Zukunft der Arbeit Gebt den Leuten einfach das Geld

Sie haben keine Lust mehr auf ihren Job? Sehr fortschrittlich von Ihnen. Das findet zumindest Rutger Bregman. In seinem Buch "Utopien für Realisten" plädiert er für eine Welt ohne Arbeit.
Zur Person
Foto: Stephan Vanfleteren/ Rowohlt

Rutger Bregman, 29, geboren in den Niederlanden, ist Historiker, Journalist und Buchautor. Bregman schreibt für die "Washington Post" und die "BBC" sowie für niederländische Medien; für seine Arbeit wurde er zweimal für den renommierten European Press Prize nominiert. In seinem Buch "Utopie für Realisten" plädiert er für ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine 15-Stunden-Woche und offene Grenzen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Bregmann, in der Utopie, die sie entwerfen, gibt es keine Armut, man bekommt regelmäßig ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgezahlt. Was haben Sie gegen Arbeit?

Bregman: Was ist der Sinn des Lebens? Die meisten Leute würden sagen: etwas beitragen. Wie macht man das? In unserer Gesellschaft gibt es darauf nur eine Antwort: arbeiten. Wir haben Regierungen, die Leute in Arbeit bringen wollen, Bildungssysteme, die Menschen so schnell und flexibel wie möglich auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, damit sie Geld verdienen und konsumieren können.

SPIEGEL ONLINE: Was ist daran schlecht?

Bregman: Etwa ein Drittel aller arbeitenden Menschen glauben, dass ihre Jobs komplett nutzlos sind. In Großbritannien etwa sind es laut einer Umfrage 37 Prozent. Viele Leute glauben, ihre Arbeit habe keine Relevanz oder sie können sich nicht mit ihrem Unternehmen identifizieren . Niemand redet über diesen Widerspruch. Von links nach rechts sagen alle das Gleiche: Wir brauchen noch mehr Arbeit.

SPIEGEL ONLINE: Weil die herrschende Meinung ist: Nur wer etwas schafft, ist auch was wert?

Bregman: Wir setzen Arbeit mit Beitrag gleich. Die Idee ist: Wer arbeitet, tut etwas für die Gesellschaft. Aber viele gutbezahlte Jobs haben keinen Zweck, außer den eigenen Status zu verbessern. Gleichzeitig sind viele gesellschaftlich relevante Berufe - Altenpflege, Kinderbetreuung, Müllabfuhr - sehr schlecht bezahlt. Das Problem ist, dass wir nur über das Bruttoinlandsprodukt messen, wer einen Beitrag zum Wohlstand beiträgt. In Großbritannien lag der Beitrag der Finanzbranche zum BIP vor der Finanzkrise bei etwa 10 Prozent. Ich würde aber sagen, den Wert, den Banker schaffen, ist eher negativ. Während Müllentsorger sehr wichtig sind. Wir verehren Leute, die viel Geld verdienen und verachten Menschen, die in Armut leben.

SPIEGEL ONLINE: Ungerechtfertigt?

Bregman: Absolut. Der Princeton-Psychologe Eldar Shafir hat in seinen Studien zur Psychologie des Mangels gezeigt: Wer die Effekte von Armut erlebt, den Druck, die Aussichtslosigkeit, hat eine geringere "mentale Bandbreite". Das heißt, Menschen in finanziellen Nöten fällt es schwerer, vernünftige Entscheidungen zu treffen, weil sie kognitiv überlastet sind. Sobald man sie aber aus der Armut holt, treffen sie bessere Entscheidungen.

SPIEGEL ONLINE: Klingt, als wollten Sie sagen, dass Armut dumm macht.

Bregman: In gewisser Weise. Aber vor allem sind die Entscheidungen, die man in einer Situation der Armut trifft, eine Frage des Kontextes. Das sollte man nicht vergessen, wenn man das Verhalten von Armen bewertet. Man hört ja oft die Kritik daran, wenn sich arme Menschen trotz ihrer finanziellen Situation teure Konsumprodukte leisten, wie zum Beispiel einen Flachbildfernseher. Der erste Gedanke ist, wenn man arm ist, dann sollte man doch sparen und sein Geld nicht für solche Dinge ausgeben. Aber wer arm ist, der hat oft Schulden, der kann nichts sparen, weil das Geld, das er bekommt, sofort wieder weg ist. Und plötzlich ergibt der Kauf vom Flachbildschirm wieder Sinn. Das Geld auszugeben, ist die einzige Möglichkeit, es zu behalten.

SPIEGEL ONLINE: Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble würde jetzt sagen, man muss eben seine Schuld begleichen.

Bregman: Ein Teil des herrschenden Wirtschaftsdenkens ist christliche Theologie, verkleidet als Ökonomie. Warum glauben so viele Leute, dass Menschen faul werden, würde man ihnen ein Grundeinkommen geben? Weil wir glauben, Menschen seien im Kern schlecht und korrupt. Weil wir alle Sünder sind. Wenn man sich aber die Forschung dazu anguckt, was passiert, wenn man Menschen ein Grundeinkommen gibt, beobachtet man das Gegenteil. Menschen werden freier, besser, produktiver. Deswegen plädiere ich für ein Grundeinkommen. Das beste Mittel, Armen zu helfen, ist es, ihnen einfach Geld zu geben.

