Axel-Springer-Neuausrichtung "Bild", "BamS" - jetzt Glotze

Springer und das Fernsehen - das war lange die Geschichte einer unerfüllten Liebe. Jetzt aber will der Konzern sein Massenblatt zur TV-Marke ausbauen. Die Strategie: Liveformate statt klassisch produzierter Inhalte.
"Bild am Sonntag" und "Bild": Die Fusion birgt Sprengstoff

"Bild am Sonntag" und "Bild": Die Fusion birgt Sprengstoff

Foto: HAYOUNG JEON/ EPA-EFE/ REX

Es war ein ewiger Traum von Axel Springer, das Verlegerfernsehen. Zeitlebens strebte der Gründer des Medienhauses danach, die Macht seiner Zeitungen ins Fernsehen zu verlängern; übrig blieb am Ende nur der Trost: Die "Bild" ist gedrucktes Fernsehen. Nun aber soll der Traum wahr werden. "Bild" wird Fernsehen. Springer will 20 Millionen Euro investieren, um das Boulevardblatt zu einer TV-Marke zu machen, eigener Sender nicht ausgeschlossen. 18 Stunden Live-Fernsehen täglich sind geplant, eine eigene Sendelizenz soll her.

Wenn künftig Geschichte passiere, Wahlen gewonnen und verloren, royale Babys geboren würden oder "irgendwo die Erde bebt", sollten Menschen den Fernseher einschalten und zu "Bild" schalten. Das verkündete "Bild"-Chef Julian Reichelt heute Mittag im Berliner Newsroom der Redaktion den Mitarbeitern.

Die hatten eigentlich damit gerechnet, Neues zur anstehenden Fusion von "Bild" und "Bild am Sonntag" zu erfahren, doch die war Reichelt kaum mehr als ein paar Worte wert. Er wisse um die nahezu "heilige Eigenständigkeit" beider Redaktionen. In Zeiten stabiler Auflage habe dieser Wettbewerb beide Blätter stärker gemacht, nun setzte man auf die vereinte Kraft. Genaue Zahlen, wie viele Redakteure gehen müssen, nannte Reichelt nicht.

"Heute ist kein leichter Tag"

Nur so viel: 20 Millionen Euro sollen künftig eingespart werden bei "Bild", "BamS" und "BZ", irgendwo muss das Geld fürs Fernsehen ja herkommen. Alle "Bild"-Titel, alle Standorte seien von den Einsparungen betroffen. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen, man setze aber in erster Linie auf Freiwilligkeit. "Heute ist kein leichter Tag", so der Oberchefredakteur, aber perspektivisch "der wichtigste Tag für die Zukunft von 'Bild'". Reichelt weiter: "Wir wollen für Bild kein Siechtum, sondern Wachstum." Er glaube, "dass das Beste für 'Bild' noch vor uns liegt."

Tatsächlich ist nicht erst seit dem Einstieg des Finanzinvestors KKR, sondern bereits seit geraumer Zeit klar, dass "Bild" angesichts schwindender Auflage und wegbrechender Anzeigenerlöse die Redaktion auf Dauer nicht in der bisherigen Größe erhalten kann. Von den TV-Plänen erhoffen sich Reichelt und der Verlag nun eine neue Einnahmequelle. Ausgerechnet im Massenmedium Fernsehen ist die Massenmarke "Bild" bisher kaum vertreten. Seit Anfang April hat das Boulevardblatt einen eigenen Kanal beim Internetfernsehanbieter Waipu.TV. Bei YouTube und auf der eigenen Website senden die Reporter immer häufiger Livereports und Videos, auch eine Live-Talkshow gibt es bereits. Aber weiter reichten die TV-Ambitionen bisher nicht.

