Margarete Stokowski

Hausbesetzung in Berlin Schöner wohnen aktuell

Nicht die Hausbesetzungen in Berlin sind skandalös - ein Skandal ist es vielmehr, Wohnungen als Spekulationsobjekte leer stehen zu lassen. Panik vor steigenden Mieten ist für viele seit Jahren das prägende Hauptstadt-Gefühl.
Hausbesetzung in Berlin

Hausbesetzung in Berlin

Foto: Bjoern Kietzmann

Während die halbe Welt vorm Fernseher saß und einem Haufen obszön Reicher beim Feiern zuschaute, waren in Berlin ein paar junge Leute vernünftig und organisierten Hausbesetzungen. Inzwischen sind die Häuser zum Teil wieder geräumt, aber weitere Besetzungen bereits angekündigt .

Gibt es ein Recht dazu? Eine Pflicht sogar, wenn man die Zeit hat und die sonstigen Ressourcen.

Keine gesetzliche Pflicht, aber man hat dennoch eine Verantwortung für die Stadt, in der man wohnt. Wenn es legal ist, Wohnungen aus Spekulationsgründen leer stehen zu lassen, aber illegal, leer stehende Wohnungen zu besetzen, dann ist der Skandal nicht die Besetzung, sondern das Gesetz.

Leider nicht für alle . "Aktivisten besetzen mehrere leere Häuser in Berlin", twitterte "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt  : "Das ist in einem Ausmaß skandalös und nicht hinnehmbar und eine Schande für diesen sowieso miesen & leistungsfeindlichen Senat. Nicht zu fassen. Was soll die ausgebeutete Mitte Berlins, die mit Mühe ihr Reihenhaus oder die 3zimmerwohnung abzahlt, denken?"

Ja, was sollen die denken? Einfach nur DANKE! Wär mal ein Anfang. Vielleicht haben diese poshen Ausgebeuteten ja zufällig noch ausgebeutetere Freunde, die eine Wohnung suchen und die sie vor dem Durchdrehen bewahrt sehen wollen. Berechtigte Panik vor steigenden Mieten und Kaufpreisen in der Innenstadt ist für viele Leute seit Jahren das prägende Gefühl zu dieser Stadt. Danke, dass da ein Haufen Leute weder ernsthaft kriminell wird noch sich umbringt oder Amok läuft, sondern sich einfach mal kümmert und ein paar Sofas umstellt und erklärt : "Das Instrument der Enteignung genau den Parteien zu überlassen, die diese Stadt bereits verkauft haben, ist für uns keine Option."

Überhaupt, "leistungsfeindlicher Senat" (Poschardt), wie lustig ist das? Als wenn es ein Zeichen für Leistungsfeindlichkeit wäre, wenn der Senat es so weit kommen lässt, dass diese Häuser besetzt werden. Die Leute von #besetzen haben derbe was geleistet - an einem Tag neun Häuser zu besetzen oder scheinzubesetzen, mit mehreren Gruppen, die über Monate geplant haben , das ist ein beachtliches Werk.

Hatten wir das nicht gerade erst, dass junge Leute eine Hauswand wegen eines Gedichts kritisiert haben und das für zu babymäßig und weinerlich erklärt wurde? Jetzt machen junge Leute Wohnungspolitik, und das passt einigen auch wieder nicht. "Hier wird eine Stimmung geschaffen, in der Linksradikale meinen, auf der 'guten' Seite zu sein, quasi als Ausführungsorgan der linksgrünen Politik", soll Timur Husein, der CDU-Fraktionsvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, der "Welt" gesagt haben. Beste Stimmung, und lange überfällig.

Auch landeseigene Wohnungen stehen leer

Man muss noch nicht mal so besonders linksradikal sein, um die Besetzungen sinnvoll zu finden, man muss einfach nur die Definition von "Wohnhaus" kennen: Haus zum drin wohnen. Wie kann man ein Haus haben und es unbewohnt stehen lassen, jahrelang, in dieser komplett wahnsinnigen Mietsituation , und nicht aus schlechtem Gewissen innerlich verwesen?

Komme emotional nicht hinterher bei diesen Leuten, wobei "diese Leute" ja zum Teil das Land Berlin sind. (Das nun wieder leer stehende Haus in der Bornsdorfer Straße  gehört dem landeseigenen Wohnungsbauunternehmen "Stadt und Land GmbH".)

Ich hatte neulich ein Erlebnis, muss kurz erzählen. Bin gerade wieder am Buchschreiben, muss arbeiten wie ein Pferd, gehe ab und zu raus, wegen Kopflüften. Lief also nachts um zwei durch die Gegend, es war der erste beziehungsweise schon zweite Mai, und überall waren Partypeople, und außerdem eine Frau mit Rucksack, die mich ansprach, ob ich ein Sofa hätte, auf dem sie eine Nacht schlafen könnte. Ich: Nee, sorry. Stimmte aber gar nicht. Hatte Sofa, Bett, alles, wollte nur meine Ruhe, wegen Deadline. Die Frau: "Hmm, aber kennst du wen in der Gegend, der ein Sofa für mich hat, mein Couchsurfing ist geplatzt bla bla. Du bist die Einzige, die nicht besoffen aussieht hier." Stimmte.

Ich rief ein paar Leute an, von denen ich dachte, dass es sie weniger stressen könnte als mich in meiner letzten Buchabgabephase. Ging aber niemand ans Telefon. Sagte ihr, sie soll mir ihre Nummer geben und ich sage Bescheid, wenn mir noch was einfällt. Ging nach Hause und hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Sehr, sehr schlecht. Rief die Frau an und sagte, komm halt her, und bezog ihr ein Bett. Saß die ganze Nacht am Schreibtisch und dachte, vielleicht ist da im Nebenzimmer eine völlig durchgeknallte Pyromanin und gleich brennt hier alles, okay, sie sieht niedlich aus, aber wer weiß. Na ja, war dann doch keine Pyromanin und ging am nächsten Vormittag wieder weg.

Jedenfalls: Ich habe mich gefühlt wie die allerletzte Asoziale, dieser Frau keinen Schlafplatz anzubieten. Was fühlt man bitte, wenn man komplette Wohnungen hat, die jahrelang leer stehen?

Das sind nur meine kleinen Befindlichkeiten, aber andere hatten die auch schon. Tröstlich. Feiern wir noch den Marx-Geburtstag? "Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden", haben zwei schlaue Männer mal geschrieben.

Was heute nur heißt: Es sind noch zu wenige Häuser besetzt.

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