"Panikherz" am Berliner Ensemble Rausch in Endlosschleife

Vom Journalisten mit Goldener Kreditkarte zum Drogenjunkie mit Fresssucht und wieder zurück: Die angenehm verstrahlte Bühnenfassung von Benjamin Stuckrad-Barres "Panikherz" in Berlin.
Laurence Rupp (vorne) in "Panikherz"

Laurence Rupp (vorne) in "Panikherz"

Foto: Julian Röder

Am Ende kommt noch die Zugabe, ein letzter Trip: "Plan B" von Udo Lindenberg - der keinen Plan B verspricht. Die Zuschauer klatschen mit, von den Logen besingen sie ihren Helden, der eigentlich "mehr so'n Anarcho" ist: Benjamin Stuckrad-Barre.

In den Neunzigerjahren stieg er mit seinem ersten Roman "Soloalbum" mit gerade mal 23 Jahren zum Posterboy der deutschsprachigen Popliteratur auf. Es folgten Drogenexzesse, Bulimieattacken. Schon in der autobiografischen Romanvorlage "Panikherz" schwingt zwischen den Zeilen der Sound von Nächten mit Kokain und Ecstasy. Zur Premiere hatte der neue Intendant des Berliner Ensembles Oliver Reese vorher "viel Musik" versprochen.

Track für Track lässt er das Leben des Journalisten und Autors auf der Bühne als Rausch in Endlosschleife abspielen: Vom erfolgreichen Journalisten mit goldener Kreditkarte und eigener Bühnenshow hin zum Drogenjunkie mit Fresssucht, der rote "Geleeklumpen" von Gummibärchen in die Toilette würgt. Begleitet wird das von Songs wie Lindenbergs "Reeperbahn" über bis hin zu Rammsteins "Albtraum": Die Schauspieler singen live, begleitet von einer sechsköpfigen Band.

Schon die Romanvorlage "Panikherz" ist Teilerfolg eines Mannes, der wie Phönix aus der Asche aufstieg: Wochenlang stand der Titel 2016 auf den Bestsellerlisten. Über beinahe 600 Seiten arbeitet sich Stuckrad-Barre in dem nüchternen Abgesang auf die Popliteratur der Neunziger an seiner Vergangenheit ab: Der anfängliche Rausch mündet in Gewohnheit. Und so schmeißt Oliver Reese mit seiner Inszenierung am Berliner Ensemble gekonnt immer wieder neue Trips aus dem Leben eines Mannes ein, der "in einer verwinkelten Ecke" seines Ichs "immer siebzehn bleiben" wird.

Geburt, Schule, Arbeit, Tod

Gekürzt ist das Skript auf 40 Seiten, die den Untergang von Stuckrad-Barre in sprachlich gekonnten Pointen besiegeln: "Ich bin ein totaler Suchtmensch, das sagt sich so leicht. Klingt ja auch toll, so nach Manlebtnureinmal und Leben-am-Rand, waghalsig, lebensfroh."

Zum Bühnenbild (Hans-Jörg Hartung) gehört in der Berliner Inszenierung nicht viel. Ein Perserteppich führt die Treppenstufen nach oben, hinauf ins legendäre Hotel Chateau Marmont in Hollywood, wo Stuckrad-Barre seine Geschichte niederschrieb. Das was er in seinem Buch "Leben" nennt, dieses "etwas" zwischen "Geburt, Schule, Arbeit, Tod", spielt sich allerdings anderswo ab. An der Rückwand: ein Tresen - Nachschub von Alkohol. Vorne: das Mikro - Nachschub fürs Ego.

Eine Wohnzimmerlampe steht verloren am Rand. Ins Dunkel bringt sie nur Spuren von Rotlicht. Die wahre Erleuchtung kommt für Stuckrad-Barre mit Udo Lindenberg: Seine Musik zieht ihn ins Hamburger Nachtleben, die Szenekneipe Onkel Pö, wo ein Groupie wie "wie'n Go-Go-Go-Girl" auf dem Tisch tanzt und der Klavierspieler mit Korn und Bier bezahlt wird. "Mädchen, Nacht, Mafia, Bars, Amerika, Besoffen-Sein", die Worte flimmern für Stuckrad-Barre so schön, so gefährlich, wie Leuchtreklame über die Fassaden der Reeperbahn.

Dort, in Hamburg, gehen für Stuckrad-Barre die Scheinwerfer an: "Alles klaaaar auf der Andrea Doriaaaa" röhrt er von der Bühne. Kleider fliegen. Stühle wippen. Durch die Luft schneit tütenweise weißes Pulver. Die Bässe gehen hoch. Göttingen, Berlin und Hamburg verschwimmen im Dunst der Nebelmaschine auf der Bühne zu einer Suppe.

Reese vermischt geschickt die Grenzen von Raum und Zeit. Stuckrad-Barre lässt er von vier Schauspielern verkörpern: zwei Männern und zwei Frauen, die für verschiedene Entwicklungsstufen in seinem Leben stehen: die Kindheit in der niedersächsischen Provinz (Carina Zichner), der Aufstieg zum erfolgreichen Jungjournalisten (Laurence Rupp). Nico Holonics spielt dagegen den drogenabhängigen Kranken, der nachts mit triefenden Haaren aufwacht und seine Wohnung im Rausch kaum noch findet. Und Bettina Hoppe erzählt in der Rolle des Stuckrad-Barre von heute, einem, der mit seiner Vergangenheit abzuschließen versucht. Die zerrüttete Persönlichkeit der Hauptfigur wird so plastisch sichtbar.

Eine wirkliche Lösung gibt das Stück damit für den Rauschzustand nicht. Aber: "Hey Baby, jetzt ist's vorbei. Mit der Lebensänderungsschneiderei."

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