
Öffentliche Architektur: Brutalistisch schön
Öffentliche Architektur Die Kunst der Beamten
Architektur-Ausstellungen zeigen meist schöne und besondere Bauten von sogenannten Star-Architekten, während es draußen in der Realität ganz anders aussieht und man sich fragt, ob Stadtplaner und Stadtbauämter längst resigniert und ihre Aufgaben an Investoren, Immobilien-Developer und Spezialisten für gesichts- und phantasielose Architektur delegiert haben.
Dass es auch anders geht und ging, zeigt jetzt in Berlin die Ausstellung "Public Works - Architecture by Civil Servants" mit 15 öffentlichen Bauten aus den sechziger und frühen siebziger Jahren. Entworfen und gebaut wurden sie nämlich von angestellten Architekten der kommunalen Bauämter in London, Amsterdam, Berlin und jungen Architektengruppen in Frankreich und Italien, und deren Werke sehen bis heute modern aus. Es sei eine "Blütezeit öffentlicher Architektur" gewesen, sagt Reinier de Graaf, Partner von Rem Koolhaas' Rotterdamer Architekturbüro OMA, der zusammen mit seiner Kollegin Laura Baird die Ausstellung für die Architekturbiennale 2012 in Venedig kuratiert hat.
Und diese Blütezeit gab es, "bevor die brutale Herrschaft der Marktwirtschaft zum gemeinsamen Nenner wurde", so de Graaf. Erstaunlich für ihn war, dass in der damaligen sozialdemokratischen Aufbruchzeit ausgerechnet im Stil des "Brutalismus" gebaut wurde.
Dem Zeitgeist verpflichtet
Als "brutalistisch" gilt auch die ehemalige Kirche St. Agnes in Berlin-Kreuzberg, die jetzt gleichzeitig Ausstellungsstück und Ausstellungsort der Schau ist. Der Berliner Werner Düttmann hat das Ensemble 1967 fertiggestellt, und obwohl er zwischen 1960 bis 1966 Stadtbaudirektor West-Berlins war, passen St. Agnes und die ebenfalls ausgestellten Projekte "Akademie der Künste" (1959) und "Brücke Museum" (1967) eigentlich nicht in das Raster "öffentlicher Auftrag" der Schau, denn die drei Bauten entstanden unabhängig von Düttmanns Amtstätigkeit. Aber das scheint nebensächlich, denn schon St. Agnes ist großartige Anschauung für die architektonische Bedeutung der ausgestellten Bauten und reales Beispiel für die unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen ihrer Entwerfer, die zwar dem Zeitgeist verpflichtet waren, deren Projekte aber immer eine individuelle Handschrift haben.
St. Agnes zum Beispiel ist ein Gebäude-Ensemble aus Kirche, Glockenturm, Gemeindezentrum, Mitarbeiter-Wohnungen und Sakristei, das sich um einen Innenhof gruppiert. Die unterschiedlich hohen Kuben sind ineinander verschachtelt, teils in Betonskelett-, teils im Mauerwerksbau errichtet und werden von verschiedenen Vordächern und Dachterrassen und dem überall gleichen grauen Zementwurfputz zusammengehalten. Der Kirchenbau selbst ist rundherum geschlossen. Man betritt ihn seitlich vom Innenhof aus durch eine schwere große Metalltür und steht in einem niedrigen Vorraum, über dem die Empore liegt. Das schmale, hohe Kirchenschiff wirkt wie von Licht gerahmt, das teils von oben einfällt, teils wie im Altarraum durch raumhohe seitliche Schlitze kommt.
Gottesdienste finden hier nicht mehr statt. Kirchengemeinden wurden zusammengelegt, St. Agnes entweiht und 2012 an den Berliner Galeristen Johann König in Erbpacht verkauft. Der baut sie nun mit dem Architekten Arno Brandlhuber zu einem Kunst- und Kulturzentrum um. Ein Glücksfall, hoffentlich.

Abgerissene oder zu Attraktionen gewordenen Bauten
Jetzt ist der Raum leer, und damit ideal für die Ausstellung, die sich mit alten und neuen Schwarzweiß-Fotos und Architektenplänen zwischen großen Glasscheiben präsentiert. Dazu liegen in Vitrinen Dokumente, kleine Skizzen oder Fotos zu einigen Gebäuden aus. Einige in der Ausstellung gezeigte Bauten wurden erst vor wenigen Jahren abgerissen, wie die Pimlico School in London oder das Amsterdamer Wibauthuis, das 1964 aus vorfabrizierten Platten gebaut wurde und in Stil und Dimension nie so recht in die kleinteilige hübsche Stadt passte.
Andere passen bis heute in das Stadtbild oder sind zu Attraktionen geworden, wie die Chiesa di San Giovanni Bono von 1961, die in Mailand in der Mitte eines großen Wohngebietes liegt - vergleichbar mit der Lage von St. Agnes am Rand einer Neubausiedlung mit 8- bis 16-stöckigen Wohnbauten. Deren Bewohner zählen zu den eifrigsten Besuchern der Ausstellung, obwohl sie oft andere Vorstellungen von Kirchenarchitektur haben. Aber "ihre" Kirche, ihre "Trutzburg", wie eine ältere Dame sie bezeichnet, die gehöre einfach zu ihnen und die muss auf jeden Fall bleiben.
Und wer weiß - vielleicht könnte St. Agnes in diesen tristen Architektur-Zeiten eine Art Denkmal für verantwortungsbewusste, gute und mutige Bauamts-Beamte werden.
Public Works - Architecture by Civil Servants. Berlin. St. Agnes Kirche. Alexandrinenstraße 118. Bis 14.4.