Ausstellung "Nude" Die Grenzen der Emanzipation
Der Ursprung der Welt - geht es nach einem Bild des französischen Malers Gustave Courbet, dann liegt er zwischen zwei Schamlippen. Seit er das gleichnamige Aktgemälde 1866 fertigstellte, löst es verlegene Reaktionen bis hin zur Empörung aus. Jacques Lacan, jahrelanger Besitzer des Gemäldes, versteckte es bis zu seinem Tod 1981 hinter einem anderen Bild. 2018 wurde es zum Justizfall, nachdem Facebook das Bild samt Nutzerprofil des Postenden löschte.
Darstellungen von nackten Frauen sind eigentlich keine Seltenheit in der Kunstgeschichte. Lucas Cranach malte die nackte Eva. Rubens malte die nackte Venus. Trotzdem schien mit dem Gemälde 1866 etwas anders zu sein. Die gespreizten Beinen auf dem Bild führen direkt ins Zentrum der Scham: die behaarte Vulva, fast lebensgroß. Das Gesicht der Frau ist nicht zu sehen. Ihre Person ist reduziert auf die Geschlechtsteile. Die Frau wird scheinbar zum Objekt. Zum still(gelegten) Leben, das die Lust bloßstellt. Und damit vor allem eine Perspektive: die männliche.

Männliche Perspektive: "Der Ursprung der Welt" von Gustave Courbet
Foto: SEBASTIEN BOZON/ AFPEine neue Ausstellung in der Potsdamer Villa Schöningen will genau diese Perspektive umdrehen: Unter dem Titel "Nude" sind auf zwei Stockwerken nackte Frauenkörper in den Werken von Künstlerinnen zu sehen. Vom 17. Jahrhundert bis heute. Darunter ein Frauenkörper der Malerin Paula Modersohn-Becker: ruhige Porträts der frühen Künstlerinnenszene. Aber auch provokative Installationen wie der Fotografin Cindy Sherman: Auf ihren Bildern setzte sie sich oft mit Perücken und Makeup in bewusst überzogenen Frauenposen in Szene.
Alle Werke stammen aus der Privatsammlung von Mathias Döpfner, Springer-Vorstandschef. Der weibliche Körper gehöre seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Motiven in der Kunst, "eigentlich seit der Venus von Willendorf vor 25.000 Jahren", sagt Döpfner bei einem Gespräch mit SPIEGEL ONLINE in seiner Villa. In der Ausstellung gehe es um den "weiblichen Blick auf das Thema Nacktheit". Wie der aussehen kann?
Im Video: Die Geschichte des Nacktseins
Eine von den ausgestellten Künstlerinnen ist Anna-Stina Treumund: In ihrer Serie "Dread" testete die queere Künstlerin aus Estland nach eigener Aussage die "Regeln des BDSM" in der scheinbaren Regellosigkeit. Eines ihrer Fotos sieht beinahe aus wie eine Kopie vom "Ursprung der Welt". Die Pose ist die gleiche wie im Original von Courbet. Mit einem Unterschied: In der Vulva steckt eine Hand. Das Bild hängt für den Durchschnittsbesucher der Ausstellung nicht auf Augenhöhe. Sondern ein ganzes Stück tiefer, eher Lendenhöhe.
Klischeehafte Pose
Von dem Arrangement unterschiedlicher Interpretationen von Nacktheit lebt die Ausstellung ein Stück weit: Selbst eher bieder wirkende Gemälde wie "Le Sommeil de Menon" der französischen Malerin Madeleine Jeanne Lemaire bekommen so einen neuen Kontext. Lemaire war beliebt in der Kunstszene um 1900. Sie lud in ihren Salon Promis wie Sarah Bernhardt und Marcel Proust. Ihre Bilder verkauften sich gut. "Le Sommeil" zeigt den weiblichen Körper in klischeehafter Pose: Auf einem Bett, zwischen cremefarbigen Kissen, Federschmuck und Fächern, räkelt sich eine weißhäutige, nackte Frau mit gepuderten Haaren. Auf ihrer Brust liegt eine Perlenkette. Darüber, wie in Scham, die Hände. Die Brustwarzen bleiben unbedeckt. Ein Werk wie das der Künstlerin Suzanna Scott wird durch diese Biederkeit erst recht zur Provokation: Schräg gegenüber im selben Zimmer sind ihre "Coin Cunts" (2013) zu sehen. Über dem Kamin hängen geöffnete Portemonnaies, fleischfarben. Ihr Stoff legt sich in vielversprechende Falten.
Kunst war lange Männersache. Einigen Werken sind deshalb Geschlechtergrenzübertretungen ganz konkret anzumerken. Dazu gehören frühe Gemälde wie etwa "Beauty fending off time" (1665) von Elisabetta Sirani aus Bologna. Sirani kam aus einer Künstlerfamilie. Das Kunststudium war Frauen verboten. Also gründete sie eine eigene Akademie, nur für weibliche Studenten. Das Bild zeigt eine nackte Frau mit Kind. Die Zeit - auf dem Gemälde ein Mann mit Bart - deutet auf eine Sanduhr. Die Frau schiebt ihn mit einer Hand von sich.
Für eine Frau im 17. Jahrhundert eine Ungeheuerlichkeit. Die Technik, die Rundungen ihres Körpers, das Geschlecht nur flüchtig bedeckt mit den Falten eines Tuches, wirken dann allerdings wieder wie nach üblichen Regeln gemacht. Subtile Provokation oder Zugeständnis an Erwartungen an Frauen? "Zu sehen ist eine Frau, die auf den ersten Blick den typischen Darstellungen der Zeit folgt", sagt Döpfner. "Ihre Pose aber ist eine andere: Sie stößt die Zeit, und damit auch die Vergänglichkeit, von sich."
Das klingt nach erfolgreicher Emanzipation. Die Darstellung nackter Körper sei "auch ein Gradmesser der Freiheit in einer Gesellschaft", sagt Döpfner. Indem die Werke sich an gängigen Vorstellungen von Frauenkörpern ihrer Zeit abarbeiten und auf sie re-agieren, kommen sie allerdings auch selten wirklich von ihnen weg. Und bleiben damit auch manchmal an Klischees kleben.
Wie schwierig die komplette Loslösung von Rollenbildern wird, zeigt selbst der Ansatz von Paula Modersohn-Becker. Ihr "Liegender weiblicher Akt" (1905) zeigt Frau in klassischer Pose, die Beine angewinkelt, den Kopf auf einen Arm gestützt. Die Hüfte ist nicht so drall geschwungen. Die Rundungen wirken weicher. Ihr Bauch leicht gewölbt. Für die Betrachterin ist das fast schon: mütterlich.
Ausstellung: "Nude. Female bodies by female artists", Villa Schöningen , Potsdam, bis 1. Oktober 2019.