Bericht über NSDAP-Mitgliedschaft Hildebrandt attackiert "Focus"

Nichts unterschrieben und von nichts gewusst: Von Siegfried Lenz, Dieter Hildebrandt und Martin Walser existieren Mitgliedskarteikarten der NSDAP, berichtet "Focus". Alle drei streiten ab, der Nazi-Partei beigetreten zu sein. Hildebrandt droht dem Magazin sogar mit Klage.

München/Düsseldorf - Kabarettist Dieter Hildebrandt ist schockiert über Berichte zu seiner angeblichen Mitgliedschaft in der NSDAP. Bis zum vergangenen Wochenende habe er selbst nicht gewusst, "dass ich angeblich Mitglied in der NSDAP war", sagte der 80-Jährige der Münchner "tz". "Das ist ein Schlag."

Hildebrandt betonte: "Ich bin mir sicher, dass ich nie einen Antrag ausgefüllt habe, noch einen unterschrieben habe." Er sei damals, im April 1944, 16 Jahre alt und als Flakhelfer in Oberschlesien gewesen. Erklären könne er sich seinen angeblichen Parteieintritt nur durch ein Sammelverfahren.

Verärgert zeigte sich der Kabarettist über Äußerungen von Historikern, die eine Aufnahme in die Partei ohne Kenntnis und Unterschrift als unwahrscheinlich bezeichnet hatten. Diese Behauptung mache ihn wütend: "Die sollen mir dann eine Unterschrift von mir zeigen." Er wisse, dass er nichts unterzeichnet habe. "Genau deshalb fühle ich mich als Lügner dargestellt", sagte er.

Auf seiner Internetseite begrüßt Hildebrandt die Besucher mittlerweile mit den Worten: "Die gegen mich erhobenen Vorwürfe im 'Focus' vom 30.6.2007 sind haltlos und schlecht recherchiert. Die Anwälte sind bereits eingeschaltet, und wir dürfen gespannt sein, was dem 'Focus' weiterhin einfällt, um sich durchs Sommerloch zu retten."

Dem Magazin-Bericht zufolge sollen auch die Schriftsteller Martin Walser, 80, und Siegfried Lenz, 81, NSDAP-Mitglieder gewesen sein. Die Aufnahmeanträge zum 20. April 1944, dem 55. Geburtstag Hitlers, seien zwar nicht mehr erhalten, allerdings seien in der Zentralkartei der NSDAP im Berliner Bundesarchiv die Namen der drei enthalten.

Walser betonte, er habe nie einen Aufnahmeantrag in die NSDAP unterschrieben. "Ich bin erschrocken, dass eine solche Organisation in dieser Weise über mich verfügt hat", wird Walser in der "Rheinischen Post" zitiert. Auch er will bisher nichts von seiner Mitgliedschaft gewusst zu haben. Für den schwer erkrankten Siegfried Lenz gelte das Gleiche, versicherte dessen Verleger Günter Berg von Hoffmann & Campe.

Den Einträgen auf den Karteikarten zufolge soll Walser die Aufnahme am 30. Januar 1944 beantragt haben. Dazu erklärte Walser in der Rheinischen Post": "Ich habe nichts beantragt am 30.1.1944. Ich war 16." Auch habe er am 27. Februar 1944 "an keiner Aufnahmefeier teilgenommen und nie ein Mitgliedsbuch besessen".

Historiker uneinig

"Es habe", erklärte Walser der "Süddeutschen Zeitung", "zu der Zeit eine Anordnung von Reichsleiter Martin Bormann gegeben, derzufolge die Jahrgänge 1926/27 verpflichtet wurden, in eine Gliederung der Partei einzutreten. Die örtlichen Parteileute seien gehalten gewesen, die betreffenden Jahrgänge 'listenmäßig zu überführen'. Ich habe mich natürlich gefragt, woher das kommen kann: Es gab damals in Wasserburg einen Standortführer der NSDAP, der sehr ehrgeizig war. Ich bin überzeugt, dass dieser Mann die Parteieintritte vorgelegt hat. Hätte man mich damals gefragt, wäre ich natürlich nicht in die NSDAP eingetreten, sondern in den NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps). Das ist die Organisation der Motorradfahrer gewesen."

Führende deutsche Historiker sind sich tatsächlich uneinig in der Frage, ob es in den letzten Kriegsjahren möglich gewesen sein könnte, NSDAP-Mitglied zu werden, ohne selbst davon gewusst zu haben. "Solche massenhaften Rekrutierungen gab es ganz unzweifelbar", sagte der Geschichtswissenschaftler Hans Mommsen der dpa. Der Historiker Ulrich Herbert sieht dagegen keine eindeutigen Beweise dafür, dass es zum Kriegsende kollektive Übernahmen von der Hitlerjugend in die NSDAP gegeben hat. Es gebe jedoch Hinweise, dass einzelne besonders ehrgeizige NS-Führer zum Beweis ihrer Tüchtigkeit hohe Eintrittszahlen melden wollten. "Focus" zitiert mit Michalel Buddrus vom Institut für Zeitgeschichte einen Historiker, der eine Parteiaufnahme ohne eigenhändige Unterschrift für unwahrscheinlich hält.

"Ich halte nichts davon, aus der Sache zu viel Aufhebens zu machen", sagte Mommsen. "In dieser späten Kriegszeit war kaum noch Organisationsfähigkeit in diesem ganzen Apparat vorhanden." Um festzustellen, ob Walser, Lenz und Hildebrandt tatsächlich nichts von ihrer Mitgliedschaft gewusst haben, müsse jeder Fall individuell geprüft werden. Das sei aber kaum noch möglich, da viele Unterlagen von den Nationalsozialisten selbst zerstört worden seien.

bor/AP/ddp/dpa

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