"Rheingold"-Premiere in Bayreuth Wie man aus Trash Gold macht
Richtig edel ist an diesem taufrischen "Rheingold" aus Bayreuth eigentlich nur die musikalische Seite: Ein endlich einmal homogenes, gut aufgelegtes Ensemble überzeugt über weite Strecken, und vor allem der hochgelobte Opernspezialist Kirill Petrenko dirigierte von Beginn an mit penibler Finesse, exzellenter Klarheit und dennoch enormer Kraftentfaltung, so dass er am Schluss mit Abstand und völlig zu Recht den meisten Premierenbeifall einheimste. Wie ihm trotz der heiklen Akustik im Bayreuther Festspielhaus eine nahezu perfekte Balance zwischen Orchester und Solisten gelang, grenzt bei einem Neuling auf dem "Grünen Hügel" schon an ein kleines Wunder.
Den frechen Gegensatz zu soviel Hochglanz lieferte das historische Trash-Ambiente, in welches Regisseur Frank Castorf die Parabel von Machtwillen, Raub, Gewalt und Betrug platzierte: Ein Motel, eine Tankstelle, der Rhein als schäbiger Pool, ein Straßenschild "Route 66" hier, ein altmodischer Strommast da, Semiotik der B-Filme und des amerikanischen Gewalt-Kinos. Die Herrschaftsphantasien des Gottes Wotan, sein eitles Eigendenkmal in Gestalt der Burg Wallhall, die verbrecherischen Mittel, diese Machtdemonstration zu realisieren: Das darf einem bei Castorf durchaus bekannt und schneidend aktuell vorkommen. Die Vorkommnisse und Debatten über NSA und amerikanische Überwachungswünsche werden bestimmt in den weiteren Folgen dieses Wagner-Vierteilers behandelt werden, wetten?
Wotan dreht seinen Film
Dazu gibt es viel Theater auf der Opernbühne zu sehen, auch der Geist der Berliner Volksbühne, für die Frank Castorf seit 1992 tätig ist, dampft kräftig über die Rampe. Stets wird gefilmt, und auf einer großen Videowand explodieren manchmal geradezu Parallelgeschehen, Vergrößerungen von Bühnenaktion oder pantomimische Interpretationen. Wotan dreht seinen Film, sein Ding, das ist "Walhall" als überlebensgroßes Video. Und es ist nicht zur Nachahmung empfohlen, denn dieses Motel-Leben ist kein schönes.
Fast alle Frauen sind blonde Miezen, einschließlich der drei lasziven Rheintöchter, die gelangweilt am Pool des Motels herumlungern und den Verlierer Alberich aufgeilen, um ihn dann wieder fortzustoßen. Immerhin bringen sie ihn dazu, ihr Spiel zu durchschauen und sich lieber der materiellen Macht, dem Gold zu widmen: Da ist für ihn mehr zu holen. Dass ihn ausgerechnet ein schmieriger Mafioso (pardon, der Götter-"Pate") später abzockt, ist natürlich Pech. Castorfs Wotan hat mit Gangstern Geschäfte gemacht: Die beiden Riesen/Schläger Fafner und Fasolt bestehen auf ihrer Bezahlung in Gold, sie nehmen aber auch die hübsche Blondine Freia, Göttin der ewigen Jugend und Wotans Schwester, erst mal in Zahlung. Wie das unter echten Männern schon mal üblich ist.
Sexspiele am Motel-Pool
Aus dieser Sichtweise der "Rheingold"-Grundkonstellation entwickelt Frank Castorf schnell eine bitterböse Kammerkomödie, die die Scheinmoral der göttlichen Vorgehensweise grellbunt auffächert. Wotans große, erhabene Pläne sind von vornherein diskreditiert, denn sie gründen sich auf Verbrechen und Gewalt. Wer das Gute will und stets das Böse tut, gerät unter die moralischen Räder. Frank Castorf kleidete seinen Bayreuth-Anspruch in die klug kalauernde Tiefstapelei, er habe nicht den Ehrgeiz, "einen neuen Jahrhundert-Ring zu schaffen, eher einen 'Jahres-Ring'."
Dass zumindest bei diesem "Rheingold" mehr als die übliche Kapitalismuskritik herauskam, dafür sorgt die Musik. Castorfs Versuche, Wagners Kompositionen als Filmmusik zu sehen und weiterzudenken, sind ein lohnender Ansatz, der Musik und Gesang allerdings manchmal beinahe in der Bilderflut ertränkt.

Back in Bayreuth: So funktionieren die Wagner-Festspiele
Wenn Castorf einmal weniger zu einer Szene eingefallen ist, lässt er die Sänger einfach ein bisschen in Regietheatermanier auf Campingstühlen herumlungern. Dann dürfen sie nur noch singen: so wunderbar wie der grundsolide Wolfgang Koch (Wotan), die strahlkräftige Claudia Mahnke (Fricka) oder das burleske Nibelungen-Paar von Martin Winkler (Alberich) und Burkhard Ulrich (Mime). Natürlich kommt hier eine Urmutter Erda nicht als reine Weisheit daher: Nadine Weissmann gibt sie eher als edle, paillettenbekleidete Puffmutter, die nach ihren Ermahnung erst mal im Bad mit Wotan herummacht. Allen jedoch machte diese Castorf-Kanonade an Trash-Klischees viel Spaß, man kann also zumindest vom Entertainment-Aspekt her auf den Rest vom "Ring" gespannt sein. Vielleicht wird's sogar ein Hit.
Die Zuschauer reagierten geteilt: Als der Vorhang zuging, gab es durchaus heftige Buhrufe - aber auch kräftigen Beifall. Die gute Tradition der lautstarken Kontroverse in Bayreuth lebt weiter.