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Bregman, Rutger

Utopien für Realisten: Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen

Verlag: Rowohlt Buchverlag
Seitenzahl: 304
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SPIEGEL ONLINE: Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens gibt es ja schon länger. Haben sich die Argumente dafür verändert mit der Zeit?

Bregman: Eigentlich nicht. Der US-amerikanische Gründervater Thomas Paine war der erste, der zum Ende des 18. Jahrhunderts ganz explizit für ein Grundeinkommen argumentierte. In seinen Augen war ein großer Teil des gesellschaftlichen Wohlstandes ein Geschenk und zwar in Form des Bodens, der Nahrung und Rohstoffe lieferte. Jeder sollte von diesem Geschenk profitieren.

SPIEGEL ONLINE: Verständlich, dennoch eine etwas altmodische Sicht, oder?

Bregman: Einer der bekanntesten Vertreter des Grundeinkommens heute, der Belgier Philippe Van Parijs, argumentiert ähnlich: All unser Wohlstand und was ihn produziert, die Institutionen und Technologien, sind Geschenke der Vergangenheit. Es ist vernünftig, jedem etwas von diesem Wohlstand abzugeben. Und zwar bedingungslos. Und das unterscheidet sich eben von dem Wohlfahrtsstaat, den wir heute haben. Der stellt immer mehr Bedingungen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn die Idee des Grundeinkommens so alt und so gut ist - warum wurde sie dann nie umgesetzt?

Bregman: In den Sechzigern wurde sehr viel über das Grundeinkommen debattiert, damals ging erstmals die Angst vor Automatisierung und Robotisierung um. Vor allem in den USA und Kanada dachte damals jeder, von der politischen Linken zur politischen Rechten, dass ein Grundeinkommen unausweichlich sei.

SPIEGEL ONLINE: Wurde es jemals eingeführt?

Bregman: Es war ausgerechnet Richard Nixon, der es 1969 beinahe durchgesetzt hätte. Er dachte sich: Wenn jeder dafür ist, dann will ich der Präsident sein, der dafür in die Geschichte eingeht. Das wurde total vergessen. Mit Nixon wird dank Watergate viel verbunden, aber nicht das. Ein republikanischer Präsident hätte beinahe ein Projekt durchgesetzt, dass heute als total radikal gilt. Da kann man sehen, wie schnell Geschichte sich ändern kann. Der Vorstoß scheiterte dann übrigens an den Demokraten im Senat, weil die das Grundeinkommen nicht hoch genug fanden.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie glauben, die Idee erlebt ein Comeback?

Bregman: Wir stehen am Anfang einer neuen Bewegung, die sich für das Grundeinkommen interessiert. Noch vor zwei Jahren sprach keiner darüber. 2014 habe ich mal recherchiert. Das Wort Grundeinkommen kam nur in einem einzigen Zusammenhang vor: als das Grundeinkommen von Bankern, auf das sie ihre Boni draufbezahlt bekommen. Jetzt wird wieder darüber diskutiert, im akademischen Betrieb, aber auch im Journalismus. Und experimentiert wird auch: Finnland führt einen Test mit dem Grundeinkommen durch, Kenia auch, Kanada möchte einen starten. Und sogar die Tech-Unternehmer aus dem Silicon Valley sprechen immer häufiger davon.

SPIEGEL ONLINE: Gerade von denen hört man es immer öfter im Zusammenhang mit der Automatisierung der Arbeit. Die Idee ist, wenn die Maschinen alles für uns tun, brauchen wir ein Grundeinkommen.

Bregman: Eigentlich sind diese Unternehmer die am wenigsten interessanten Leute in der Debatte. Für die Tech-Industrie muss das Grundeinkommen kommen, weil die Automatisierung irgendwann soweit fortgeschritten sein wird, dass es keine Arbeit mehr gibt. Aber ich glaube das nicht. Der Kapitalismus hat die unfassbare Fähigkeit, neue Bullshit-Jobs zu schaffen, es wird niemals keine Arbeit geben. Das war schon immer so, auch im 20. Jahrhundert, als die Angst vor der Automatisierung begann. Der Schlüssel zum Grundeinkommen ist nicht technologisch, sondern ideologisch. Wir müssen ändern, wie wir Arbeit definieren.

SPIEGEL ONLINE: In der europäischen Politik scheint die Idee noch nicht sehr beliebt zu sein. Überhaupt sind neue Ideen dort eher Mangelware.

Bregman: Nach dem Mauerfall wurde gesagt, das war's, das ist das Ende der Geschichte und der Ideologie. Plötzlich waren alle Formen der Utopie gefährlich. Dabei ist der Neoliberalismus und der Glaube an die Effizienz und Selbstregulierung der Märkte ja selbst eine Utopie - die nur vorgibt, neutral zu sein. Nach dem Brexit und der Wahl Trumps wird aber immer deutlicher, dass dieser Status quo nicht funktioniert.

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