Berliner Surrend-Ausstellung Dumme Steine, kluge Paragrafen

In Berlin hat die vorübergehend geschlossene Ausstellung des dänischen Künstlerkollektivs Surrend wieder geöffnet. Bevor es allerdings soweit war, warfen sich Vertreter der türkischen Community gegenseitig Grundgesetzartikel um die Ohren.
Von Johannes Gernert

Kenan Kolat hat das Grundgesetz mitgebracht. Eine Mini-Ausgabe, schwarz-rot-goldener Einband. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland blättert sich durch die ersten Artikel, bis er beim fünften angelangt ist. Absatz 3. Da steht es: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." Er klappt das Büchlein zu, schaut auf und lächelt. "Dafür bin ich hier", sagt Kenan Kolat. Dann öffnet er die Tür zur Galerie Nord in Berlin-Moabit und geht rein. Sein langer Mantel weht hinter dem kleinen Mann her. Kolat ist gekommen, um die Kunstfreiheit zu verteidigen. Er hat den Eindruck, er wird hier gebraucht. Es hat Angriffsdrohungen gegeben.

Die Ausstellung der dänischen Satire-Künstler Surrend war kaum zwei Tage geöffnet, da kam eine Gruppe Muslime in die Räume mit den weiten weißen Wänden, stellte sich vor ein Bild und forderte die Leute vom Kunstverein Tiergarten auf, es abzuhängen. Sie würden sonst mit Steinen werfen. Das Bild selbst heißt "Dummer Stein". Darauf ist die Kaaba in Mekka zu sehen. Das wichtigste Heiligtum der Muslime.

Die Verantwortlichen beim Verein beschlossen, dass es das beste wäre, die Ausstellung nach dem Vorfall erst einmal zu schließen. Wenn jetzt etwas passierte, wollten sie nicht schuld sein. Sie ließen die weißen Vorhänge an der Fensterfront herunter und sagten eine Diskussionsveranstaltung mit den dänischen Künstlern ab. Das zuständige Bezirksamt begann, an einem Sicherheitskonzept zu arbeiten. Politiker diskutierten, was das für ein Zeichen sei, wenn eine Ausstellung schließen muss, weil Muslime gedroht haben. Es war die Rede von der "Idomeneo"-Inszenierung an der Deutschen Oper, die 2006 zunächst abgesagt worden war, weil einer Mohammed-Figur darin der Kopf abgeschlagen wurde und man fürchtete, radikale Muslime könnten die Vorstellungen attackieren.

An diesem Dienstag Nachmittag öffnete die Ausstellung mit dem Titel "ZOG" nun wieder. Es gibt ein neues Sicherheitskonzept. Das Landeskriminalamt wird regelmäßig vorbeikommen. Der Bezirk hat Wachschützer beauftragt.

Religions- gegen Kunstfreiheit

Ein paar Stunden vor der Eröffnung steht Bekir Yilmaz in seiner schwarzen Lederjacke vor dem Bild mit der Kaaba und schüttelt ganz leicht den Kopf. Er ist der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde zu Berlin. "Ich finde so was ziemlich traurig und gedankenlos, dass man über den Glauben anderer herzieht", sagt er. Yilmaz hat kein Grundgesetz dabei, aber auch er argumentiert damit: Artikel 4, Religionsfreiheit. Über Religion solle man keine Witze machen.

Ein paar Meter weiter hält Kenan Kolat wieder das schwarz-rot-goldene Mini-Grundgesetz hoch. Zwei Vertreter der türkischen Community. Aritkel 4 gegen Artikel 5. Religionsfreiheit gegen Kunstfreiheit. Kolat zieht einen Zettel mit einem Zitat des Dramatikers Anton Tschechow aus der Hosentasche und liest vor. Es gebe Werke, die einem gefallen, und Werke, die einem nicht gefallen. Punkt. "Ob jemand beleidigt ist, ist wurscht", sagt Kolat. "Ich bin nicht beleidigt."

Um Punkt zwölf betritt der Berliner Innensenator den Raum. Er will sich ein Bild von der Lage machen, von der Sicherheitslage. Erhart Körting läuft erst einmal zielstrebig auf die Karikatur mit dem Titel "Dummer Stein" zu. "Kunst ist provokativ", sagt er. "So ist das eben. So war das immer." Dann legt er kurz den Grundgesetzkonflikt innerhalb der türkischen Community bei: "Religionsfreiheit bedeutet auch, dass diejenigen, die nicht glauben oder anders glauben, jederzeit sagen dürfen, dass sie nicht oder anders glauben." Er sei selbst evangelischer Christ. Er glaube an einiges, was andere leugneten: "Soll ich deshalb Steine auf den Koran schmeißen?"

Verschwörungstheorien und kein Dialog

Als Sicherheitsverantwortlicher habe er sich das heute mal ansehen wollen, sagt er. "Und ich sehe kein Problem." Kolat drängt sich an den Kameras vorbei und schüttelt Körting die Hand. Zusammen laufen sie einige Schritte an den übrigen Bildern vorbei. Darauf sind Sprüche von garantiert "judenfreiem Gas" zu lesen. Eine Montage zeigt eine israelische Flagge auf dem Mond. Davor ein Astronaut. "Neonazi-Halluzination" steht darüber. Eigentlich, da sind sich Körting und Kolat einig, hätten die Juden viel mehr Grund sich aufzuregen. Sie lachen.

Ralf Hartmann betrachtet das Ganze aus sicherer Entfernung. Er ist der künstlerische Leiter des Kunstvereins Mitte und hat die Ausstellung kuratiert. Es sei ein bisschen schade, sagt Hartmann, dass das eigentliche Thema völlig untergehe in der Diskussion. "ZOG", der Ausstellungstitel, heißt "Zionist Occupied Government", also 'zionistisch besetzte Regierung'. Die Satire zielt auf antisemitische Verschwörungstheorien. Auf einem Bild sitzt ein Kuh-melkender amerikanischer Präsident und fabuliert etwas von einer "bösen Verschwörung arabischer Regierungen" zusammen. Hartmann hätte sich einen "konstruktiven Dialog" gewünscht. Aber jetzt geht es nur noch um dieses eine Bild vom "Dummen Stein". Eines von 21, sagt Hartmann.

In der Nacht hat jemand "Dumme Ausstellung" von außen an die Fenster geschrieben. Die Polizei hat es am Morgen abgewischt. Der weiße Vorhang bleibt jetzt auch erst einmal unten, sodass von draußen niemand hereinschauen kann. Die Kulturstadträtin hat gesagt, es sei besser, wenn die Leute, die sich interessieren, sich das richtig ansehen und also hereinkommen. Nicht von draußen linsen. Er halte das für eine vernünftige Lösung. Hartmann schaut auf die Vorhänge. Durch einen kleinen Schlitz sind zwei Polizisten zu sehen. Gleich kommen die Wachschützer von der Privatfirma. Auch die gehören, wie die stündliche LKA-Präsenz, zum neuen Sicherheitskonzept. "Ich hoffe, wir haben jetzt nicht alle verschreckt", sagt Hartmann.

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