Künstlerin Eva Hesse Leben und Arbeiten am seidenen Faden
Es war Mai, und die Eröffnung der Ausstellung wurde im Park der Fabrikantenvilla gefeiert. Eva Hesse trug weiße Pumps, ein grünes Kleid und ihre schweren, dunklen Haare hochgesteckt.
Die Hauptfigur des Events aber war ihr Mann, der junge US-amerikanische Bildhauer Tom Doyle. Er war es gewesen, den der Industrielle Friedrich Arnhard Scheidt im Juni 1964 für einen einjährigen Arbeitsaufenthalt nach Kettwig an der Ruhr eingeladen hatte. In einer stillgelegten Fabrik des Scheidtschen Textilimperiums konnte Doyle zusammen mit seiner Frau wohnen und arbeiten. Jetzt wurde, verstreut unter Bäumen, präsentiert, was er geschaffen hatte.
Weit weniger beachtet wurden die Arbeiten, die Doyles Frau im Gewächshaus hatte aufhängen dürfen. Auch sie hatte in der leeren Fabriketage gearbeitet. Während Doyle dort, wo einst die Webstühle gestanden hatten, seine Plastiken schuf, bezog sie den gläsernen Kasten in der Mitte, in dem einst der Aufseher gewirkt hatte. Dort hatte sie anfangs gezeichnet und gemalt, dann aber die herumliegenden Reste der Tuchfabrikation - Kordeln, Drähte und Schnüre - auf Hartfaserplatten zu eigentümlichen Halbreliefs verschlungen.
Reduzierte, oft serielle Formen
Der Bildhauer Doyle ist heute nur noch wenigen ein Begriff. Eva Hesse aber nahm 1965 in der Kettwiger Textilfabrik den Faden auf, den sie zu ihrer ureigenen Variante des Minimalismus verstrickte. Sie schuf reduzierte, oft serielle Formen, denen sie aber einen organischen Ausdruck gab und sie zu zarten Membranen oder zotteligen und zerzausten Wucherungen verwachsen ließ. Ausgehend von den Reliefs eroberten ihre dreidimensionale Arbeiten in fünf Jahren die Kunstwelt: in der Spanne, die ihr noch bis zu ihrem Tod im Alter von 34 Jahren blieb.
Vor der Kettwiger Klausur hatte die in New York aufgewachsene Eva Hesse an mehreren Hochschulen - zuletzt bei Josef Albers in Yale - Kunst studiert. Immer, wenn sie den Eindruck hatte, nicht mehr genug lernen zu können, hatte sie zielbewusst den Studienort gewechselt. Wenig später hatte sie Tom Doyle, ihre große Liebe, kennengelernt und geheiratet.
Als die beiden aus Kettwig in ihre New Yorker Wohnung an der Bowery zurückkehrten, zerbrach ihre Ehe. Umso konsequenter aber ging Hesse nun ihren Weg. Sie war lebenslustig und feierte gern, am liebsten aber immer dann, wenn sie - etwa mit ihren Künstlerfreunden Sol LeWitt, Carl Andre oder Dan Flavin - ernsthaft über Kunst debattieren konnte.
Sie war ehrgeizig und träumte von einer Art "Nicht-Kunst, die nicht anthropomorph, nicht geometrisch, nicht gar nichts, aber anders ist". Und sie war sich sicher: "Diese Vision, dieses Konzept kann nur durch totales Risiko entstehen, durch Freiheit, durch Disziplin. Ich werde es tun."
Arbeiten mit Gummi, Latex, Glasfaser und Polyesterharz
Und sie tat es. Sie arbeitete nun vor allem mit Gummi, Latex, Glasfaser und Polyesterharz. Schon bei ihrer ersten Soloausstellung als Bildhauerin 1968 in der Fischbach Gallery erntete sie begeisterte Kritiken - beispielsweise für ihre Glasfaserbox "Accession III", die von innen mit Tausenden kleinen Kunststoffschläuchen pelzig ausgekleidet war.
Wenig später lud sie der heute legendäre Kurator Harald Szeemann zu einer der bekanntesten Schauen der Kunstgeschichte ein: zu "When Attitudes Become Form" in der Kunsthalle Bern. Die Künstlerin sollte zur Eröffnung kommen, aber die Ärzte verboten ihr bereits die Reise. Im April 1969 brach sie zusammen. Tage später die Diagnose: Gehirntumor. Sie wurde dreimal operiert. Zwischen den OPs arbeitete sie fieberhaft, verwob jetzt auch mal Mull und Bandagen. Im Mai 1970 starb sie.
"Mich kann man leicht glücklich und leicht traurig machen, weil ich schon so vieles durchgestanden habe", hat Hesse, der der deutsche Journalist Michael Jürgs mit "Eine berührbare Frau" das maßgebliche biografische Denkmal gesetzt hat, in ihrem letzten Interview gesagt. Schon ihre Kindheit war voller Abschiede und Verluste gewesen. Eva war als Tochter einer Familie jüdischen Glaubens 1936 in Hamburg geboren worden. Nach den Novemberpogromen 1938 hatten ihre Eltern die zweijährige Eva zusammen mit ihrer nur wenig älteren Schwester ins sichere Ausland geschickt.
Wenig später floh das Ehepaar Hesse, und während die engsten Verwandten in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden, versuchte die Familie gemeinsam, in New York Fuß zu fassen. Doch die Ehe der Eltern zerfiel. Und als Eva neun Jahre alt war, stürzte sich ihre Mutter von einem Hochhaus.
Während der Zeit in Kettwig hatten Eva Hesse und Tom Doyle nicht nur die Kunststädte Paris, Florenz und Rom bereist, sie hatten auch an der Tür einer Wohnung in der Hamburger Isestraße geklingelt, um einen Blick in die Räume von Evas früher Kindheit zu werfen. Sie waren aber abgewiesen worden.
Ab Freitag sind in der Hamburger Kunsthalle viele ihrer zerbrechlichen und schwer transportierbaren Arbeiten als kostbare Leihgaben aus europäischen und amerikanischen Museen und Sammlungen zu sehen.
Vermutlich liegt man nicht ganz daneben, wenn man dann vor Hesses kühl-sinnlichen Abstraktionen, bei denen poröse Häute und Membranen häufig eine luftige Mitte umschließen, auch an die Fragilität der Existenz der Künstlerin denkt.
29. November 2013 bis 2. März 2014 in der Hamburger Kunsthalle, www.kunsthalle-hamburg.de