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Kunstprojekt "Soma": Halluzinierende Mäuse

Foto: dapd

Berliner Kunstprojekt "Soma" Rauschzustände unter Riesenpilzen

Rentiere, die Fliegenpilze futtern, eine exklusive Übernachtung für 1000 Euro unter dem Museumsdach - der Belgier Carsten Höller mischt die Berliner Szene mit seiner wahnwitzigen Ausstellung "Soma" auf. Ist das biologistische Brimborium noch Kunst oder nur Event?

Bären? Wer braucht Bären? Das werden in den nächsten Wochen wohl viele Berlin-Besucher fragen, denn in die Hauptstadt kommt man jetzt wegen anderer Tiere. Wegen vierundzwanzig Kanarienvögeln, zwölf Rentieren, acht Mäusen, zwei Fliegen und einem großen Tier der Kunstwelt: dem Künstler Carsten Höller (geboren 1961). Höller hat bereits die Documenta X mit einem "Haus für Schweine und Menschen" bestückt, die Turbinenhalle der Tate Modern mit Riesenrutschen erschlossen und eine italienische Bergkuppe mit einem Karussell getoppt.

Jetzt hat er einen veritablen Kleinzoo angefordert für seine Ausstellung im Museum Hamburger Bahnhof.

Betritt man die zentrale Halle, hört man die Ausstellungsbesucher tuscheln. Ein kleiner Junge vermutet: "Papa, cool, eine Tier-Rennbahn". Ein Herr raunt: "Was riecht hier so streng?". Und eine Skeptikerin instruiert ihren Begleiter mit: "Irgend so ein Installationsquatsch mit Theorieüberhang". Dann aber liegt er vor einem: der "vielleicht wahnwitzigste Museumsaufbau in der zeitgenössischen Kunst" (so das Magazin "Monopol"), zu dessen Zuarbeitern ein Veterinäramt, eine Rentierfarm und ein Vogelzüchter-Bund gehören.

Alle, die das Areal betreten, dämpfen ihre Stimmen. Besucherinnen mit lauten Absätzen treten leiser auf. Und bald mischt sich in die anfangs verwunderten Gesichter ein beseelter Ausdruck.

Denn mitten in der Museumshalle sind zwei mit Spänen bestreute Felder zu sehen, auf denen die Rentiere - in der Uckermark eigens auf ihr Gastspiel in der Kunst vorbereitet - mit ihren schwarzdunklen, unendlich tief blickenden Augen und sanft glänzenden Mäulern gelassen lagern. Oder gemessenen Schritts mit leicht knackenden Gelenken hin- und herstreifen zwischen Wasser- und Futtertrog, Birkenstämmen und hoch aufragenden Pilzskulpturen. Darüber schaukeln Käfige mit Kanarienvögeln, die mit ihrem Singsang die Szenerie beschallen.

Ein ganz besonderer Saft

Eine Idylle. Wäre da nicht das Drumherum: eine Tribüne, zwei Beobachtungsräume, Eisschränke mit Fliegenpilzen, Schränke für Destillate und Boxen mit Mäusen und Fliegen. Dieses Instrumentarium weist das Gehege als Versuchsfeld eines Doppelblindversuchs aus: Fliegenpilze werden an die Rentiere verfüttert. Diese verdauen die für sie ungiftigen Leckerbissen und scheiden das in den Pilzen enthaltene berauschende Gift verwandelt wieder aus: unschädlicher und zugleich halluzinogener geworden, gelöst in ihrem Urin. Dieser ganz besondere Saft soll dann von Tierpflegern eingesammelt und an die Vögel, Mäuse und Fliegen verfüttert werden.

Denn vorgeblich zielt diese hypnotisierend schön designte, surreale Szenerie auf die Erkundung des Soma. Dieser mythische Trank verhieß, altindischen Schriften zufolge, Erkenntnis, Glück und Nähe zu den Göttern. Die Zutaten dieses Gebräus aber sind bis heute umstritten. Der Ethnomykologe Robert Gordon Wasson (1898-1986) tippte auf das Gift der Fliegenpilze, direkt genossen oder gelöst in Urin. Höller folgt mit seiner Soma-Versuchsanlage der These Wassons und nimmt zusätzlich als Veredelungsorganismus das Rentier an.

Dabei läuft das Experiment ohne klare Versuchsvorgabe recht sinnlos vor sich hin. Es wird nicht verraten, was wem verfüttert wird. Und ob das psychedelische Gesöff überhaupt zum Einsatz kommt. Und erst recht nicht, ob die auf dem Rücken liegende und nur noch schwach mit den Beinen strampelnde Fliege gerade fliegenpilzberauscht mit den Fliegengöttern kommuniziert oder einfach nur den ganz normalen Fliegentod stirbt.

Doppelbett für 1000 Euro

Denn eigentlich ist die Ausstellung "Soma" ein Experiment mit der Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit des Betrachters. Der seltsame Aufbau hoch über der Mitte des Rentierreservats weist darauf hin. Ein Doppelbett lädt Besucher für 1000 Euro zum Übernachten aus, Frühstück aus dem Sarah-Wiener-Museumscafé eingeschlossen. Und der Wärter ist auch inklusive, der, wenn es der Gast will, nächtlichen Zugang eröffnet zu allen Exponaten des Hauses: um Mitternacht allein mit Beuys, im Morgengrauen zu Warhol.

Der Künstler selbst hat sich drei Nächte gesichert. Und überhaupt waren kurz vor der Eröffnung schon 90 Prozent der Nächte ausgebucht. Das Ganze aber hat den Hautgout elitärer Exklusivität, notdürftig bemäntelt davon, dass die Mittwochnächte kostenfrei verlost werden.

Wenn man aber davon ausgeht, dass diese Merkantilisierung nicht in erster Linie das immens aufwändige Projekt refinanzieren soll, führt die Tatsache, dass Höller seinem an sich schon spektakulärem Tierpark mit all dem Hotelbrimborium auch noch ein Eventspektakel aufpfropft, zu einer interessanten Überlegung: Was, wenn es nicht nur um das Verhältnis von ästhetischer Erfahrung, pseudowissenschaftlichem Erkenntnisdrang und drogenbasierter Bewusstseinserweiterung ginge, sondern letztlich um die vergebliche Anstrengung des Menschen, das Glück zu erzwingen: mit den Versprechungen der Wissenschaft, der Drogen und der Welt des Spektakels?

Es bliebe ja dann vielleicht noch das desillusionierende Glück der Erkenntnis, das die Kunst ermöglicht, wenn man betrachtet, was die grandiose Denkmaschinerie von Höllers "Soma" bereits dem ganz naiven Blick eröffnet: die ruhige Kreatürlichkeit der Rentiere, denen das Glücksversprechen der Fliegenpilzdroge förmlich am Gedärm vorbeigeht.


Carsten Höller: "Soma", Hamburger Bahnhof, Berlin, 5. November bis 6. Februar 2011. www.somainberlin.org , Katalog im Hatje Cantz Verlag, 15 Euro

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