
Bauhaus in Dessau: Weiße Schönheiten
Neue Bauhaus-Villen in Dessau Das Meisterhaus als Geisterhaus
Da stehen sie wieder: die Mauer, die kleine Trinkhalle, das Direktorenhaus, das Haus Moholoy-Nagy. Schnörkellose Bauten mit Flachdach in einem lichten Kieferwald. Da stehen sie wieder: die Musterhäuser der weißen Moderne, in denen einmal die wichtigsten Bauhaus-Vertreter lebten. Nach fast 70 Jahren. 1926 wurde sie von Walter Gropius geschaffen. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie zerstört. Und am Freitag wurden die Neuen Meisterhäuser von Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet, der in einer Rede sagte, die Botschaft des Bauhauses habe bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren - das Schöne mitten in den Alltag, zu den ganz normalen Menschen bringen.
Seltsames scheint mit den Häusern passiert: Von außen wirken sie versiegelt, ein wenig unheimlich, als seien ihre legendären kubisch-verschachtelten Bauformen mit flüssigem Blei ausgegossen. Das Meisterhaus als Geisterhaus? Eine künstlerische Neuinterpretation im geschützten Reich des Unesco-Weltkulturerbes, zu dem die Bauhaussiedlung heute gehört?
Nazis in weißen Villen
Um das zu verstehen, muss man zurückblicken. Denn der Neueröffnung geht eine lange Debatte und eine noch längere Geschichte voraus, die nur zum kleinsten Teil in der Zeit des Bauhaus spielt. Schon 1932 wurden die Nationalsozialisten bei einer Gemeinderatswahl in Dessau stärkste Partei. Länger schon hatten sie die innovative Kraft des Bauhauses als bolschewistische Provokation verunglimpft.
Nun hatten sie die Macht, die Schule zu schließen. In den weißen Villen unter den Kiefern wohnten bald leitende Angestellte eines der führenden Rüstungsbetriebe Nazi-Deutschlands. Von 1940 an bombardierten die Alliierten Dessau, das Produktionsort des Giftgases Zyklon B und ein Zentrum für Zwangsarbeit war. Bis Kriegsende wurden 80 Prozent Dessaus zerstört, auch das Haus Moholy-Nagy und die Direktorenvilla.

Bauhaus in Chile: Balkone mit Rhythmus!
Die Meisterhäuser, die intakt geblieben waren, wurden in den ersten Jahrzehnten der DDR weiter verbaut. Auf das noch erhaltene Sockelgeschoss der Direktorenvilla wurde ein Einfamilienhaus gebaut, dessen spitzer Giebel wie eine Zipfelmütze auf den Ruinen der kühlen Flachdachikone wirkte. Ab 1993 wurden die anderen Doppelhaushälften denkmalgerecht saniert. Was aber sollte mit der Lücke des ehemaligen Hauses Moholy-Nagy passieren, mit dem biederen DDR-Bau, der absurderweise jetzt die Flotte der weißen Moderne-Ikonen anführte?
Gebaute Unschärfe
Die Frage lautete: Sollte man sie als historisches Zeugnis erhalten? Galt es, den baulichen Originalzustand wieder zu rekonstruieren? Oder war eine architektonische Neu-Interpretation vorstellbar? Lange wurde debattiert, 2010 endlich die Realisierung des Entwurfs der Architekten Bruno Fioretti Marquez beschlossen. Das Berliner Büro entschied sich für die dritte Möglichkeit - in einem Verfahren, das es "gebaute Unschärfe" nennt.
So bestehen die Außenwände der Villen jetzt aus dämmendem Leichtbeton, und an Stelle der Fenster sind beschichtete Glasscheiben in die Fassade eingelassen, die nur gedämpftes Licht herein lassen. Im Inneren ist die einst kleinteilige Raumstruktur aufgebrochen: Teile der ursprünglichen Decken und Wände wurden weggelassen. Entstanden sind große, teilweise über mehrere Geschosse gehende Räume mit Emporen, Galerien und einem balkonartigen Austritt - skulpturale Bauformen, die immer wieder Ausblicke auf sich selbst eröffnen.
Zwar kann man sich in dieser reflexiven Architektur nur schwer vorstellen, wie in den Originalbauten das von der Bauhaus-Bewegung propagierte Neue Wohnen praktiziert wurde. Sie schafft aber ästhetisch interessante Räume, deren Gebrauchswert bald erprobt wird: Das Direktorenhaus soll als Entree zum Areal dienen und der Moholy-Nagy-Bau das Kurt-Weill-Zentrum erweitern, das bereits die angrenzende Haushälfte nutzt.
Konkret an das Schicksal der Häuser zu erinnern, bleibt Dokumentationen überlassen. Hervorragend macht das zur Zeit die Ausstellung "Dessau 1945 - Moderne zerstört" im Bauhaus-Gebäude. Bedenkt man die sechs, sieben Jahre des ästhetischen Aufbruchs in Dessau im Verhältnis zu den langen Jahrzehnten von Totalitarismus, Krieg und Zerstörung, dann kommt einem die auch ein wenig verstörende Neuinterpretation der beiden Meisterhäuser gar nicht mehr so seltsam vor.
Bis zum 18.5. Eröffnungswochenende der Neuen Meisterhäuser mit vielfältigem Programm. Die Ausstellung "Dessau 1945 - Moderne zerstört" ist bis zum 7. September im Bauhausgebäude zu sehen.