
Bühnenbildner Bert Neumann: Gestalter des Post-Wende-Berlins
Zum Tode Bert Neumanns Nur im Extrem
Das Ding kennt jeder, der schon mal im Osten Berlins war: Vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz steht eine riesige Eisenskulptur, ein Speichenrad auf zwei Füßen. Sie ist das Wahrzeichen dieses mächtigen Theaters, selbstbewusst und ironisch zugleich. Wer mag, kann das Ding als Kommentar lesen zu all den Skulpturen im öffentlichen Raum, die aussehen, als wären sie versehentlich vom Laster gefallen, vor dem Kanzleramt und anderswo. Eingeweihte wissen, dass es auf ein mittelalterliches Rotwelschzeichen zurückgeht - angeblich steht es für "Vorsicht, Brandstifter".
Jetzt ist das Ding zum Denkmal geworden. Der Mann, der das laufende Rad als allgegenwärtiges Logo der Berliner Volksbühne erfunden hat, ist tot. Bert Neumann, der die wichtigste Bühne der Nachwendezeit seit 1992 als Bühnenbildner und lange Zeit als Mitglied der künstlerischen Leitung mitprägte, starb unerwartet am Donnerstag. Er wurde nur 54 Jahre alt.
Der Typ für die Gegenwart und das Provisorische
Ein Denkmal für Bert Neumann, das ist natürlich ein absurder Gedanke. Neumann ist der Typ für die Gegenwart und das Provisorische, nicht für das Erhabene und die Ewigkeit. Von ihm in der Vergangenheit zu schreiben, hört sich falsch an. Aber so ist es jetzt.
Zusammen mit dem Volksbühnen-Intendanten und Regisseur Frank Castorf entwarf Neumann die Ästhetik für die Berliner Nachwendezeit: einen Shabbyschick, der das Abgerockte und Zerbröselnde der DDR mit dem billigen Talmi verschmolz, den der Westen den neuen Mitbürgern als schöne neue Welt verkaufte. Er hat das Berlin mit erfunden, das bis heute junge Menschen aus ganz Europa anlockt, auf der Suche nach etwas, das sie immer noch für Underground halten. Und dass nach den Gesetzen des Marktes der Erfolg genau diese Welt am Prenzlauer Berg zerstört hat, darunter hat er selbst am meisten gelitten.
Neumann wollte, ganz wie Castorf mit seinen Stücken, für die Bühne nicht die perfekte Illusion, sondern die radikale Dekonstruktion. Er legte die Funktionsweise des Apparates bloß, zeigte, indem er seine Kulissen und Container-Verhau-Konstruktionen auf der Drehbühne kreiseln ließ, immer auch die Pressholz-Rückseite des schönen Scheins. Die Schauspieler verschwanden oft halbstundenlang in seinen verschachtelten Bühnenbauten, für die Zuschauer gab es eine Live-Übertragung auf Leinwänden. Das war Neumanns Kommentar zu Public Viewing und ähnlichen Medienphänomenen - wer erst seit Beginn des neuen Jahrtausends regelmäßig ins Theater geht, kann gar nicht wissen, wie umfassend der Mann das Theater revolutioniert hat.
Nur extrem leise oder extrem laut
Inspiriert von Jahrmärkten und Datschen, pflegte der Bühnenbildner eine Vorliebe für Glühbirnenketten, Plastikstühle und optische Signale, die einem ins Gesicht springen. Schon 1998 war er überzeugt: "Vor einem großen silbernen Varieté-Vorhang kann ich Texte nur im Extrem machen, nicht in einer moderaten Mittellage. Nur extrem leise oder extrem laut." Der Glitzer-Vorhang blieb eines seiner Markenzeichen. "Man lernt von ihm, dass Hässlichkeit auch Freiheit und Spielraum bietet: für eine höhere Art von Unschuld", schrieb der "Zeit"-Kritiker Peter Kümmel über den Bühnenbildner.
Freiheit scheint einer der Schlüsselbegriffe für Bert Neumann gewesen zu sein. Dazu gehörte die Freiheit, selbst zu entscheiden, was ihm gefällt, und auch die Freiheit von ökonomischen Zwängen. Beides sah Neumann gefährdet durch die Entscheidung des Berliner Senats, von 2017 an den Kunstkurator Chris Dercon zum neuen Chef der Berliner Volksbühne zu machen. "Verkauft" war kurz nach der Verkündung dieser Personalie auf einem großen Banner auf dem Dach des Theaters zu lesen. "Zu unserem Kunstbegriff gehört, das reibungslose Funktionieren zu stören. Wir sind keine Dienstleister für störungsfreie Abendunterhaltung", sagte er im Frühjahr in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel" . Und kündigte an, lieber ein Tattoo-Studio aufmachen zu wollen, als für Dercon zu arbeiten.
Wie ein Rebell aus den Fünfzigerjahren
Bert Neumann wurde 1960 in Magdeburg geboren und wuchs in Ost-Berlin auf. Bevor er Bühnen- und Kostümbild studierte, arbeitete er zunächst als Bühnentechniker an der Volksbühne. Schon 1988 arbeitete er erstmals mit Frank Castorf zusammen, er entwarf aber auch Bühnenbilder für Christoph Schlingensief, Johan Simons, René Pollesch und Leander Haußmann, für dessen Film "Sonnenallee" er auch die Kostüme machte. Mit seiner Frau Lenore Blievernicht hat Neumann zwei Söhne; der jüngere starb 2003, 14-jährig, bei einem Brand in ihrer Berliner Wohnung.
Blievernicht und Neumann betrieben zusammen das Grafikbüro LSD, in dem das gesamte Corporate Design der Volksbühne entstand: Zu einer Zeit, als kaum ein Theatermensch wusste, was Corporate Design überhaupt ist, druckten die beiden das Logo der Volksbühne hunderttausendfach auf Plakate, T-Shirts und Streichholzschachteln. Neumann hatte die Gesetze des Marktes rasend schnell durchschaut und kombinierte sie mit den Propagandamitteln der DDR zu einer unverwechselbaren, intelligent-ironischen Mischung aus Ostalgie und moderner Marktschreierei. Schon zu DDR-Zeiten hatte das Paar selbst designte T-Shirts verkauft.
Für die neue Volksbühnen-Spielzeit arbeitete Neumann an einem seiner monumentalen Einheits-Bühnenräume, für den er den gesamten Innenraum der Volksbühne umbauen sollte. Ob dieses Projekt ohne ihn stattfinden kann, bleibt abzuwarten.
Auf einem der letzten von ihm veröffentlichten Fotos trägt der Bühnenbildner und Künstler Bert Neumann, der immer ein bisschen wie ein Rebell aus den Fünfzigerjahren aussah, ein dunkelrotes Sweatshirt. Darauf ist zu lesen, in typischer fetter Volksbühnen-Frakturschrift: "Don't look back".