Ausstellung "Das schwarze Quadrat" Pinselkunst am Nullpunkt

Der russische Maler Kasimir Malewitsch brachte mit seinem radikal reduzierten "Quadrat auf schwarzem Grund" die Malerei zu einem vorläufigen Endpunkt. Eine große Schau in der Hamburger Kunsthalle zeichnet seinen enormen Einfluss auf folgende Künstlergenerationen nach.
Von Heiko Klaas und Heiko Klaas

Kasimir Malewitsch muss ein ebenso charismatischer wie starrsinniger junger Mann gewesen sein. Neben der Malerei und dem gelegentlichen Entwerfen von Bühnenbildern und Kostümen fasste er vor allen Dingen umfangreiche Manifeste ab. Hier rechnete er, offenbar sichtlich mitgerissen von den antibürgerlichen Kräften des vorrevolutionären Russland, mit den Kunstvorlieben des Bürgertums und der Spießergesellschaft ab. "Die Maler müssen das Sujet und die Gegenstände aufgeben, wenn sie reine Maler sein wollen", hieß es da etwa. Und weiter: "Dann wird die Angewohnheit verschwinden, in Bildern Madonnen und Venusgestalten mit herumspielenden, verfetteten Cupidos zu sehen."

Dass so einer dann irgendwann einmal auf die Idee kommen musste, die Malerei so radikal wie möglich voranzutreiben und zu einem vorläufigen Endpunkt zu bringen, liegt auf der Hand. Mit seinem berühmten "Schwarzen Quadrat auf weißem Grund" von 1915 hatte der damals bereits 37-Jährige es geschafft: Kein Maler zuvor hatte ein derart reduziertes und radikales Gemälde geschaffen. Die Pinselkunst war an ihrem vorläufigen Nullpunkt angekommen. Und Malewitsch hatte bewiesen, dass er nicht nur große Reden schwingen konnte.

Mit diesem auf Gedeih und Verderb kompromisslosen Bild hatte er endlich geschafft, was er schon immer angestrebt hatte, nämlich "ein Bild zu malen ohne Gegenstände wiederzugeben". Das Publikum seiner Zeit war für derlei intellektuelle Spielereien aber offenbar noch nicht reif genug. Malewitsch beklagte sich jedenfalls bitterlich, "dass die Leute auf den Ausstellungen neuer Kunstrichtungen kichern und spucken." Das Banausentum seiner Zeitgenossen kommentierte er so: "Für solche Leute ist Kunst absolut nicht notwendig. Solange es nur ein Bild ihrer Großmutter und ihrer geliebten schönen Naturgegenden mit Fliederbüschen gibt."

Vielleicht würde es den "Erfinder der Gegenstandslosigkeit" ja trösten, dass die Hamburger Kunsthalle jetzt unter dem Titel "Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch" dem bis heute vernehmbaren Nachhall seines Werkes in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auf die Spur zu kommen sucht. Neben den Werken von Zeitgenossen und Gegnern Malewitschs bietet die Schau vor allem Anschauungsmaterial aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Übergang in eine unbekannte Welt

Quadrate, Kuben, Rechtecke und sogar Kreise. Alles, was sich auch nur im Entferntesten auf die Geometrie der Abstraktion à la Malewitsch beziehen lässt, ist hier versammelt. Den Auftakt bildet natürlich "Das schwarze Quadrat" selbst, besser gesagt, eines von mindestens vier der Nachwelt erhaltenen Exemplaren. Die Aura des authentischen Urquadrats von 1915 können die Hamburger leider nicht versprühen. Immerhin ließ sich ein Exemplar von 1923 mit den Maßen 106 x 106 Zentimeter aus dem Staatlichen Russischen Museum in der Hamburger Partnerstadt St. Petersburg auftreiben. Flankiert von weiteren Malewitsch-Highlights wie einem schwarzen Kreis und einem roten Quadrat, hängt es im ersten Saal der Ausstellung.

Aufschlussreich für das Verständnis von Malewitsch und Zeitgenossen sind die kleineren Arbeiten auf Papier, die einen Raum weiter bei stark abgedunkeltem Licht zu sehen sind. Unter anderem wird dort Malewitschs Entwurf für einen Opernvorhang von 1913 gezeigt. Hier taucht das Motiv des schwarzen Quadrats zum ersten Mal auf. Malewitsch hatte den Auftrag erhalten, das Bühnenbild für die futuristische Oper "Sieg über die Sonne" des Komponisten Michail Matjuschin zu entwerfen. Die Oper spielt in einem imaginären Land, aus dem die verwirrten Bewohner hinausklettern wollen. Das schwarze Quadrat symbolisierte dabei eine Zone des Übergangs in eine unbekannte Welt jenseits der Alltagserfahrung. Und genau dieser Gedanke sollte Malewitsch in den folgenden Jahren beschäftigen.

