Besetztes Theater in Rom Bühne gegen Bunga-Bunga
"Seit 20 Jahren trete mit meiner Gitarre auf", sagt der Mann mit Goldkettchen und imposantem Schnurrbart, "aber zum ersten Mal auf dieser historischen Bühne. Und gerade jetzt ist nichts, wie es war. Das gefällt mir." Dann singt er kalabrische Lieder, und im Parkett singen über 400 Römer leidenschaftlich mit: "Raus aus dieser Misere, raus aus dieser Stadt! Du hast die Kraft zu fliehen, doch der Wind hält dich auf." Aber niemand hat Lust zu gehen, im Gegenteil: Dem Teatro Valle, dem ältesten Theater Roms, droht der Verkauf, und deshalb wird es seit einem Monat besetzt.
Über goldenem Stuck und rotem Samt hängen Spruchbänder, in einer Ecke liegen Dutzende Schlafsäcke und Decken, und aus den Zuschauerrängen klappert es von unzähligen Laptops, mit denen Studenten, Schauspieler und Aktivisten ihren Protest an die Öffentlichkeit tragen. Sie wehren sich dagegen, dass das traditionsreiche Theater im Altstadtzentrum, 1727 gegründet, an einen privaten Investor verscherbelt wird - eine direkte Folge des Sparprogramms der Regierung Berlusconi, das vor kurzem beschlossen wurde und den kulturellen Sektor des krisengeplagten Landes besonders hart trifft.
"Wir haben Angst, dass das hier ein Restaurant oder eine Bingohalle wird", beschreibt Daniele, 38, die Stimmung unter den Besetzern. "Wir wollen, dass das Teatro Valle den Status eines Nationaltheaters erhält, wie die Schaubühne in Berlin oder das Royal Court Theater London." Daniele ist Schauspieler und stand einst auf der Bühne des Teatro Valle, die zu den innovativsten des Landes zählte. Nun sitzt er an einem Holztisch im marmornen Foyer, das zum Büro umgebaut wurde, und versorgt die Website der Besetzer mit Videos und Podcasts. "Wir sind 30 Leute, und es werden immer mehr", sagt er, "sie kommen aus ganz Italien: Regisseure, Beleuchter, Sänger, Schauspieler."
Sie alle halten das Theater in Betrieb, das seit Anfang Juni keinen offiziellen Betreiber mehr hat: Die "Ente Teatrale Italiano", die staatliche Bühnenverwaltung, wurde aufgelöst. Die Stromrechnung wird nun aus einem Notbudget der römischen Kommune bezahlt, die Schauspieler und Musiker treten kostenlos auf. Denn, so Daniele: "Kultur ist ein Grundrecht, wir kämpfen dafür, dass die Menschen dieses Recht wahrnehmen können."
"Kultur kann man nicht essen", sagt der Finanzminister
Und sie kommen, vielleicht sogar zahlreicher als früher: Jeden Abend ist das Teatro Valle mindestens halbvoll besetzt, mit Hipstern, Alternativen, ganz normalen Römern jeden Alters. Sie lehnen lässig am Bühnenrand und improvisieren Reden über die Zukunft von Kino und Theater. Sie fläzen sich in die üppigen Parkettsessel und richten mit Zwischenrufen und Szenenapplaus über die Debatte. Später gibt es Schauspiel, Musik und Dichterlesungen. Es scheint, als hätte die Stadt nur darauf gewartet, ein Forum zu finden, um fern von Spardebatten und Bunga-Bunga-Peinlichkeiten über die Freiheit der Kultur nachzudenken.
"Dieses Land ist so randvoll mit Kunst, dass sie häufig gar nicht mehr geschätzt und erhalten wird", sagt die norwegische Schauspielerin Alicja, 45, die seit Beginn der Besatzung im Theater wohnt. "Das ist dort, wo ich herkomme, ganz anders." Sie stieß vor einigen Jahren zu einer Shakespeare-Truppe in Süditalien und wunderte sich, warum sie nach einem halben Jahr noch kein Gehalt bekam. "Meine Kollegen sagten, reg dich nicht auf, das ist normal." Alicja verzieht das Gesicht: "Verdammt, das ist nicht normal!"
Nicht nur im Teatro Valle bekommt man den Eindruck, dass Kulturschaffende im Land der schönen Künste das Ansehen von Tagelöhnern genießen. Museen und wissenschaftliche Einrichtungen werden seit Jahren kaputt gespart, die Tragödie des langsam zerfallenden Pompeji hat weltweiten Protest hervorgerufen. Überall versucht der Staat, die Verantwortung für das Kulturerbe an private Träger zu verteilen.
"Kultur kann man nicht essen", war die knappe Antwort des Finanzministers Giulio Tremonti, als er im Parlament für sein Sparprogramm kritisiert wurde, welches das Kulturbudget unverhältnismäßig belastet. Im Haushaltsplan sind nur 0,3 Prozent für die Kultur vorgesehen. Die Besetzer des Teatro Valle haben sich nun zur Aufgabe gemacht, Tremontis Satz in Gänze zu widerlegen.
Symbol für einen größeren Aufbruch
Am Sonntagabend steht Valerio Mastandrea auf der Bühne, bekannt aus dem Musical-Film "Nine", und liest eine Suada vor. Es geht um sein Land, Italien, und dessen kulinarische Vielfalt. "Ich liebe Mailänder Risotto", frotzelt er, "wenn ich nicht genug bekomme, gehe ich ein. Pecorino aus dem Lazium, Pizza aus Bella Napoli. Ach, und die Lieder aus Kalabrien, die Kunst der Toskana, die Schauspieler auf den verarmten Bühnen überall. Diese Kultur ist eure Nahrung. Wehrt euch, ihr wollt doch in einem Land leben, das euch einzigartige, hochwertige Nahrung bietet."
Ugo Mattei, 50, war der Autor des Referendums gegen die Privatisierung der Wasserversorgung, dessen Erfolg vor ein paar Wochen der Regierung einen groben Dämpfer versetzte. Der Turiner Jura-Professor unterstützt die Protestler und berät sie in Rechtsfragen. Für ihn ist die Besatzung des Teatro Valle ein Symbol für einen viel größeren Aufbruch: "Es wird in den nächsten Monaten viele Experimente geben, in denen die Italiener sich gegen die neoliberalen Umwälzungen unserer Zeit erheben." Er glaubt nicht, dass die Regierung es wagen wird, Gewalt "gegen diese Kinder" anzuwenden: "Wenn sie das tun, wird das ihr Tahrir Square."
Doch danach sieht es nicht aus. Am anderen Ende der Straße, vor dem Senatsgebäude, stehen Carabinieri in der Sonne, winken gelangweilt die Staatskarossen vorbei und erklären freundlich den Weg zum besetzten Theater. Vor einer Woche haben sie nach dem Rechten geschaut und kontrolliert, ob die Besetzung friedlich abläuft. "Der Staat hat Angst", sagt Alicja, "sie merken, dass die Römer hinter uns stehen, dass sie uns nicht stoppen können." Und dann beginnen ihre Augen zu leuchten: "Das Beste ist: Vom ersten Tag dieser Besetzung ist nicht ein einziges Mal der Name gefallen, an dem sich Italiens Linke seit Jahren die Zähne ausbeißt. Wir sind in Gedanken schon über Berlusconi hinweg."