
Ausländerzentralregister Bürokratiemonster außer Kontrolle


Akten über Akten - im Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle
Foto: Julian Stratenschulte/ DPABei Ausländern will es der deutsche Staat ganz genau wissen. Könnte ja sein, dass etwas mit denen nicht stimmt. Im sogenannten Ausländerzentralregister werden haufenweise Daten über Nichtdeutsche gesammelt: wo sie wohnen, mit wem sie verheiratet sind, was der Arzt sagt. Insgesamt über 10,6 Millionen Menschen sind dort erfasst , mit über 26 Millionen "personenbezogenen Datensätzen". Es handelt sich um eine der größten Datensammlungen in Deutschland. Wo kämen wir auch hin, wenn sich Ausländer ohne staatliche Registrierung frei im Land bewegen würden? Nicht auszudenken.
Dazu ein bisschen Heimatkunde:
Das Ausländerzentralregister - im Amtsdeutsch AZR genannt - wurde 1953 eingerichtet. Die Idee war nicht neu: 1938 hatten die Nationalsozialisten eine "Ausländerzentralkartei" eingeführt. Nur wenige Jahre nach dem NS-Regime kam die Ausländererfassung wieder. Erst in Form von Karteikarten, ab 1967 automatisiert.
Eigentlich ist es bei uns so: Wir haben während des Nationalsozialismus wirklich keine guten Erfahrungen mit der zentralen Erfassung von Menschen - besonders von Minderheiten - gemacht. Als Lehre daraus wurden in der Bundesrepublik Geheimdienste und Polizei informationell voneinander getrennt und föderal strukturiert. Davon ausgeschlossen sind nur - ausgerechnet - Ausländer.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1983 war klar, dass auch das mit der Ausländererfassung nicht so ohne Weiteres geht - also wurde 1994 die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen: das Ausländerzentralregistergesetz. Trotzdem bleibt die pauschale Datensammelei bei Ausländern im Bundesgebiet fragwürdig .
Kaum jemand kennt dieses kostspielige Bürokratiemonster, obwohl sich die Bundesregierung in letzter Zeit immer wieder damit befasst. Derzeit will sie es sogar weiter ausbauen . Big Boss der Datenerhebung ist der Bundesinnenminister, also Horst Seehofer (CSU), und der hält es wohl nach dem Motto : mehr Daten, mehr Sicherheit. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, man wolle das Ausländerzentralregister "ertüchtigen, um belastbarere Auskünfte erhalten zu können, allen relevanten Behörden unkomplizierten Zugriff zu ermöglichen und es auch zur besseren Steuerung der Rückführung und freiwilligen Ausreise einsetzen zu können".
Die Zahlen stimmen hinten und vorne nicht
Ein "unkomplizierter Zugriff" von Behörden auf persönliche Daten? Klingt nicht sehr beruhigend, wenn Sie mich fragen. Das AZR dient laut Bundesverwaltungsamt 14.000 Behörden und Organisationen mit über 100.000 Nutzern, darunter auch die Geheimdienste .
Der aktuelle Gesetzentwurf für das Zweite Datenaustauschverbesserungsgesetz sieht unter anderem vor, dass nicht akribisch dokumentiert werden muss, wer wann auf die sensiblen Daten zugreift. "Unkomplizierter Zugriff" heißt also: weniger Kontrolle.
Thilo Weichert, Jurist und ehemaliger Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein und wohl so ziemlich der einzige Mensch, der sich seit Jahrzehnten mit dem AZR beschäftigt, findet das falsch. Er warnt in einer Stellungnahme vor einer missbrauchsanfälligen "Totalkontrolle". Informationsaustausch zwischen Behörden - schön und gut, aber Schutz vor Missbrauch sollte auch für Ausländer gelten. Oder gerade.
Das Register soll nicht nur zur Beruhigung von Migrationsskeptikern und Staatskontrolle-Fans dienen, es ist vor allem die zentrale Zahlenquelle für Aufenthaltsberechtigungen oder Ausreisepflicht, Asyldaten und vieles mehr. Allerdings ist genau diese Informationsquelle äußerst fehlerhaft. Die Zahlen stimmen hinten und vorne nicht.
Zum Beispiel: 10,6 Millionen ausländische Mitbürger werden hier erfasst - das ist gut eine Million mehr, als die Bevölkerungsstatistik hergibt. Das Bundesamt für Statistik erklärt diplomatisch verschwurbelt auf einer Seite , wie das geht. Übersetzt heißt das : Ein Teil der Menschen in der Statistik ist längst verstorben, ausgewandert oder eingebürgert und trotzdem noch drin. Aus dem AZR gibt es offenbar kein Entrinnen. Chefbeamter Frank-Jürgen Weise hatte das 2017 auch mit dem Faktor Mensch erklärt : Zuständig für die Datenpflege seien nun mal die gestressten und überlasteten Beamten der Ausländerbehörden.
Und, besonders pikantes Detail: Wir wissen überhaupt nicht, wie viele Menschen wirklich ausreisepflichtig sind und abgeschoben werden können. Trotzdem gebaren sich manche Regierungsmitglieder, als hinge von der Zahl die Zukunft der Nation ab. Die Linkspartei im Bundestag und Abgeordnete wie Ulla Jelpke machen sich seit Jahren die Mühe, die Details aus diesem Chaos regelmäßig abzufragen. Die neueste Antwort der Bundesregierung zeigt wieder : Die Daten sind unzuverlässig.
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31.03.2023 15.46 Uhr
Keine Gewähr
Mehr als 230.000 Ausländer müssten laut AZR das Land verlassen. Davon befinden sich aber fast 37.000 noch in einem Asylverfahren - können also rein rechtlich eigentlich gar nicht "ausreisepflichtig" sein. Oder: Von den angeblich mehr als 50.000 unmittelbar Ausreisepflichtigen ohne Duldung sind offenbar viele gar nicht mehr in Deutschland, wie die Behörden selbst gestehen. Fehlerhafte Angaben aus dem AZR haben Tradition: Bereits 2011 kam nach einer Anfrage der Linken heraus, dass 40.000 angeblich Ausreisepflichtige ohne Duldung aus der Statistik gestrichen werden mussten, weil sie im Rechtssinne gar nicht ausreisepflichtig waren.
Ich bin ja selten einer Meinung mit unserem Bundesheimatminister. Aber am letzten Mittwoch hat Horst Seehofer laut Anwesenden im Innenausschuss des Bundestages über das Ausländerzentralregister gesprochen und eingeräumt, dass es "nicht hilfreich" sei, wenn ein Register nicht annähernd einen Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse liefere.
Da hat er recht.