Was aus dieser radikalen Setzung im Laufe der folgenden 92 Jahre geworden ist, zeigt die Hamburger Schau anhand zahlloser Beispiele. So wird der Besucher gleich einen Raum weiter von einem heizungskellerartigen Geruch ebenso angezogen wie abgestoßen. Der japanische Künstler Noriyuki Haraguchi schuf bereits 1977 seine Installation "Matter and Mind": Eine 7,50 Meter lange und 5,50 Meter breite, flache Eisenwanne ist rund zehn Zentimeter hoch mit Altöl gefüllt. Architektur und Besucher spiegeln sich auf der schwarz glänzenden Oberfläche.

Elementare Formensprache

Folgt man der These der Ausstellung, so hat das "Schwarze Quadrat" mindestens jede zweite Kunst- und Designrichtung des 20. Jahrhunderts mit losgetreten. Es taucht auf Textilentwürfen ebenso auf wie auf russischen Eisenbahnwaggons und Ladenschildern. Malewitschs Zeitgenossen, El Lissitzky und Alexander Rodtschenko, peppten mit Ableitungen und Varianten ihre konstruktivistischen Graphiken, Architekturentwürfe und Raumkonstruktionen auf.

Künstler der amerikanischen Minimal Art und der Konzeptkunst wie Donald Judd, Carl Andre oder Sol LeWitt vervielfachten das Quadrat und schufen aus leicht verfügbaren Industriematerialien wie Stahl serielle Skulpturen. Auch ihnen ging es um eine elementare Formensprache. Sie distanzierten sich damit radikal von der gestischen Malerei ihrer Zeit, dem Action Painting und Abstrakten Expressionismus.

Künstler wie Sigmar Polke oder Rosemarie Trockel wiederum ironisierten die pathetische Ernsthaftigkeit, mit der Malewitsch seine malerischen Dogmen verkündete. 1969 malte Polke sein berühmtes Bild "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!", eine gewöhnliche weiße Leinwand mit schwarzer Ecke und unpersönlicher Schreibmaschinenschrift. Trockels 1988 entstandenes Strickbild mit dem von Descartes geklauten Titel "Cogito, ergo sum" zeigt in der unteren rechten Ecke ein schwarzes Quadrat. Trockel verquirlt hier ein Klischee mit dem anderen: Hausfrauenkunst, philosophische Allgemeinplätze und die Mythen der Kunstgeschichte.

Gregor Schneiders Kubus als Urgedanke der Moderne

Die einzige extra für die Malewitsch-Schau entstandene Arbeit stammt von Gregor Schneider, 38, einem der omnipräsenten Enfant terribles der internationalen Kunstszene. Er baute den "Cube Hamburg", das wohl spektakulärste und medienwirksamste Werk der Ausstellung. Der zunächst umstrittene 14 x 13 x 13 Meter große, mit schwarzem Stoff behangene Würfel steht jetzt unverrückbar auf dem Sockel der Kunsthalle. Er bildet das temporäre Bindeglied zwischen Alt- und Neubau und hat durchaus das Zeug, zum Publikumsliebling zu avancieren.

Schneider versteht seinen gigantischen Kubus als eine Verkörperung der reinen, minimalistischen, aus dem Urgedanken der Moderne entstandenen Form. Er, der bisher für seine nach innen gestülpten, klaustrophobischen Zellen bekannt war, betritt mit dieser den Außenraum souverän erobernden Arbeit künstlerisches Neuland. Gleichzeitig intendiert er eine Verbindung zum zentralen Heiligtum des Islam, der Kaaba in Mekka.

Verpufftes Provokationspotential

Geplante Aufstellungen während der Biennale Venedig 2005 auf dem Markusplatz und später vor dem Museum Hamburger Bahnhof in Berlin wurden jeweils untersagt. Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner bietet der dreidimensionalen Verkörperung des "Schwarzen Quadrats" in Hamburg gewissermaßen Asyl. Die Vertreter der muslimischen Gemeinden, die eng in den Diskussionsprozess um die Aufstellung des Kubus einbezogen wurden, begegneten Gregor Schneiders Projekt übrigens von Anfang an mit geradezu entwaffnender Sympathie. Das in Venedig und Berlin behauptete angebliche Provokationspotential der Arbeit verpuffte in Hamburg auf wundersame Art und Weise vollkommen.

Doch zurück ins Innere der Hamburger Kunsthalle: Im letzten Raum der Schau wird es dann etwas gruselig und allzu anekdotisch. Die slowenische Künstlergruppe IRWIN rekonstruierte bereits 2003 das Zimmer mit dem aufgebahrten Leichnam Malewitschs. Als Vorlage diente den Künstlern eine historische Fotografie. Der bärtige Künstler liegt, von seiner Krebserkrankung sichtbar gezeichnet, im weißen Sarg. Sein Schüler Nikolai Suetin hatte diesen, wie im Testament verfügt, in klarer suprematistischer Formensprache entworfen: weiß, kantig und mit je einem schwarzen Quadrat und Kreis verziert. Über dem Toten hängt, wie könnte es anders sein, ein schwarzes Quadrat.


"Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch". Hamburger Kunsthalle. Bis 10. Juni 2007

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