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Ausgezeichnetes Design Stadt erobern mit Guerilla-Bank

Kunst mit Funktion: Seine schreiend gelben Bänke aus Drainagerohren wickelt der Hamburger Student Oliver Schau heimlich um Fahrradständer oder Bushaltestellen. Damit will er auf die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums aufmerksam machen - und gewann prompt einen Designpreis.

Flexibel, temporär, wetterbeständig, billig, auffällig: So lassen sich die Sitzskulpturen, die Oliver Schau, 27, an Fahrradständern oder Zäunen installiert, beschreiben. Unverlangt hingestellt sind sie, denn Schau wickelt seine Bänke aus gelbem Drainagerohr dort im Stadtraum, wo seiner Meinung nach noch eine Sitzgelegenheit fehlt. Anders als fest verankerte Stadtmöbel von der Stange zeigen seine Werke kein ausgetüfteltes Produktdesign. Aber der sechsköpfigen Jury für den "HFBK Designpreis der Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst" hat die Bank gerade deshalb gefallen. Sie teilte den Hamburger Designpreis in zwei erste Preise mit jeweils 1.700 Euro und vergab sie an Samuel Burkhardt für seinen "Sportwagen EXE" und eben an Oliver Schau für das "Stadtmöbel DN_100". Gerechnet habe er nicht damit, dass er einen Preis gewinnen würde, sagt Oliver Schau, denn alle zwölf vorgeschlagenen Projekte seien "wirklich sehr gut".

Zwei Aspekte haben die Jury an Schaus gelben Stadtmöbeln besonders überzeugt: "Es ist Guerilla-Design und zugleich empowerment tool", so die Jury. Und es sei beeindruckend, dass man mit "einfachsten Baumaterialien" und "mit wenigen Handgriffen" Sitzgelegenheiten bauen und damit "Stadtraum erobern" könne.

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Designpreis: Auszeichnung für die gelbe Guerilla-Bank

Foto: Oliver Schau

"Einfach so" ist Schau nicht auf die Idee für diese Sitzobjekte gekommen. Nach dem Architekturstudium in Cottbus und Barcelona mit Bachelor-Abschluss und nach einem Jahr im Hamburger Architekturbüro BRT schrieb er sich vor rund einem Jahr an der Hochschule für den Master in Bildender Kunst mit dem Schwerpunkt Produktdesign ein. "Stadtmöblierung" interessierte ihn, und so beschäftigte er sich erstmal grundlegend und theoretisch mit Städteplanung und öffentlichem Raum. "Ein grundlegendes Verständnis hatte ich durch mein Studium", sagt Schau, "aber auf die sozialen Aspekte einer Stadt war das nicht bezogen."

Wie also verhält es sich mit dem Recht des Bürgers auf seine Stadt? Kann jeder Bürger sich den öffentlichen Raum seiner Stadt aneignen, hindern Verkehr und Privatgrundstücke die Stadtbewohner daran, sich zum Beispiel einfach irgendwo hinzusetzen? Für wen sind eigentlich Straßencafés mit Verzehrzwang und "Strände" mit Eintrittsgeld mitten in der Stadt da? Aufwertung und Stadtentwicklung nennt man das - aber ist es nicht eher Verdrängung, wenn immer mehr Freiräume im öffentlichen Raum bewirtschaftet werden und damit nicht zahlungskräftigen Menschen unzugänglich sind?

Das Sicherheitspersonal kam und verbot die Aktion

"Nach der ganzen Theorie wollte ich unbedingt was machen", sagt Schau, und so entstanden seine "Sitzskulpturen". Die erste aus den billigen gelben Drainagerohren installierte er im vergangenen Sommer zur Jahresausstellung in der Hochschule. Ein Hingucker und ein beliebter Platz bis heute für seine Kommilitonen. Und für Schau ein Glücksfall, weil er damit für die Teilnahme am HFBK Designpreis und der damit zusammenhängenden Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe vorgeschlagen wurde.

"Vorher wollte ich unbedingt ausprobieren, was damit möglich und machbar ist", sagt Schau und startete seine erste Aktion im Hauptbahnhof, "weil es dort aus vielen Gründen fast keine Sitzgelegenheiten gibt". Er schulterte eine Rolle Drainagerohre, und zusammen mit seinen Freunden Daniel, Malte und Michi begann er, im Raucherbereich die biegsamen Rohre um den Aschenbecher-Mittelpfeiler und das Raucherschild herumzuwickeln und mit Kabelbindern zu fixieren. Das Aus kam nach ungefähr zehn Minuten, als das Sicherheitspersonal ankam und die Aktion sofort verbot.

Entmutigten ließen sich die Vier nicht: Rund zehn unterschiedliche Projekte haben sie inzwischen installiert - zum Sitzen, zum Anlehnen, zum Liegen - und bei vielen ging es gut: Vor der Hamburger Kunsthalle wickelten sie die Rohre zwischen die Fahrradständer. Viele schauten zu, und ein Mann fand die "Kunst mit Funktion" super. Gegenüber der Kunsthalle wurde der Sockel einer Skulptur umwickelt, rund 40 Meter kamen in der Speicherstadt um einen Brückenpfeiler, und an der Bushaltestelle Brandstwiete schlängelte sich das gelbe Rohr zwischen Baum und Anzeigetafel. Am Fischmarkt umwickelten sie spät abends einen Poller. Ein eher missglückter Versuch, denn niemand nutzte die Sitzmöglichkeit. Offensichtlich erkannten die Passanten noch nicht mal die Möglichkeit, sich darauf zu setzen.

Gar nicht so einfach, die "Konventionen klassischer Stadtmöbel" zu brechen und "ungewohnte Situationen" zu kreieren, "die das Selbstverständnis von Stadt hinterfragen, Möglichkeiten anderer Nutzungen aufzeigen und eine Verwirrung zwischen öffentlich und privat produzieren", wie Schau seine Vorstellungen und Ansprüche an seine Versuchs-Stadtmöbel in einem Text festhielt. Und wie ist es, wenn man - wie jetzt vor und im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe - die Sitzskulpturen ganz legal aufbaut? Er wisse noch nicht, wie sich das Projekt weiterentwickeln werde, sagt Schau, "aber auf jeden Fall ist mir der interventionistische und experimentelle Ansatz wichtiger als das Streben nach einem 'perfekten' Produkt".


Eine Bank auf der Straße vor dem Eingang zum Museum für Kunst und Gewerbe , eine in der Ausstellung "HFBK Designpreis der Leinemann-Stiftung  für Bildung und Kunst". Hamburg. Bis 8.1.2012.

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