Ausstellung "Unheimlich vertraut" Vom Terror ein Bild gemacht

Die brennenden Türme, die Trümmer des World Trade Center, Bilder des Terrors und Bilder von Terroristen: Die Berliner Ausstellung "Unheimlich vertraut" versucht zum Jahrestag des 11. September 2001 eine visuelle Annäherung an das Grauen. Können Schreckensbilder zu Kunst werden?
Von Daniela Zinser

Ein Mann, eine Strumpfmaske, ein Betonbalkon. Zwei Türme, ein Flugzeug, eine Wolke aus Feuer und Rauch. Geschichte, Erinnerung, Angst sind verdichtet in diesen beiden Bildern, es sind festgehaltene Momente, von denen an alles anders wurde - sei es nur in Gedanken, im Gedenken. Die Bilder wurden zu Ikonen im kollektiven Gedächtnis.

Zwei Motive und sofort ist alles da: Olympische Spiele München 1972, der Überfall eines palästinensischen Terrorkommandos auf die israelischen Sportler, der vermummte Attentäter. Und New York, 11. September 2001, der Angriff auf das World Trade Center (WTC), die einstürzenden Türme. Die beiden Ereignisse bilden die historischen Enden der Ausstellung "unheimlich vertraut. Bilder vom Terror", die bis zum 4. Dezember im c/o Berlin im Postfuhramt in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte zu sehen ist.

Womit fängt es an? Wann und wie beginnen wir, uns ein Bild von etwas zu machen - und ist das Bild dabei Abbild oder selbst Werkzeug? Die von Felix Hoffmann kuratierte Schau ist ein Lehrgang, der erhellend sichtbar macht, was hinter so oft Gesehenem steckt, welche Wechselwirkungen zwischen terroristischem Akt und Aufnahme bestehen.

"Das totale Fernsehen" titelte der SPIEGEL 1972 anlässlich der Olympischen Spiele von München. Erstmals gab es eine umfassende Liveübertragung der Wettbewerbe, Fotoaufnahmen von Raymond Depardon zeigen die Massen an Journalisten vor Ort. Und so wurde auch der Angriff auf die israelische Delegation und die Geiselnahme zum medialen Ereignis. Ebenso wie die Täter von 9/11, dem bislang wohl meistfotografierten und gefilmten Geschehen, setzten die Terroristen von München kalkuliert ein, über die Bilder alle zu treffen, zuhause am Frühstückstisch, im Wohnzimmer. Die Wirkung ist brutal, direkt, unausweichlich.

Wie Medienbilder Realitäten erschaffen

Die Kritik am Kapitalismus verschränkt sich mit dem gezielten Nutzen der von ihm produzierten Bilderflut. Die entsteht gerade auch durch ständige Wiederholung, nicht nur wie nun zum zehnten Jahrestag von 9/11. Wie sehr sich Motive einprägen, zeigt unter anderem Michael Schirners Reihe "Bye Bye", in der er aus berühmten Aufnahmen das entscheidende Detail wegretuschiert, die WTC-Türme etwa oder den Vermummten. Die Bilder funktionieren trotzdem, die Assoziationen sind sofort da.

Sie sind es auch bei Fotos von - angeblichen - Tätern, Tatorten und Opfern. Anhand einer Reihe künstlerischer Arbeiten und historischen Bildmaterials lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie Medienbilder Realitäten erschaffen, die geprägt sind von Ängsten, Vorurteilen, medialen Vorbilder. Wenn etwa Thomas Ruff in "Anderes Porträt" Aufnahmen von RAF-Tätern mit denen seiner Freunde mischt, die Gesichter übereinander blendet, bleibt nichts als ein unscharfes Antlitz. Wer ist wer und ist er es überhaupt?

Mediale Archetypen wie das Bild des entführten Hanns Martin Schleyer oder die RAF-Fahndungsplakate werden von anderen - Terroristen wie Künstlern - wiederaufgegriffen und reproduziert, etwa von Helmut Newton, dessen Serie "Big Nudes" ursprünglich "Die Terroristinnen" hieß. Der Nachrichtenwert des Bildes wird beständig mit Bedeutung und Erfahrung aufgeladen.