Zwar gehen auch die Werbeerlöse im Fernsehen seit Jahren eher zurück, vom kleiner werdenden Kuchen aber will "Bild" künftig ein Stück abhaben. Schon ein Prozent am TV-Werbemarkt, so das Kalkül, würde Millionen an Einnahmen bedeuten. Erst vor wenigen Tagen hatte das Berliner Verwaltungsgericht allerdings die Livestream-Angebote der "Bild" - dazu gehören die Videoformate "Die richtigen Fragen", "Bild live" und "Bild-Sport - Talk mit Thorsten Kinhöfer" als zulassungspflichtigen Rundfunk eingestuft, für den es eine Sendelizenz braucht. Springer hatte bisher dagegen gehalten, für die neuen TV-Pläne aber wird der Verlag in jedem Fall eine Sendelizenz benötigen.

Das Nachrichtenentertainment unter der Marke "Bild" soll dabei mehr umfassen als nur ein paar Sendeformate, im besten Fall soll eine Vollabdeckung im Kabel-TV erreicht werden. Von einem TV-Sender nach klassischer Machart wollen die "Bild"-Leute aber nichts wissen: Die Kosten für Studios, Übertragungswagen und Maske würden die potenziellen Einnahmen weit übersteigen.

Geplant ist deshalb, die Live-Übertragungen der eigenen Reporter zu professionalisieren und in Technik und Kapazitäten zu investieren. Man wolle Fernsehen machen, "das aus dem Herzen unserer Reporter kommt", so Reichelt in der Versammlung. Als interner Test fungierte vor Kurzem die Liveberichterstattung eines achtköpfigen "Bild"-Teams aus dem Amazonasgebiet: Die Reporter belieferten nicht bloß die "Bild", gedruckt wie online, sondern berichteten in Live-Videos. Vorbild für Bild.TV sind vor allem die US-Unternehmen Vice und Vox. Eine Zusammenarbeit mit der Schwestermarke "Welt", die 2013 den TV-Sender N24 schluckte und deshalb schon Erfahrung im TV-Geschäft hat, sehen die Pläne der "Bild"-Macher bisher nicht vor.

Die Fusion birgt kulturellen Sprengstoff

Springer und das Fernsehen - das ist die Geschichte einer unerfüllten Liebe. Das Verlegerfernsehen wurde nichts. Seit die Fusion mit ProSiebenSat.1 platzte, werden Springer immer wieder Ambitionen aufs TV-Geschäft nachgesagt. Übrig blieb davon bisher nur die Übernahme von N24 - der Sender firmiert inzwischen unter der Marke "Welt". Ein neuerlicher Anlauf für ein Zusammengehen mit ProSiebenSat.1 scheiterte vor einigen Jahren gleich nach den ersten Gesprächen. Um die Wirkungsmacht und Marktmacht von Fernsehen aber weiß man bei Springer sehr genau.

Mit den neuen TV-Plänen würde "Bild" künftig vor allem RTL und dessen Nachrichtensender N.TV Konkurrenz machen. Dort waltet mit Tanit Koch eine ehemalige "Bild"-Chefredakteurin, die im Machtkampf mit Julian Reichelt unterlag. Ähnlich dürfte es nun wohl auch Marion Horn, der "BamS"-Chefin, ergehen. Horn soll zuletzt noch Optimismus verbreitet haben, was die Chancen für eine eigenständige Redaktion angeht. Doch nun ist klar: "BamS" wird künftig in den redaktionellen Abläufen der "Bild" aufgehen oder, wie es einige im Haus sehen, untergehen. Eigene Konferenzen soll es für das Sonntagsblatt offenbar nicht mehr geben.

Schon jetzt ist somit klar: Die Fusion birgt kulturellen Sprengstoff. Das Netz aus Seilschaften und Rücksichtnahmen, das die "Bild" durchzieht, ist den Sonntagsleuten seit jeher ein Dorn im Auge. Über den lauten, schrillen Krawall - vom Schweinefleischverbot in einer Kita bis zur Flüchtlingsfrage - hielt sich "BamS" gern fern. Die "Bild" galt bei Sonntagskollegen als dreckige große Schwester.

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