Intersektionalität der Rechtsextremen war auch beim Attentat auf die "Tree of Life"-Synagoge in Pittsburgh im Oktober 2018 deutlich sichtbar. Der Terrorist hatte vor dem Anschlag in den sozialen Netzwerken gepostet, dass "die Elite" die Zuwanderung in die USA fördere.
Er gab dafür dem jüdisch-amerikanischen liberalen Philanthropen und Finanzinvestor George Soros sowie der "Hebrew Immigrant Aid Society" (HIAS), einer jüdischen Organisation, die Geflüchtete unabhängig von ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit unterstützt, die Schuld.
Die HIAS würde "Invasoren" ins Land bringen, um Weiße zu töten, schrieb er. Später drang der Terrorist während des Schabbat-Gebets in die "Tree of Life"-Synagoge ein, die im Netzwerk von HIAS aktiv war, und eröffnete das Feuer. Elf Menschen starben.
Die Radikalisierung findet mitten in der westlichen Öffentlichkeit statt
Der Hass der Rechtsextremen betrifft nicht nur Juden, Muslime, Frauen, Schwule, Lesben und andere Minderheiten, er ist zudem auch global vernetzt: Ein Vorbild für den mutmaßlichen Täter in Christchurch war nach dessen eigener Aussage Anders Breivik, der sich selbst auf einem "Kreuzzug" wähnte und 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete. Auch die Verschwörungstheorie eines "Volksaustauschs", die sich in der Hassschrift von Christchurch findet, ist weltweit verbreitet:
- Der französische Publizist Renaud Camus veröffentlichte das Buch "Revolte gegen den Großen Austausch", das in Europas rechtsextremen Kreisen Standardlektüre ist.
- Begrifflich wird seine Ideologie etwa vom AfD-Vorsitzenden Gauland aufgegriffen, wenn dieser von einem "auf Hochtouren laufenden Bevölkerungsaustausch" spricht,
- aber auch von Ungarns Premier Viktor Orbán, der das "christliche Europa" vor vermeintlichen Invasoren retten will
- oder vom italienischen Innenminister Matteo Salvini, der in der Einwanderung "eine geplante, finanzierte und organisierte Masseninvasion" sieht.
Durch diese ideologischen Vernetzungen sind rechtsextreme Terroristen keine "einsamen Wölfe". Ihre Radikalisierung und dann ihre Attacken finden mitten in der westlichen Öffentlichkeit statt.
Für die Freiheit aller einsetzen, um unsere eigene Freiheit zu schützen
Bislang gucken wir - auch in Deutschland - nicht genug hin. Rechtsextreme konnten sich in den vergangenen Jahren sowohl in die Bundeswehr als auch in Polizeibehörden einschleichen - wovon sich wiederum die mutmaßlichen Täter von Christchurch vermutlich ermutigt fühlten:
- Einige Tage vor dem Anschlag verlinkt einer der mutmaßlichen Terroristen noch zu zwei Artikeln der "Deutschen Welle" über den Fall Franco A.
- In der Hassschrift des mutmaßlichen Attentäters, die nach dem Anschlag kursierte, heißt es, dass es in Europas Armeen Hunderttausende "nationalistische Soldaten" gebe.
Was tun gegen diesen Rechtsextremismus, der Grenzen überwindet und sich global vernetzt? Auch der Widerstand dagegen muss intersektional und global vernetzt sein. Der Mensch neigt dazu, sich ausschließlich um die Sicherheit der eigenen Gemeinschaft zu kümmern:
- Juden kämpfen gegen Antisemitismus,
- nicht-weiße Menschen gegen Rassismus,
- queere Personen gegen Homo- und Transphobie,
- Frauen gegen Sexismus
- und Menschen mit Behinderungen gegen Behindertenfeindlichkeit.
Dabei werden wir von den gleichen radikalen Menschen bedroht. Statt vereinzelte Aktionen brauchen wir ein koordiniertes Auftreten, um unseren Zusammenhalt zu stärken - ohne das Selbstverständnis der einzelnen Gruppen "vereinheitlichen" zu wollen. Und das nicht nur bundes-, sondern weltweit, gegen jede Art von Diskriminierung und Marginalisierung. Wir müssen uns für die Freiheit aller einsetzen, um unsere eigene Freiheit zu schützen.