Das Kino als Illustrator des Terrors

Mehr als 200 Arbeiten von rund 30 Künstlern zeigt die Ausstellung, die dezidiert keinen Unterschied macht zwischen Kunst, Agenturfotografie und Amateuraufnahmen. Historische Quellen aus dem Bildarchiv des SPIEGEL stehen neben Videoinstallationen. Es geht um die Frage nach der Verwendung von Bildern, die uns "unheimlich vertraut" sind: sehr vertraut also und doch unheimlich, weil sie und mit ihnen die Tat, die dahintersteckt, so unfassbar sind, so fremd, egal, wie oft man sie sieht.

Von all den Bildern, die rund um die Ereignisse des 11. September 2001 aufgenommen wurden, hat es vielleicht knapp ein Dutzend ins kollektive Gedächtnis geschafft. Im Flur im ersten Stock des c/o ist eine Vielfalt der anderen Aufnahmen dokumentiert, Fotos, die Gesichter zeigen in Angst. Welche Bilder setzen sich durch - und warum? Eine Annäherung an eine Antwort versucht Michal Kosakowski in seiner Videoarbeit "Just like the Movies". Darin setzt er Ausschnitte aus Hollywoodfilmen, die vor 2001 entstanden sind, so zusammen, als seien es Aufnahmen von 9/11.

Das Kino als Illustrator des Terrors und die Werbung als Wegbereiter: Eine Vitrine zeigt, wie das World Trade Center in den siebziger Jahren als Ikone und damit ideales Ziel aufgebaut wurde, wie es Anzeigen für Schmuck, Zigaretten, Bier und sogar British Airways zierte. Später ist es das Bild von Feuerwehrleuten, die in den Trümmern die US-Flagge hissen, das die Geschichte weiterführt - auf Kissen, Tellern und sogar Aschenbechern.

Ein kurzer Weg vom Bilderkonsum zu nur schwer Verdaulichem

Die unheimliche Ästhetik der Symbol gewordenen Bilder thematisiert auch Christoph Draeger in "Ground Zero Sept 12/2001". Aus einem im Time Magazine erschienenen Bild des Fotografen James Nachtwey macht Draeger ein vielteiliges Puzzle. Die Trümmer zum Zusammenfügen, "die Konstruktion der Destruktion", sagt der Künstler. Statt einer Alpenlandschaft beispielsweise werden Stahlgerippe zum idealen Motiv, mit dem man sich puzzelnd lange beschäftigen, es später sogar an die Wand hängen kann. Die Nachricht, das Geschehen wird zum reinen Bild.

Wie inhaltsleer die Aufnahme selbst des größten Schreckens sein kann, zeigt auch Robert Boyds Videoinstallation "Xanadu": Unter einer Discokugel laufen auf vier Leinwänden Bilder von Terror, Krieg, Diktatur, bedudelt von Popmusik. Man will sofort tanzen. Beschwingt kommt man in die alte Turnhalle, den größten Ausstellungsraum des c/o, und steht vor einem 18 Meter langen Banner, das nur Blut zeigt, zerrissene Körper, aufgeplatzte Köpfe. Thomas Hirschhorns "The incommensurable Banner" ist visueller Terror, bei dem unklar bleibt, woher die Fotos überhaupt stammen. Ein kurzer Weg vom Bilderkonsum zu nur schwer Verdaulichem.

Und immer wieder die zwei Türme, das Flugzeug, die Wolke aus Feuer und Rauch. Ein Überblick über Zeitungs- und Magazintitelseiten weltweit zeigt, wie dieses eine Bild die Berichterstattung nach 9/11 prägte. Thomas Ruff hat dieses Foto digital auf eine große Leinwand übertragen und verpixelt. Nur aus der Ferne ergibt es ein Bild, von Nahem sieht man verschwommene Einzelteile. Es ist im Kern diffus, fast inhaltsleer dabei, und es ist nicht ein mal mehr klar ist, wer es gemacht hat.

Ganz konkret und auf neue Art emotional wird das Gesehene in Kombination mit der parallel im c/o laufenden Ausstellung "At War" mit Fotografien von Anja Niedringhaus. Die Bildjournalistin war für Associated Press im Irak unterwegs, in Afghanistan, im Gaza-Streifen. In Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentiert sie, was nach 9/11 kam, welches Leid noch heute daraus resultiert."Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt", sagt die Kriegsfotografin. Sie gibt den Bildern ein Gesicht.

"Unheimlich vertraut. Bilder vom Terror"  , bis 4. Dezember, c/o Berlin, Postfuhramt Oranienburger Straße 35/36, täglich von 11 bis 20 Uhr.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten